Leitsatz (amtlich)

Der erkennende Senat tritt der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs im Urteil V A 571/36 vom 16. Juli 1937 (Slg. Bd. 44 S. 306) bei, daß die Versicherung der nach § 29 Abs. 2 RSiedlG zuständigen Behörde die Finanzbehörden nur in tatsächlicher, nicht auch in rechtlicher Hinsicht bindet.

 

Normenkette

Reichssiedlungsgesetz § 29; Vierter Teil der Dritten Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen vom 6. Oktober 1931 (RGBl. I S. 537, 551) § 20 Kapitel II; UStDB 1951 § 49; Württemberg-hohenzollernsches Gesetz über die Befreiung von der Grunderwerbsteuer für den sozialen Wohnungsbau vom 13. März 1951 (RegBl 1951 S. 27, BStBl 1951 II S. 89) § 2

 

Tatbestand

Die Beschwerdegegnerin (Bgin.), eine KG zur Betreuung, Finanzierung und Durchführung von Bauten, hat für das dritte und vierte Vierteljahr 1951 Vergütung von Umsatzsteuer gemäß § 49 Abs. 1 Ziff. 3 und Abs. 3 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz (UStDB) 1951 für Umsätze beantragt, die der Durchführung eines Siedlungsverfahrens von 40 Kleinsiedlungen in X. nach § 20 Kapitel II Vierter Teil der Dritten Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen vom 6. Oktober 1931 (Reichsgesetzblatt -- RGBl. -- I S. 537, 551) in Verbindung mit dem Reichssiedlungsgesetz (SiedlG) gedient haben. Das Finanzamt hat diesen Antrag abgelehnt, weil die Voraussetzungen der §§ 49 UStDB 1951, 29 RSiedlG nicht erfüllt seien, die nur gemeinnützige Siedlungsunternehmen, soweit sie als Siedlungsträger zugelassen seien, jedoch nicht Erwerbsgesellschaften von der Umsatzsteuer befreiten.

Die hiergegen gerichtete Sprungberufung hatte Erfolg. Im Berufungsverfahren hatte die Bgin. ein Schreiben der Landestreuhandstelle für Wohnungs- und Kleinsiedlungswesen vorgelegt, in dem ihr bestätigt wird, daß sie als Träger das oben angeführte Kleinsiedlungsvorhaben durchführe. Es heißt in diesem Schreiben weiter: "Bei den von Ihnen im Sinne des Erlasses der Landesregierung Schleswig-Holstein, Ministerium für Umsiedlung und Aufbau, vom 5.7.1948 und 26.11.1948 errichteten Kleinsiedlungen ist gemäß den Bestimmungen über Kleinsiedlungen vom 6.10.1931/21.4.1936/14.9.1937 in Verbindung mit § 29 RSiedlG und des § 49 UStDB Umsatzsteuerfreiheit zu gewähren." Das Finanzgericht ist daraufhin unter Hinweis auf den Einführungserlaß zu den Durchführungsbestimmungen 1938 (Umsatzsteuerkartei S 4153 Karte 6, RStBl. 1939 S. 129) zu der Auffassung gekommen, daß neben den gemeinnützigen Wohnungs- und Siedlungsunternehmen auch andere Unternehmen Verfahrensträger sein könnten. Da die Landestreuhandstelle als Vertreterin der Landesregierung bestätigt habe, daß die Bgin. als Trägerin des Kleinsiedlungsverfahrens beauftragt gewesen sei, stünde ihr auch die Erstattung der Umsatzsteuer zu.

Die gegen die Bewilligung der Umsatzsteuervergütung gerichtete Rechtsbeschwerde des Vorstehers des Finanzamts führt aus, die Mitgliedschaft der Bgin. im Prüfungsverband der Freien Wohnungsunternehmen e. V. Hamburg biete keine ausreichende Gewähr für die zweckentsprechende Verwendung der vergüteten Umsatzsteuer, insbesondere dafür, daß die gezahlten Vergütungen auch tatsächlich den Siedlern zugute kämen. Dies sei aber eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der Befreiungsvorschrift. Damit, daß sich die Bgin. im Nachtrage vom 1. April 1952 zum Kommanditgesellschaftsvertrag einer Prüfung durch zwei Buchsachverständige und Helfer in Steuersachen unterstellt habe, sei ihre Überprüfung nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Pflichtprüfung eines gemeinnützigen Wohnungs- und Siedlungsunternehmens gleichzusetzen. Der von der Vorentscheidung angeführte Erlaß des Reichsministers der Finanzen gestatte die Übertragung der Siedlungsträgerschaft nur auf "zuverlässige, leistungsfähige, kreditwürdige und siedlungserfahrene" Unternehmer. Diese Voraussetzungen träfen bei der Bgin. als einer im Jahre 1951 ohne nennenswertes Eigenkapital gegründeten Erwerbsgesellschaft, für die naturgemäß die Erzielung eigenen Gewinns allen übrigen Zielen vorgehe, nicht zu.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

§ 49 UStDB 1951 enthält keine selbständigen Befreiungsvorschriften. Sie sind vielmehr in den Gesetzen und Verordnungen des Siedlungsrechts enthalten. Maßgeblich für den Inhalt der Befreiungsvorschrift sind deshalb alle Rechtsnormen, die sich mit dem Siedlungsrecht befassen. So ist die für den Streitfall, in dem es sich um die Durchführung von Kleinsiedlungen handelt, maßgebliche Befreiungsvorschrift im § 20 Kapitel II der Verordnung des Reichspräsidenten vom 6. Oktober 1931 enthalten, der seinerseits auf die entsprechende Anwendung des für die Fälle nach § 49 Abs. 1 Ziff. 1 UStDB in Betracht kommenden § 29 RSiedlG in der Fassung vom 7. Juni 1923 (RGBl. I S. 364) verweist. § 29 a. a. O. spricht nun allerdings nur von gemeinnützigen Siedlungsunternehmen. Für die hier streitige Frage, ob die Steuerfreiheit auch anderen Unternehmern zusteht, sind aber auch die auf Grund der in den genannten gesetzlichen Bestimmungen erteilten weitgehenden Ermächtigungen ergangenen Durchführungsbestimmungen zu beachten, soweit sie Rechtsvorschriften enthalten (vgl. auch Urteil des Bundesfinanzhofs II 29/52 U vom 2. Juli 1952, Bundessteuerblatt -- BStBl. -- III S. 203). § 49 Abs. 1 Ziff. 3 UStDB, der allgemein nur von Trägern der Arbeiten zur Durchführung der Kleinsiedlung spricht, rechtfertigte es nicht, eine Einschränkung der Steuerbefreiung gegenüber siedlungsrechtlichen Vorschriften anzunehmen. Für die Durchführung der Kleinsiedlung sind insbesondere die Bestimmungen über die Förderung der Kleinsiedlung vom 14. September 1937 (KSB) -- Deutscher Reichsanzeiger Nr. 214 vom 16. September 1937 --, die auch Rechtsvorschriften enthalten, von besonderer Bedeutung. Die KSB sind, soweit sie nicht, wie z. B. Ziff. 5 Abs. 1 nach dem Kontrollratgesetz (KontrRG) Nr. 1 außer Kraft gesetzt oder durch die staatsrechtliche Entwicklung überholt sind, heute noch geltendes Recht. Nach dem klaren Wortlaut der KSB (Abschn. II, II Ziff. 24) brauchen die Siedlungsträger nicht unbedingt gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsunternehmen zu sein, sie müssen aber, abgesehen von den sonstigen, von der Rechtsbeschwerde herausgestellten Voraussetzungen, vor allem eigene Rechtspersönlichkeit besitzen. Im Einklang damit steht der Einführungserlaß des Reichsministers der Finanzen zu den Durchführungsbestimmungen 1938 vom 20. Januar 1939 (Umsatzsteuerkartei S 4153 Karte 6), der gleichfalls betont, daß, soweit nicht Länder, Gemeinden oder Gemeindeverbände selbst oder gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsunternehmen als Träger in Betracht kämen, andere Unternehmen u. a. neben ihrer Zuverlässigkeit und ausreichenden Leistungsfähigkeit Rechtspersönlichkeit besitzen müßten. Da auch aus anderen gesetzlichen Bestimmungen des Siedlungsrechts Abweichendes nicht zu entnehmen ist, entsprach der angeführte Erlaß dem geltenden Recht. Die Berufung der Bgin. auf ein Gesetz des Landes Schleswig-Holstein vom 31. März 1950 und die Bestimmungen über die Förderung des sozialen Wohnungs- und Kleinsiedlungsbaues vom 31. Dezember 1950 geht insofern fehl, als ein nach Inkrafttreten des Grundgesetzes (GG) erlassenes Landesgesetz den Umfang einer bundesgesetzlichen Befreiungsvorschrift nicht zu ändern vermag. Denn da das Siedlungsrecht als Bundesrecht weiter gilt, ist gemäß Art. 129 Abs. 3 GG die in den KSB Nr. 47 erteilte Ermächtigung als erloschen anzusehen.

Nun ist die Bgin. eine KG, die als solche gemäß § 161 in Verbindung mit § 105 des Handelsgesetzbuches (HGB) keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt, sondern wie eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts zu beurteilen ist (vgl. Reichsgericht in Zivilsachen Bd. 118 S. 295/298; Bd. 141 S. 280). Die Bgin. erfüllt somit nicht die Voraussetzungen, die nach dem Siedlungsrecht für einen Träger der Arbeiten zur Durchführung der Kleinsiedlung zu stellen sind, so daß ihre Zuverlässigkeit und Eignung dahingestellt bleiben kann. Ebenso ist es unerheblich, ob sie berechtigt ist, Zuschüsse und unverzinsliche Darlehen im Rahmen des § 7c des Einkommensteuergesetzes (EStG) für den sozialen Wohnungsbau hereinzunehmen. Die gleiche Auffassung findet sich übrigens in dem Runderlaß des Ministers für Wiederaufbau des Landes Nordrhein-Westfalen vom 23. März 1949 I B 612/200 (Ministerialblatt S. 313 ff.; abgedruckt beim Wormit-Ehrenforth, "Heimstättenrecht", Berlin 1950, Anhang S. 284/304), in dem in Übereinstimmung mit der siedlungsrechtlichen Rechtlage hervorgehoben ist, daß natürliche Personen, namentlich Einzelunternehmen, mithin auch Personengesellschaften, als Träger nicht in Betracht kommen.

Nun hat die Bgin. eine Versicherung der zuständigen Behörde gemäß § 29 Abs. 2 RSiedlG (Ziff. 39 Abs. 2 Satz 3 KSB) vorgelegt, so daß zu prüfen bleibt, ob die für die Steuerbefreiung zuständige Finanzbehörde an diese Bescheinigung gemäß § 29 Abs. 2 Satz 2 RSiedlG (Ziff. 39 Abs. 2 KSB) gebunden ist. Durch die letztgenannten Bestimmungen ist allerdings verboten, daß die Finanzbehörden die Versicherungen der zuständigen Behörden auf ihre Richtigkeit nachprüfen; sie verbieten aber nicht, daß die Finanzbehörde die Steuerbefreiung versagt, wenn andere für eine Versagung rechtserhebliche Tatsachen vorliegen, wenn also der hier insoweit unstreitige Sachverhalt ergibt, daß Träger der Arbeit ein Unternehmer ist, der nach dem Siedlungsrecht als solcher nicht zugelassen ist (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs V A 104/32 vom 10. November 1933, Slg. Bd. 34 S. 252, RStBl. 1933 S. 1359). Die Finanzbehörde ist an die Versicherung nur in tatsächlicher, nicht auch in rechtlicher Hinsicht gebunden (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs V A 571/36 vom 16. Juli 1937, Slg. Bd. 44 S. 306, dem der erkennende Senat beitritt. Dem Finanzamt ist mithin eine Nachprüfung der Versicherung der zuständigen Behörde lediglich insoweit untersagt, als die Versicherung feststellt, daß die Bgin. als Träger ein Kleinsiedlungsverfahren nach der Notverordnung vom 6. Oktober 1931 durchführt. Die hieran in der Versicherung geknüpfte Rechtsfolge der Steuerfreiheit unterliegt der Nachprüfung durch die Steuerbehörden und Steuergerichte und muß zur Versagung der Umsatzsteuervergütung führen, wenn feststeht, daß das Unternehmen als Träger eines Kleinsiedlungsverfahrens nach den Bestimmungen des Siedlungsrechts nicht zugelassen werden durfte. Eine weitergehende Einschränkung der Finanzbehörden über die durch die oben angeführte Rechtsprechung zu § 29 Abs. 2 RSiedlG gezogenen Grenzen hinaus könnte auch durch Ziff. 39 Abs. 2 KSB nicht herbeigeführt werden.

Da die Vorentscheidung dies verkannt hat, ist sie aufzuheben und die Berufung gegen den Bescheid des Finanzamts vom 1. Februar 1952 als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 307 der Reichsabgabenordnung.

 

Fundstellen

BStBl III 1954, 43

BFHE 1954, 341

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