Entscheidungsstichwort (Thema)

Unrichtigkeit der in einer Postzustellungsurkunde bezeugten Tatsachen

 

Leitsatz (NV)

1. Die Postzustellungsurkunde begründet als öffentliche Urkunde i.S. des § 418 Abs. 1 ZPO den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen; der Beweis ihrer Unrichtigkeit ist zulässig. Dies erfordert den vollen Nachweis eines anderen Geschehensablaufs. Durch bloße Zweifel an der Richtigkeit der urkundlichen Feststellungen ist der Gegenbeweis nicht erbracht. Erforderlich ist der Beweis des Gegenteils; die Beweiswirkung des § 418 Abs. 1 ZPO muß völlig entkräftet sein.

2. Eine in der Familie dienende Person i.S. des § 181 Abs. 1 ZPO ist jeder zur Mitarbeit im Hausstand, zur Bedienung, Betreuung und Pflege tätige Dritte, auch wenn die Dienste dem die Wohnung allein bewohnenden Adressaten geleistet werden. Die Tätigkeit muß zwar auf eine gewisse Dauer angelegt sein, es genügt aber eine stundenweise Beschäftigung; auf die rechtliche Ausgestaltung der Tätigkeit kommt es nicht an.

 

Normenkette

AO 1977 § 122 Abs. 5; AO § 147; ZPO §§ 181, 418 Abs. 1; VwZG § 3

 

Verfahrensgang

FG Düsseldorf

 

Tatbestand

Die Sache befindet sich im zweiten Rechtsgang.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist die Rechtsnachfolgerin der Frau A. Diese war Alleinerbin nach ihrem am 15. Februar 1975 verstorbenen Ehemann B, der wiederum die am 6. Januar 1975 verstorbene X beerbt hatte. Wegen des letztgenannten Erbfalls hatte das Finanzamt (FA) zunächst am 3. Dezember 1975 und dann am 11. März 1976 jeweils vorläufige Erbschaftsteuerbescheide an den - bereits verstorbenen - B erlassen; am 28. August 1976 erging eine Endgültigkeitserklärung ebenfalls an B. Am 14. November 1979 erließ das FA einen Erbschaftsteuerbescheid an die Erben von B, zu Händen des nunmehrigen Bevollmächtigten der Klägerin. Nachdem dieser Einspruch eingelegt hatte, teilte das FA ihm durch Schreiben vom 27. November 1980 mit, daß die bisher erlassenen Bescheide gemäß § 124 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) rechtsunwirksam seien.

Durch Bescheid vom 4. Dezember 1980 setzte das FA gegen Frau A Erbschaftsteuer für den Erwerb ihres Ehemanns nach der am 6. Januar 1975 verstorbenen X fest. Bei der Zustellung des Bescheides mittels Postzustellungsurkunde traf der Postbedienstete Frau A am 5. Dezember 1980 nicht an; er übergab das Schriftstück der anwesenden Reinemachefrau Frau Z.

Mit Schreiben vom 2. Januar 1981 teilte der Bevollmächtigte der Frau A dem FA mit, daß der angekündigte Erbschaftsteuerbescheid bisher nicht eingegangen sei. Da inzwischen Festsetzungsverjährung eingetreten sei, erübrige sich der Erlaß eines weiteren Bescheides. Vorsorglich legte er jedoch Einspruch gegen einen eventuell doch vorliegenden gültigen Bescheid ein.

Im Rahmen des Einspruchsverfahrens übersandte das FA dem Bevollmächtigten mit Schreiben vom 13. März 1981 eine Zweitschrift des Bescheides vom 4. Dezember 1980. Den Einspruch wies das FA als unbegründet zurück, weil der Bescheid vom 4. Dezember 1980 ausweislich der Postzustellungsurkunde in den Machtbereich der Frau A gelangt sei. Auf die Klage hob das Finanzgericht (FG) mit Urteil vom 15. Mai 1985 Bescheid und Einspruchsentscheidung auf, weil mit der Aushändigung des Bescheides an Frau Z der Bescheid nicht ordnungsgemäß zugestellt worden sei. Auf die Revision hob der erkennende Senat das Urteil auf, weil es nicht mit Gründen versehen sei, denn es war am 15. Mai 1985 verkündet, den Beteiligten aber erst am 25. bzw. 27. August 1986 zugestellt worden.

Im zweiten Rechtsgang führte das FG aus, es stehe nicht fest, daß der Bescheid vom 4. Dezember 1980 der Frau A in deren Wohnung am 5. Dezember 1980 zugestellt worden sei. Zwar ergebe sich aus der durch einen zuverlässigen und erfahrenen Beamten aufgenommenen Postzustellungsurkunde, daß der Erbschaftsteuerbescheid in der Wohnung der Frau A der dort anwesenden Frau Z übergeben worden sei, durchgreifende Zweifel an der Richtigkeit der Angaben in der Postzustellungsurkunde drängten sich insoweit nicht auf. Andererseits sei aber die Aussage der Frau Z glaubhaft, daß sie den Erbschaftsteuerbescheid in der Wohnung der Tochter von Frau A, der Klägerin, erhalten habe. Hierauf komme es jedoch nicht an, denn der Bescheid vom 4. Dezember 1980 sei Frau A wirksam mit dem Schreiben des FA vom 13. März 1981 bekanntgegeben worden. Die an sich am 31. Dezember 1980 endende Verjährungsfrist sei nämlich durch den an die Erben von B gerichteten Bescheid vom 14. November 1979 unterbrochen worden. Für die bis zum 31. Dezember 1965 geltende Fassung des § 147 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung (AO) sei es ohne Bedeutung gewesen, ob der Steuerbescheid, mit dem eine Steuerforderung festgestellt werden sollte, wirksam geworden sei. Etwas anderes könne auch nicht für die im Streitfall einschlägige, ab 1. Januar 1966 geltende Fassung des § 147 Abs. 1 AO angenommen werden.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 145 Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. § 147 Abs. 1 AO in der ab 1. Januar 1966 geltenden Fassung, weil nach dem Urteil des Senats vom 27. November 1981 II R 18/80 (BFHE 134, 519, BStBl II 1982, 277) die Verjährung durch eine einem unwirksamen Steuerbescheid beigefügte Zahlungsaufforderung nicht unterbrochen werde. Da der Erbschaftsteuerbescheid dem Zustellungsvertreter der Frau A nicht innerhalb der Verjährungsfrist, sondern erst mit Schreiben vom 13. März 1981 bekanntgegeben worden sei, sei der Steueranspruch verjährt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Die Gründe der Vorentscheidung ergeben zwar eine Verletzung des bestehenden Rechts, die Entscheidung des FG selbst stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar (§ 126 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Zu Unrecht hat das FG seine Entscheidung darauf gestützt, daß die Verjährung gemäß § 147 AO - auch - durch eine einem unwirksamen Steuerbescheid beigefügte Zahlungsaufforderung unterbrochen werden könne. Der erkennende Senat hat im Urteil in BFHE 134, 519, BStBl II 1982, 277 (m.w.N.) entschieden, daß unwirksame Handlungen des FA nach der ab 1. Januar 1966 geltenden, auch im Streitfall anzuwendenden (Art. 97 § 10 Abs. 1 Satz 2 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung - EGAO 1977 -) Fassung der AO keine verjährungsunterbrechende Wirkung i.S. des § 147 Abs. 1 AO auslösen (vgl. auch Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 8. März 1979 IV R 75/76, BFHE 127, 497, BStBl II 1979, 501); der Senat bleibt bei dieser Auffassung. Danach konnte sich weder aus einer dem Steuerbescheid vom 11. März 1976 noch aus einer dem vom 14. November 1979 beigefügten Zahlungsaufforderung eine Unterbrechung der Verjährung ergeben, denn keiner der beiden Steuerbescheide ist wirksam geworden. Der Bescheid vom 11. März 1976 war unwirksam, weil er an den bereits verstorbenen Erben B und damit an eine nicht mehr existierende Person gerichtet war (Urteil des BFH vom 17. Juni 1992 X R 47/88, BFHE 169, 103, BStBl II 1993, 174). Der Bescheid vom 14. November 1979 war wegen der Unbestimmtheit der Adressaten unwirksam; er war an die nicht näher bezeichneten Erben nach B gerichtet.

2. Das FG durfte danach nicht offenlassen, ob der Erbschaftsteuerbescheid vom 4. Dezember 1980 durch Übergabe an Frau Z gemäß § 122 Abs. 5 AO 1977, § 3 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) i.V.m. § 181 der Zivilprozeßordnung (ZPO) am 5. Dezember 1980 zugestellt worden ist, denn zu diesem Zeitpunkt war Verjährung noch nicht eingetreten. Die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen, zu denen die Würdigung der vom FG erhobenen Beweise gehört (§ 118 Abs. 2 FGO), ergeben, daß der Erbschaftsteuerbescheid am 5. Dezember 1980 der als Adressatin im Bescheid genannten Frau A zugestellt worden ist.

a) Die Postzustellungsurkunde begründet als öffentliche Urkunde i.S. des § 418 Abs. 1 ZPO den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen. Allerdings ist nach § 418 Abs. 2 ZPO der Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Tatsachen zulässig. Dies erfordert den vollen Nachweis eines anderen Geschehensablaufs; durch bloße Zweifel an der Richtigkeit der urkundlichen Feststellungen ist der Gegenbeweis nicht erbracht (Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 16. Mai 1986 4 CB 8/86, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1986, 2127). Erforderlich ist vielmehr der Beweis des Gegenteils; die Beweiswirkung des § 418 Abs. 1 ZPO muß völlig entkräftet sein (Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 7. Juni 1990 III ZR 216/89, Monatsschrift für Deutsches Recht - MDR - 1991, 33).

Im Streitfall hat der Postzusteller in der Postzustellungsurkunde beurkundet, daß er am 5. Dezember 1980 den Empfänger der Sendung, Frau A, in der Wohnung nicht angetroffen hat und den Erbschaftsteuerbescheid der in der Familie dienenden erwachsenen Frau Z übergeben hat. Die Richtigkeit dieser den Anforderungen des § 181 Abs. 1 ZPO entsprechenden Angaben ist nach den Feststellungen des FG nicht widerlegt. Es steht nicht fest, daß die Übergabe des Erbschaftsteuerbescheides an Frau Z entgegen der Angabe in der Postzustellungsurkunde nicht in der Wohnung der Empfängerin, sondern in der der Klägerin stattgefunden hat. Auch wenn, wie das FG ausführt, an der Richtigkeit der Aussage der Zeugin Z, die Übergabe habe in der Wohnung der Klägerin stattgefunden, keine durchgreifenden Zweifel bestünden, wäre die Richtigkeit der Beurkundung nicht entkräftet, ein völliger Gegenbeweis nicht erbracht, zumal, wie das FG auch darlegt, keine durchgreifenden Zweifel an der Richtigkeit der Angaben in der Postzustellungsurkunde bestünden, da es sich nach den Ermittlungen des FG bei dem verstorbenen Postbediensteten um einen erfahrenen und zuverlässigen Beamten gehandelt habe. Der erkennende Senat sieht danach keine Anhaltspunkte, die eine weitere Beweisaufnahme erforderlich machten.

b) Zu bejahen ist auch, was das FG nicht entschieden hat, daß Frau Z eine in der Familie der Frau A dienende erwachsene Person war, an die nach § 181 Abs. 1 ZPO die Zustellung erfolgen konnte. Eine in der Familie dienende Person ist jeder zur Mitarbeit im Hausstand, zur Bedienung, Betreuung und Pflege tätige Dritte, auch wenn die Dienste dem die Wohnung allein bewohnenden Adressaten geleistet werden. Die Tätigkeit muß zwar auf eine gewisse Dauer angelegt sein, es genügt aber eine stundenweise Beschäftigung (vgl. Stöber/ Zöller, Zivilprozeßordnung, 18. Aufl. 1993, § 181 Rdnr. 11). Diese Voraussetzungen sind in der Person von Frau Z erfüllt. Sie war seit vielen Jahren regelmäßig für Frau A in deren Haushalt tätig. Deshalb ist es unerheblich, ob sie als Mitarbeiterin eines (ihrem Mann gehörenden) ...unternehmens tätig war, denn auf die rechtliche Ausgestaltung ihrer Tätigkeit kommt es nicht an.

3. Danach ist es für die Entscheidung der Streitsache ohne Belang, daß das FG, entgegen dem eindeutigen Wortlaut des § 145 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a AO angenommen hat, daß die Verjährung der Erbschaftsteuer mit dem Ablauf des Kalenderjahres begonnen habe, in dem sie entstanden ist. Entscheidend ist vielmehr der Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Erwerber Kenntnis von dem Erwerb erlangt hat (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 27. April 1988 II R 253/85, BFHE 153, 502, BStBl II 1988, 818). Da dies frühestens mit dem im Kalenderjahr 1975 eingetretenen Erbfall der Fall sein konnte, konnte die Verjährung nicht vor dem Ablauf des Kalenderjahres 1980 eintreten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419491

BFH/NV 1994, 291

NVwZ-RR 1995, 239

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