Entscheidungsstichwort (Thema)

Abgabenordnung: Erschütterung der Zugangsfiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO

 

Leitsatz (amtlich)

Die Notierung einer Einspruchsfrist, die mehr als fünf Wochen nach dem Termin gemäß § 122 AO liegt, reicht bei einem Steuerpflichtigen, der seine steuerlichen Pflichten regelmäßig verzögert erfüllt, nicht aus, um Zweifel an der Zugangsfiktion des § 122 AO zu begründen.

 

Normenkette

AO § 122 Abs. 2 Nr. 1

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 13.10.2005; Aktenzeichen IV B 21/05)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Einspruch des Klägers rechtzeitig eingelegt wurde.

Der 1956 geborene Kläger war bis zum 30.6.2001 freiberuflich als Rechtsanwalt tätig. Seitdem ist er arbeitslos. Gegenwärtig bezieht er nach seinen Angaben Sozialhilfe.

Seine steuerlichen Pflichten erfüllte er vielfach nicht mit der gebotenen Sorgfalt. Die Abgabe von Einkommensteuererklärungen sowie von Einnahmenüberschussrechnungen musste wiederholt angemahnt werden und es kam zu Schätzungsbescheiden.

Für 1995 bis 1999 wurde die Einkommensteuer auf Null DM festgesetzt.

Für 1997 hatte der Kläger Einkünfte aus Gewerbebetrieb (nicht: aus selbständiger Arbeit) als Rechtsanwalt in Höhe von 4.430 DM erklärt und im Anschreiben vom 22. Juni 1998 mitgeteilt, die Gewinne seien durch eine Gewinn- und Verlustrechnung ermittelt worden. Er sei arbeitslos ohne Anspruch auf Leistungen nach dem AFG und habe überwiegend von Ersparnissen und Unterstützungsleistungen durch Angehörige gelebt. Die Gewinnermittlung wurde - wie schon die für 1995 und 1996 - trotz Anforderung durch den Beklagten nicht vorgelegt.

In der am 17. Januar 2000 abgegebenen Einkommensteuererklärung für 1998 hatte der Kläger Einkünfte aus der Tätigkeit als Rechtsanwalt in Höhe von 6.981 DM erklärt. Dazu erläuterte er, er habe die Bruttoeinnahmen aufgeführt. Die Kosten seien wegen des Freibetrages aus Vereinfachungsgründen nicht berechnet worden.

Zur Abgabe der Einkommensteuererklärung für 1999 hatte der Beklagte Zwangsgeld angedroht und festgesetzt. Nach Abgabe der Erklärung am 28. Dezember 2000 wurde die Festsetzung aufgehoben. Die Einkünfte als Rechtsanwalt hatte der Kläger mit 3.371 DM angegeben. Dabei handele es sich um die Bruttoeinnahmen, die Kosten seien aus Vereinfachungsgründen nicht berechnet worden.

Die Einkommensteuererklärung des Streitjahres wurde am 4. Februar 2002 abgegeben. Der Kläger bezeichnete sich als erwerbslos und erklärte die Einkünfte als Rechtsanwalt mit 6.774 DM. Der Betrag entspreche den Einnahmen, wegen der geringen Höhe werde auf die Berechnung der Ausgaben verzichtet. Die Einkommensteuer wurde daraufhin am 28. Mai 2002 unter Nachprüfungsvorbehalt wiederum mit Null DM festgesetzt. In der Anlage zum Bescheid wurde der Kläger aufgefordert, innerhalb von drei Wochen nachzuweisen, wovon er seinen Lebensunterhalt bestritten habe. Auch Unterstützungszahlungen von Verwandten, Freunden etc. seien nachzuweisen. Falls keine Belege erbracht würden, könnten entsprechende Einkünfte hinzu geschätzt werden.

Der Kläger rührte sich trotz Erinnerung am 10. Juli 2002 nicht. Daraufhin änderte der Beklagte den Bescheid am 28. August 2002 gem. § 164 Abs. 2 AO. Die Einkünfte aus selbstständiger Arbeit wurden mit geschätzten 36.770 DM der Besteuerung zu Grunde gelegt und der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben. Aus den Akten ist nicht ersichtlich, welche Erwägungen zur Höhe der Schätzung angestellt wurden.

Der auf den 6. Oktober 2002 datierte Einspruch erhielt beim Beklagten den Eingangsstempel vom 4. Oktober 2002 (Freitag). Der Kläger machte geltend, der Bescheid sei ihm erst am 11. September 2002 zugestellt worden. Vorsorglich werde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Verspätete oder unterlassene Zustellungen seien nach Auskünften des Einwohneramtes E keine Seltenheit. Im Jahr 2000 hätte er neben seinen eigenen Einkünften lediglich Unterstützungszahlungen seines Vaters in Höhe von 1.000 DM monatlich gehabt.

Mit Schreiben vom 7. Oktober 2002 beantragte der Kläger im Nachgang zum Einspruchsschreiben, die Nichtigkeit des Bescheides festzustellen. Die Hinzuschätzung sei nicht notwendig gewesen. Mit der Einkommensteuererklärung seien die Einkünfte erklärt worden. Damit stünden sie abschließend fest. Unterstützungsleistungen der Angehörigen, deren Nachweis verlangt worden sei, seien keine Einkünfte nach dem Einkommensteuergesetz, sondern als Schenkung oder Leihe anzusehen. Für sie sei keine Arbeit erbracht worden. Die Schätzung verstieße zudem gegen das Übermaßverbot. Wegen der Höhe der Einkünfte der vorangegangenen Veranlagungszeiträume hätten dafür keine Anhaltspunkte bestanden.

Nachdem der Beklagte um Nachweise für den verspäteten Zugang gebeten hatte, antwortete der Kläger, Briefumschläge seien nicht mehr vorhanden. Ein Poststempel sage über eine fehlgeleitete Zustellung nichts aus. Die Frist für den Einspruch sei unmittelbar nach Entnahme aus dem Briefkasten im Terminkalender notiert worden. Der Antrag auf Wiedereinsetzung sei vorsorglich gestellt worden, weil bei der Formulierung ...

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