Entscheidungsstichwort (Thema)

Schätzung von Besteuerungsgrundlagen ohne Nachprüfungsvorbehalt gem. § 164 Abs. 1 AO Satz 1

 

Leitsatz (redaktionell)

Die formelle Fehlerhaftigkeit der endgültigen Steuerfestsetzung führt nicht zur Nichtigkeit des Steuerbescheids. Denn es handelt sich nicht um einen so schwerwiegenden Mangel, dass die Steuerfestsetzung offensichtlich nicht zu beachten und damit nichtig wäre. Dies ergibt sich bereits daraus, dass Steuerfestsetzungen regelmäßig ohne Vorbehalt der Nachprüfung ergehen, so dass das Fehlen des Nachprüfungsvermerks als im Ermessen der Behörde stehender Ausnahmefall weder einen schwerwiegenden noch einen offensichtlichen Mangel darstellt.

 

Normenkette

AO § 164 Abs. 1 S. 1, § 162

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 31.03.2009; Aktenzeichen XI B 94/08)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob das Finanzamt im Streitjahr die Besteuerungsgrundlagen ohne Nachprüfungsvorbehalt gem. § 164 Abs. 1 AO Satz 1 schätzen durfte.

Der Kläger betrieb einen Handel mit Hard- und Software und führte Beratungen und Schulungen durch. Nachdem er die Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2000 nicht fristgerecht eingereicht hatte, schätzte das Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen und setzte mit Bescheid vom 22.10.2001 die Umsatzsteuer 2000 auf ....,.. DM endgültig fest. Der Kläger legte keinen Einspruch ein.

Am 16.12.2004 reichte der Kläger die Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2000 ein, die Umsätze zum allgemeinen Steuersatz in Höhe von .....,.. DM, Vorsteuerbeträge in Höhe von .....,.. DM und einen Erstattungsanspruch in Höhe von .....,.. DM auswies. Das Finanzamt lehnte mit Bescheid vom 21.07.2005 die Änderung des bestandskräftigen Umsatzsteuerbescheids 2000 ab, da den Kläger ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der steuermindernden Tatsachen treffe.

Gegen die Ablehnung der Änderung des Umsatzsteuerbescheids 2000 legte der Kläger Einspruch ein und trug zur Begründung vor, dass Schätzungen immer vorläufig seien und keine Steuererklärung ersetzten. Eine weitergehende Stellungnahme erfolgte nicht. Das Finanzamt wies den Einspruch als unbegründet zurück.

Der Kläger hat Klage erhoben und beantragt, den Ablehnungsbescheid vom 21.07.2005 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 20.09.2007 aufzuheben und das Finanzamt zu verpflichten, die Umsatzsteuer für das Jahr 2000 entsprechend der am 16.12.2004 eingereichten Umsatzsteuererklärung auf ./. .....,.. DM (./. .....,.. €) festzusetzen.

Zur Begründung trägt er vor:

Das Finanzamt habe zu Unrecht im Umsatzsteuerbescheid 2000 vom 22.10.2001 auf einen Vorbehaltsvermerk gem. § 164 Abs. 1 Satz 1 AO verzichtet. Die für das Finanzamt ....... verbindliche innerdienstliche Weisung durch die Oberfinanzdirektion Nürnberg sehe vor, dass Schätzungsveranlagungen grundsätzlich unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erfolgten. Das Finanzamt habe gegen diese Weisung verstoßen. Es liege ein Fall der verwaltungsrechtlichen Selbstbindung der Behörde durch eine Verwaltungsvorschrift vor. Die erfolgte Selbstbindung führe im Ergebnis dazu, dass aus Gründen der Gleichbehandlung er so zu behandeln sei, als ob der Erstbescheid mit einem Vorbehaltsvermerk versehen worden wäre. Der Anspruch auf Änderung ergebe sich aus § 839 BGB analog. Eine Durchbrechung der Bestandskraft sei auch im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 GG geboten.

Reagiere das Finanzamt auf die Nichtabgabe der Steuererklärung mit einem endgültigen Steuerbescheid, sei dies nur dann zulässig, wenn das Finanzamt seine Sachaufklärungspflicht erfüllt habe und alle Erkenntnismittel, deren Beschaffung und Verwertung zumutbar und möglich seien, auch ausgeschöpft habe. Unterlasse das Finanzamt Ermittlungen, so diene der endgültige Schätzungsbescheid in Wirklichkeit dazu, die Verletzung der Steuererklärungspflicht zu sanktionieren und den Steuerpflichtigen zur Abgabe der Steuererklärung anzuhalten. Darin bestehe aber gerade nicht der Zweck des § 162 AO. In den Vorjahren habe er in seinen Umsatzsteuererklärungen stets umsatzsteuerfreie Umsätze erklärt. Auch im Streitjahr habe er umsatzsteuerfreie Umsätze erzielt. Es sei daher offensichtlich, dass das Finanzamt seine Sachaufklärungspflicht nicht vollständig erfüllt und entsprechende Erkenntnismittel nicht ausgeschöpft habe.

Zwar habe er versäumt, Einspruch einzulegen. Im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens hätte das Finanzamt die beantragte Änderung entsprechend der eingereichten Erklärung aber gewähren müssen, da ihm aufgrund der Amtspflichtverletzung des Finanzamts durch die Nichtaufnahme des Vorbehaltsvermerks ein Ersatzanspruch zustehe.

Das Finanzamt beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung führt es aus:

Es sei richtig, dass der Umsatzsteuerbescheid 2000 vom 22.10.2001, der auf geschätzten Besteuerungsgrundlagen gem. § 162 AO beruhe, nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen sei. Es sei auch zutreffend, dass Veranlagungen, bei denen wegen Nichtabgabe der Steuererklärungen die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen seien, nach einer innerdienstlichen Weisu...

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