Entscheidungsstichwort (Thema)

Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids bei nachträglicher Bescheinigung EU/EWR

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Die Anwendung von § 1 Abs. 3 EStG setzt auch voraus, dass die Höhe der ausländischen Einkünfte durch eine Bescheinigung der ausländischen Steuerbehörde nachgewiesen wird.
  2. Die Bescheinigung der ausländischen Steuerbehörde ist auch dann materielle Voraussetzung für die Veranlagung eines beschränkt Steuerpflichtige als unbeschränkt steuerpflichtig, wenn der im Ausland ansässige Steuerpflichtige im Ansässigkeitsstaat keine Einkünfte erzielt und die ausländische Steuerbehörde demzufolge lediglich eine sog. Nullbescheinigung ausstellen kann.
  3. Der Wortlaut des § 1 Abs. 3 Satz 4 EStG schließt das Verlangen einer „Nullbescheinigung” nicht aus.
 

Normenkette

EStG § 1 Abs. 3; AO § 175 Abs. 1 S. 1

 

Streitjahr(e)

1998

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Beklagte den bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid ändern und den Kläger als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandeln musste, nachdem dieser die Bescheinigung EU/EWR für das Streitjahr vorgelegt hatte.

Der Kläger wohnte im Streitjahr in Spanien und erzielte im Inland u.a. steuerpflichtige Einkünfte aus Gewerbebetrieb und Vermietung und Verpachtung. Er beantragte, für das Streitjahr als unbeschränkt steuerpflichtig veranlagt zu werden, und gab an, im Ausland keine Einkünfte erzielt zu haben. Der Beklagte forderte den Kläger im Veranlagungsverfahren erfolglos auf, dies durch eine Bescheinigung der zuständigen ausländischen Steuerbehörde (Anlage EU/EWR) nachzuweisen. Der Beklagte ging infolgedessen von der beschränkten Steuerpflicht des Klägers aus und berücksichtigte die geltend gemachten Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen, Kinderfreibeträge sowie Einkünfte mit Steuerabzug bei der Veranlagung nicht.

Im Einspruchsverfahren beantragte der Kläger, den Bescheid zu ändern, weil er unbeschränkt steuerpflichtig sei. Er trug vor, seinen Wohnsitz im Januar 1998 ins Inland verlegt zu haben. Der Beklagte ging weiterhin davon aus, dass die Voraussetzungen für die unbeschränkte Steuerpflicht nicht vorlägen und forderte den Kläger erneut erfolglos zur Vorlage der Anlage EU/EWR für das Streitjahr auf. Der Einspruch wurde im April 2004 als unbegründet zurückgewiesen und die Festsetzung wurde bestandskräftig.

Im Oktober 2004 legte der Kläger die im Juli 2004 von der spanischen Steuerbehörde ausgestellte Bescheinigung EU/EWR für 1998 vor und beantragte erneut die Veranlagung nach Maßgabe der unbeschränkten Steuerpflicht. Auf dem Vordruck werden die in Spanien erzielten Einkünfte des Klägers sowie seiner Ehefrau mit 0 Pts. bescheinigt. Der Beklagte lehnte eine Änderung ab und wies den dagegen eingelegten Einspruch als unbegründet zurück. Hiergegen richtet sich die Klage.

Der Kläger ist der Auffassung, der Bescheid sei gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu ändern. Bei der vorgelegten Anlage EU/EWR handele es sich um einen Grundlagenbescheid für die Einkommensteuerfestsetzung, weil darin die spanische Behörde die Höhe der in Spanien erzielten Einkünfte feststelle und diese Feststellung für die Höhe der deutschen Steuer maßgebend sei.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

wie erkannt zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er vertritt die Auffassung, eine Änderung gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 AO komme nicht in Betracht, weil es sich bei der vorgelegten Bescheinigung nicht um einen Grundlagenbescheid i.S.d. § 171 Abs. 10 AO handele.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet. Der Beklagte hat zu Unrecht abgelehnt, den Kläger nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig zu behandeln, weil die Voraussetzungen für eine Änderung des bestandskräftigen Steuerbescheides gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO vorliegen.

1. Die mit dem Änderungsantrag vorgelegte Bescheinigung ist ein rückwirkendes Ereignis im Sinne dieser Vorschrift, weil sie erst nach Bestandskraft der Veranlagung erstellt wurde und materielle Voraussetzung für die Anwendung des § 1 Abs. 3 EStG ist.

Gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Ein solches Ereignis ist auch die Vorlage der nachträglich erstellten Bescheinigung, denn sie war erforderlich, um den Tatbestand des § 1 Abs. 3 EStG zu erfüllen. Gem. § 1 Abs. 3 Satz 4 EStG ist nämlich weitere „Voraussetzung” für die Anwendung des § 1 Abs. 3 EStG, dass die Höhe der ausländischen Einkünfte durch eine Bescheinigung der ausländischen Steuerbehörde nachgewiesen wird (vgl. FG Brandenburg vom 17. August 2005, 4 K 1467/01, EFG 2005, 1706; Lehner/Waldhoff in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff EStG § 1 Rz. D 151, Stapperfend in Herrmann/Heuer/Raupach EStG § 1 Rz. 285; Michel in Littmann/Bitz/Pust EStG § 1 Rz. 139; Gosch in Kirchhof EStG, 6. Auflage, § 1 Rz. 37). Wird die Bescheinigung, wie hier, erst nach der Steuerfestsetzung erstellt oder vorgelegt, handelt es sich um ein rückwirkendes Ereig...

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