Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorsteuerabzug; Eingangsrechnung ohne MwSt-Ausweis; Steuerpflichtiger Eingangsumsatz; Bruttopreisvereinbarung; Nettopreisvereinbarung

 

Normenkette

EGRL 112/2006 Art. 168 Buchst. a

 

Beteiligte

Zipvit

Zipvit Ltd

Commissioners for Her Majesty's Revenue and Customs

 

Verfahrensgang

Supreme Court (Vereinigtes Königreich) (Beschluss vom 01.04.2020; ABl. EU 2020, Nr. C 215/24)

 

Tenor

Art. 168 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass die Mehrwertsteuer nicht als im Sinne dieser Bestimmung geschuldet oder entrichtet angesehen werden kann und daher vom Steuerpflichtigen nicht abgezogen werden kann, wenn zum einen dieser und sein Dienstleistungserbringer die betreffenden Leistungen aufgrund einer falschen Auslegung des Unionsrechts durch die nationalen Behörden zu Unrecht für mehrwertsteuerfrei gehalten haben, in den Rechnungen folglich keine Mehrwertsteuer ausgewiesen wurde und nach dem Vertrag zwischen diesen beiden Personen die Kosten, falls diese Steuer geschuldet würde, vom Leistungsempfänger zu tragen wären, und wenn zum anderen keine rechtzeitigen Schritte zur nachträglichen Einziehung der nicht entrichteten Mehrwertsteuer erfolgt sind und deshalb jedem darauf gerichteten Vorgehen des Dienstleistungserbringers sowie der Steuer- und Zollverwaltung die Verjährung entgegensteht.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Supreme Court of the United Kingdom (Oberster Gerichtshof des Vereinigten Königreichs) mit Entscheidung vom 1. April 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 6. April 2020, in dem Verfahren

Zipvit Ltd

gegen

Commissioners for Her Majesty's Revenue and Customs

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Vizepräsidenten des Gerichtshofs L. Bay Larsen in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Ersten Kammer sowie der Richter J.-C. Bonichot (Berichterstatter) und M. Safjan,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Zipvit Ltd, vertreten durch D. Garcia, L. Allen und W. Shah, Solicitors, sowie durch R. Thomas, QC,
  • der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch S. Brandon als Bevollmächtigten im Beistand von S. Grodzinski und E. Mitrophanous, QC,
  • der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil und O. Serdula als Bevollmächtigte,
  • der griechischen Regierung, vertreten durch M. Tassopoulou und I. Kotsoni als Bevollmächtigte,
  • der spanischen Regierung, vertreten durch I. Herranz Elizalde und S. Jiménez García als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, zunächst vertreten durch R. Lyal und P. Carlin, dann durch P. Carlin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 8. Juli 2021

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 168 Buchst. a und Art. 226 Nrn. 9 und 10 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Zipvit Ltd und den Commissioners for Her Majesty's Revenue and Customs (Steuer- und Zollbehörde, Vereinigtes Königreich) wegen des Bescheids, mit dem diese ihren Antrag auf Vorsteuerabzug abgelehnt haben.

Rechtlicher Rahmen

Rz. 3

Art. 63 der Richtlinie 2006/112 bestimmt:

„Steuertatbestand und Steueranspruch treten zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird.”

Rz. 4

Art. 90 der Richtlinie 2006/112 lautet:

„(1) Im Falle der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes wird die Steuerbemessungsgrundlage unter den von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen entsprechend vermindert.

(2) Die Mitgliedstaaten können im Falle der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung von Absatz 1 abweichen.”

Rz. 5

Nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 befreien die Mitgliedstaaten von öffentlichen Posteinrichtungen erbrachte Dienstleistungen und dazugehörende Lieferungen von Gegenständen mit Ausnahme der Personenbeförderungs- und Telekommunikationsdienstleistungen von der Steuer.

Rz. 6

Art. 167 der Richtlinie 2006/112 bestimmt:

„Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.”

Rz. 7

Art. 168 der Richtlinie 2006/112 sieht vor:

„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:

a) die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefe...

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