Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorläufige Gewährung des Faktorverfahrens für Ehegatten und der Steuerklassse IV auf der Lohnsteuerkarte männlicher Lebenspartner

 

Leitsatz (redaktionell)

1) Eingetragene Lebenspartner sind bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Az. 2 BvR 909/06, 2 BvR 288/07) im Rahmen der Lohn- und Einkommensteuer vorläufig wie Ehegatten zu behandeln. Es ist ihnen vorläufig auf der Lohnsteuerkarte die Steuerklasse IV unter Anwendung des Faktorverfahrens einzutragen.

2) Der Senat hat an der Rechtmäßigkeit der Nichtgewährung der Ehegattenbesteuerung im Einkommensteuerrecht für eingetragene Lebenspartener aufgrund des Gleichheitssatzes erhebliche verfassungsrechtliche Zweifel.

 

Normenkette

EStG § 39 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, § 52b Abs. 1 S. 1; GG Art. 3 Abs. 1; EStG § 38b

 

Tatbestand

I.

Streitig ist, ob die männlichen Antragsteller einen Anspruch darauf haben, dass für sie auf ihren Lohnsteuerkarten die Steuerklasse IV unter Anwendung des Faktorverfahrens bescheinigt wird, obwohl sie nicht verheiratet sind, sondern in einer Lebenspartnerschaft leben.

Die Antragsteller begründeten am 20.6.2006 die Lebenspartnerschaft. Sie leben seitdem nicht dauernd getrennt. Auf den auch für das Jahr 2011 fort geltenden Lohnsteuerkarten 2010 ist für die Antragsteller jeweils die Lohnsteuerklasse I eingetragen. Mit Schreiben vom 25.7.2011 beantragten die Antragsteller beim Antragsgegner die Änderung ihrer Lohnsteuerkarten in Lohnsteuerklasse IV unter Anwendung des Faktorverfahrens ab dem 01.01.2011. Mit Bescheiden vom 5.8.2011 lehnte der Antragsgegner eine Änderung der Lohnsteuerkarten ab. Gegen die ablehnenden Bescheide legten die Antragsteller Einspruch ein und beantragten zugleich die Aussetzung der Vollziehung. Mit gleich lautenden Schreiben vom 25.08.2011 teilte der Antragsgegner mit, dass die Einspruchsverfahren im Hinblick auf die beim BVerfG (Bundesverfassungsgericht) anhängigen Verfassungsbeschwerden zu den Aktenzeichen 2 BvR 1981/06 und 2 BvR 288/07 ruhen. Zugleich lehnte er die gestellten Anträge auf Aussetzung der Vollziehung ab. Am 8.9.2011 haben die Antragsteller den vorliegenden Eilantrag bei Gericht gestellt.

Für das Jahr 2009 waren die Antragsteller einzeln zur Einkommensteuer veranlagt worden. Im Einkommensteuerbescheid 2009 für den Antragsteller A waren Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von ./. 507 EUR und Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit in Höhe von 26.127 EUR angesetzt worden. Die festgesetzte Einkommensteuer 2009 (ohne Solidaritätszuschlag) hatte 2.880 EUR betragen. Die sich hieraus ergebende Erstattung hatte sich auf 891 EUR belaufen (nur Einkommensteuer, ohne Solidaritätszuschlag). Im Einkommensteuerbescheid 2009 für den Antragsteller B waren Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von ./. 508 EUR und Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit in Höhe von 15.390 EUR angesetzt worden. Die festgesetzte Einkommensteuer 2009 (ohne Solidaritätszuschlag) hatte 887 EUR betragen. Die sich hieraus ergebende Erstattung hatte sich auf 1.037 EUR belaufen (nur Einkommensteuer, ohne Solidaritätszuschlag). Ob die Antragsteller bereits für das Jahr 2010 veranlagt wurden ergibt sich aus den vorgelegten Einkommensteuerakten nicht.

Die Antragsteller vertreten im vorliegenden Eilverfahren die Ansicht, die Eintragungen auf den Lohnsteuerkarten 2010 seien unrichtig und daher ab dem 1.1.2011 zu ändern. Denn sie seien am 1.1.2011 nicht ledig, sondern verpartnert gewesen. Nach § 39 Abs. 3b Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) seien für die Eintragung der Lohnsteuerklassen in die Lohnsteuerkarten die Verhältnisse zu Beginn des Kalenderjahres maßgebend. Der Familienstand ledig sei etwas anderes als der Familienstand verpartnert. Da sie zu Anfang des Jahres 2011 bereits verpartnert gewesen seien, hätte in ihren Lohnsteuerkarten nicht die Steuerklasse I für Ledige eingetragen werden dürfen. Zwar seien Lebenspartner auch nicht verheiratet. § 38b EStG sei aber im Hinblick auf den Familienstand der Lebenspartnerschaft lückenhaft, weil dort der Familienstand verpartnert nicht geregelt sei. Die Meldebehörde habe diese Lücke durch Anwendung der für ledige Steuerpflichtige geltenden Regelungen ausgefüllt. Richtigerweise hätte sie durch Anwendung der für Verheiratete geltenden Regelungen ausgefüllt werden müssen, weil die Lebenspartnerschaft in einkommensteuerrechtlicher Hinsicht einer Ehe entspreche.

Dies ergebe sich aus der Entscheidung des Ersten Senats des BVerfG vom 21.7.2010 zur Erbschaftsteuer (1 BvR 611/07 und 1 BvR 2464/07). Die Antragsteller haben Auszüge aus dieser Entscheidung wörtlich zitiert. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz der Antragsteller vom 08.09.2011 Bezug genommen.

Die Antragsteller vertreten die Ansicht, die Ausführungen des Ersten Senats des BVerfG könnten ohne weiteres auf die Gleichstellung von Lebenspartnern mit Ehegatten bei der Einkommensteuer übertragen werden. Die Privilegierung von Ehegatten bei der Einkommensteuer sei ebenfalls nicht davon abhängig, ob die Ehepaare Kinder...

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