Leitsatz (amtlich)

Die nach dem BefStG 1926 erhobene Beförderungsteuer ist keine unter die Vorschrift des § 222 AO fallende Steuer. § 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO ist auch nicht sinngemäß auf die Beförderungsteuer anwendbar.

 

Normenkette

AO § 222 Abs. 1 Nr. 2

 

Tatbestand

Der Beschwerdegegner (Bg.), der u. a. die Personenbeförderung mit Kraftomnibussen betreibt, hat die in den Monaten Januar 1949 bis einschließlich Dezember 1949 und in den Monaten Februar 1950 bis einschließlich Juli 1951 im Linienverkehr auf den Strecken durchgeführten Beförderungen in den monatlich eingereichten Nachweisungen als Beförderungen im Fernlinienverkehr mit Kraftfahrzeugen angemeldet. Entsprechend dieser Anmeldung und entsprechend der vom Bg. in den Nachweisungen unter Zugrundelegung eines Steuersatzes von 10,714 v. H. selbst errechneten Steuer hat das Finanzamt jeweils die Beförderungsteuer festgesetzt. Die Steuerfestsetzungen sind rechtskräftig geworden. Der Bg. machte später geltend, daß diese Steuerfestsetzungen sachlich unrichtig seien, da in den angemeldeten Beförderungsentgelten auch solche für Beförderungen im Ortslinienverkehr enthalten seien. Er habe im Linienverkehr auf den genannten Strecken nicht nur Fernlinienverkehr, sondern auch Ortslinienverkehr betrieben. Er sei deshalb bereits wiederholt beim Finanzamt vorstellig geworden; trotzdem habe das Finanzamt unter zu Unrecht erteilter Belehrung angeordnet, die Steuer so zu berechnen, wie er es getan habe.

Das Finanzamt lehnte den Antrag auf Berichtigung der rechtskräftig gewordenen Steuerfestsetzungen mit Bescheid vom 14.März 1952 ab. Nach dem Beförderungsteuergesetz (BefStG) und den §§ 223 und 224 der Reichsabgabenordnung (AO) sei eine Berichtigung rechtskräftig gewordener Steuerfestsetzungen nicht möglich. Auf eine Nachprüfung durch die Aufsichtsbehörde zwecks Feststellung eines Fehlers nach § 224 AO habe ein Steuerpflichtiger keinen Rechtsanspruch.

Auf die Sprungberufung des Bg., zu deren Begründung der Bg. auf die bei einer zwischenzeitlich durchgeführten Prüfung seines Betriebs getroffenen Feststellungen und auf die Vorschrift des § 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO verwies, hob das Finanzgericht den Bescheid vom 14. März 1952 auf und setzte die Steuer für die in Betracht kommenden Beförderungen in den genannten Zeiträumen unter grundsätzlicher Anerkennung des sachlichen Vorbringens des Bg. herab. Dem Finanzamt sei erstmalig durch den Antrag des Bg. vom 18. Oktober 1951 auf Berichtigung bekanntgeworden, daß der Bg. auf den genannten Linien auch Ortslinienverkehr betreibe. Es liege also insoweit eine neue Tatsache im Sinn des § 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO vor, nämlich eine durch eine Betriebsprüfung vor dem Ablauf der Verjährungsfrist bekanntgewordene neue Tatsache. Zwar habe die Betriebsprüfung nur eine vom Bg. dem Finanzamt bereits mitgeteilte neue Tatsache bestätigt; § 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO sei aber auch in einem solchen Fall anwendbar (Urteile des Reichsfinanzhofs VI A 1053/33 vom 6. Dezember 1933 -- Reichssteuerblatt (RStBl) 1934 S. 22 -- und V A 125/34 vom 15. Februar 1935 -- RStBl 1935 S. 485 --). Nun gehöre allerdings die Beförderungsteuer ebensowenig wie beispielsweise die Versicherungsteuer zu den unter § 222 AO fallenden Steuern; denn selbst wenn man Rechtsverordnungen einem Gesetz gleichstelle, wie das der Reichsfinanzhof in einem zur Aufbringungsumlage ergangenen Urteil getan habe (Urteil des Reichsfinanzhofs II A 30--31/24 vom 29. April 1924, RStBl 1924 S. 159), könne jedenfalls das für die Beförderungsteuer in den Zweiten vorläufigen Durchführungsbestimmungen zum Gesetz zur Änderung des Beförderungsteuergesetzes (Beförderungsteuer beim Personenverkehr mit Kraftfahrzeugen) -- II. Vorl. BefStDB -- vorgeschriebene Verfahren nicht zur Anwendung des § 222 AO auf die Beförderungsteuer führen. Die Steuerfestsetzung auf der Nachweisung und die Rückgabe eines Stückes der Nachweisung mit der Steuerfestsetzung sei kein Steuerbescheid, d. h. eine die Steuerzahlungspflicht erst begründende Maßnahme. Trotzdem aber müsse nach Ansicht des Finanzgerichts § 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO sinngemäß auch für die Steuern gelten, für die ein schriftlicher Bescheid gesetzlich nicht vorgeschrieben ist. Denn wenn schon die in ihrer Berichtigung durch § 222 AO besonders geschützten Bescheide zugunsten des Steuerpflichtigen berichtigt werden müßten, so müsse dies erst recht für Bescheide gelten, die nicht unter den Schutz des § 222 AO fallen. Der Anspruch des Bg. auf Berichtigung sei daher verfahrensrechtlich gegeben. Auch in sachlicher Hinsicht sei dem Bg. grundsätzlich recht zu geben, wobei auf das Urteil des Bundesfinanzhofs II 73/52 vom 13. August 1952 (Steuerrechtsprechung in Karteiform, II. Vorl. BefStDB § 3 Rechtsspruch 3) hingewiesen werde.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde des Vorstehers des Finanzamts führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht.

Auf Erstattung von sachlich zu Unrecht festgesetzter Beförderungsteuer, bei der die Festsetzung dem Beförderungsunternehmer bekanntgegeben und rechtskräftig geworden ist, hat der Beförderungsunternehmer rechtlich nur Anspruch, wenn die Steuerfestsetzung entsprechend berichtigt oder die festgesetzte Steuer im Billigkeitswege insoweit erlassen wird, als sie zu Unrecht festgesetzt worden ist. Zwar ist im § 94 Abs. 1 Ziff. 2 AO vorgeschrieben, daß das Finanzamt einen unanfechtbar gewordenen Bescheid nur zum Nachteil des Steuerpflichtigen zurücknehmen oder ändern darf, wobei es der Zustimmung des Steuerpflichtigen bedarf. Jedoch läßt die AO in den §§ 222 Abs. 1 Ziff. 2 und 4 und 224 die Berichtigung einer Steuerfestsetzung auch zugunsten des Steuerpflichtigen unter gewissen Voraussetzungen zu. Für die Anwendung der Vorschriften der §§ 222 Abs. 1 Ziff. 4 und 224 AO ist Voraussetzung, daß bei einer Nachprüfung durch die Aufsichtsbehörde vor dem Ablauf der Verjährungsfrist Fehler aufgedeckt werden, deren Berichtigung eine niedrigere Veranlagung (§ 222 Abs. 1 Ziff. 4) oder eine Herabsetzung der Steuer (§ 224) rechtfertigt. Der Fall der Aufdeckung eines Fehlers durch die Aufsichtsbehörde liegt im Streitfall nicht vor. Die Steuergerichte sind keine Aufsichtsbehörden in diesem Sinne (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs II 137/55 U vom 14. März 1956, Slg. Bd. 62 S. 372 = Bundessteuerblatt -- BStBl -- 1956 III S. 137 = Steuerrechtsprechung in Karteiform, AO § 92 Rechtsspruch 13b). Die Entscheidung im Streitfall hängt also davon ab, ob die Voraussetzung des § 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO für eine Berichtigung der Steuerfestsetzung gegeben ist. Nach dieser Vorschrift findet eine Änderung des Bescheids bei Steuern, bei denen die Verjährungsfrist mehr als ein Jahr beträgt -- dies trifft bei der Beförderungsteuer zu (§ 144 AO) -- und das Finanzamt nach Prüfung des Sachverhalts "einen besonderen, im Gesetz selber vorgesehenen schriftlichen Bescheid (Steuerbescheid,...) erteilt" hat, nur statt, wenn durch eine Betriebsprüfung vor dem Ablauf der Verjährungsfrist neue Tatsachen oder Beweismittel bekanntwerden, die eine niedrigere Veranlagung rechtfertigen.

Die Prüfung der Anwendbarkeit der vorbezeichneten Vorschrift auf den Streitfall ergibt zunächst, daß dem Finanzgericht zuzustimmen ist, wenn es hinsichtlich der Steuerfestsetzung auf dem dem Bg. jeweils übersandten Stück der Nachweisung (§§ 20, 29 der damals geltenden II. Vorl. BefStDB) das Vorliegen eines besonderen, im Gesetz selber vorgesehenen schriftlichen Bescheids verneint. Unter § 222 AO fallen nur Bescheide über Steuern, für die ein Steuerermittlungsverfahren (§ 204 ff. AO) mit abschließendem, die Zahlungspflicht begründenden Steuerbescheid im Sinne des § 210b und § 211 AO gesetzlich vorgeschrieben ist (im folgenden kurz förmlicher Steuerbescheid genannt). Das ist bei der Beförderungsteuer nach der vom Senat in ständiger Rechtsprechung als richtig bestätigten Auffassung der Finanzverwaltungsbehörden nicht der Fall. Vgl. hierzu auch Hübschmann-Hepp-Spitaler, AO, § 222 Anm. 4, und Riewald, AO, § 222 Anm. 3a und 4a. Es ist ferner dem Finanzgericht beizupflichten, wenn es keine die Anwendung der Vorschrift des § 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO ausschließende Bedeutung dem Umstand beimißt, daß der Bg. nach der Steuerfestsetzung, aber bereits vor der Betriebsprüfung, dem Finanzamt von den bei der Betriebsprüfung festgestellten Tatsachen Mitteilung gemacht hatte.

Jedoch kann dem Finanzgericht nicht zugestimmt werden, wenn es trotz seiner Erkenntnis, daß die Beförderungsteuer nicht zu den unter § 222 AO fallenden Steuern gehört, die Vorschrift des § 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO für auf die Beförderungsteuer sinngemäß anwendbar hält. Entgegen der Ansicht des Finanzgerichts kann daraus, daß die durch § 222 AO besonders geschützten Bescheide unter gewissen Voraussetzungen auch zugunsten des Steuerpflichtigen berichtigt werden müssen, nicht gefolgert werden, daß dieses erst recht für Bescheide gelten müsse, die nicht unter den Schutz des § 222 AO fallen. Dies ergibt sich aus der Entstehung der Vorschrift des § 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO. Die AO 1919 kannte überhaupt keine Berichtigung rechtskräftig gewordener Steuerbescheide zugunsten des Steuerpflichtigen. Sie ließ im § 212 Abs. 1 AO, dem der § 223 der jetzt geltenden AO entspricht, nur die Nachforderung von Steuern bis zum Ablauf der Verjährungsfrist zu, gleichgültig, ob es sich um Steuern handelte, für die ein besonderer, im Gesetz selbst vorgesehener schriftlicher Bescheid erlassen worden ist, der ein förmliches Verfahren mit der Möglichkeit der erschöpfenden Feststellung des Sachverhalts unter Mitwirkung des Steuerpflichtigen voraussetzt, oder ob es sich um sonstige Steuern, z. B. die Beförderungsteuer, handelte. Diese Nachforderungsmöglichkeit wurde im § 212 Abs. 2 AO 1919, dem die Vorschrift des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 der geltenden AO entspricht, eingeschränkt bei den Steuern, für die ein besonderer, im Gesetz selber vorgesehener schriftlicher Bescheid erlassen worden ist. Bei diesen Steuern war eine Neuveranlagung nur beim Bekanntwerden von neuen Tatsachen oder Beweismitteln zulässig, die eine höhere Veranlagung rechtfertigen. Bei diesen Steuern war also der Steuerpflichtige vor Nachforderungen in einem gewissen Umfange geschützt. Später wurde dieser sich nur auf sogenannte Veranlagungsteuern beziehende Rechtszustand bei der Neufassung der Vorschriften über die Berichtigungsveranlagung durch die Notverordnung vom 1. Dezember 1930 (Reichsgesetzblatt 1930 I S. 517, 559) geändert, und zwar durch Schaffung der Vorschrift des § 212 Abs. 1 Ziff. 2, jetzt § 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO. Während vordem dem Pflichtigen bei den sogenannten Veranlagungsteuern stets die volle Verantwortung für die Richtigkeit und Vollständigkeit seiner Angaben auferlegt war, wurde nunmehr zugunsten des Steuerpflichtigen die Ausnahme des § 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO geschaffen. Der Grund lag darin, daß im Wege der Betriebsprüfung die Veranlagungen mehrerer Jahre zusammengefaßt überprüft werden und es nicht angängig erschien, die dabei bekanntwerdenden neuen Tatsachen sich einseitig in den Jahren auswirken zu lassen, in denen sich eine Erhöhung der Steuer ergab. Damit wurde aber nichts an dem Rechtszustand geändert, der hinsichtlich der Steuern bestand, für die -- wie bei der Beförderungsteuer -- kein förmlicher Steuerbescheid vorgesehen ist. Wenn der Gesetzgeber eine derartige Änderung auch bei diesen Steuern gewollt hätte, so hätte er dies besonders zum Ausdruck bringen müssen, da es sich um eine Ausnahmevorschrift handelt. Es kann dahingestellt bleiben, ob eine solche Änderung den rechtsstaatlichen Grundsätzen besser entsprochen hätte. Jedenfalls kann es nicht Aufgabe der Rechtsprechung sein, den Gesetzgeber zu ersetzen. Zwar kann im Wege der Auslegung vom Wortlaut einer Vorschrift abgegangen werden. Dies wäre nur dann möglich, wenn die wörtliche Auslegung der Vorschrift zu einem sinnwidrigen Ergebnis führen würde (vgl. z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs V 41/53 S vom 17. September 1953, Slg. Bd. 58 S. 41 = BStBl 1953 III S. 307 = Steuerrechtsprechung in Karteiform, Gesetz zur Förderung der Wirtschaft von Berlin (West) § 3 Rechtsspruch 1, ferner Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2 BvH 2/52 vom 21. Mai 1952, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 1 S. 299, 312). Von einem sinnwidrigen Ergebnis aber kann bei Verneinung der Anwendbarkeit der Vorschrift des § 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO auf die Beförderungsteuer angesichts der bewußten grundsätzlichen Schlechterstellung des Steuerpflichtigen gegenüber dem Fiskus bei Berichtigung von rechtskräftig gewordenen Steuerbescheiden (vgl. Gutachten des Reichsfinanzhofs Gr. S. D 2/31 vom 9. Juli 1932, Slg. Bd. 31 S. 329, RStBl 1932 S. 700) und angesichts des Ausnahmecharakters der Vorschrift des § 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO keine Rede sein.

Hiernach war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Der Bg. beantragt in seinem Schreiben vom 18. Oktober 1951 schlechthin die Berichtigung der in Betracht kommenden Steuerfestsetzungen. Sein Antrag umfaßt somit auch die Berichtigungsmöglichkeit nach § 224 AO, nämlich auf Berichtigung nach Aufdeckung eines Fehlers durch die Aufsichtsbehörde bei einer Nachprüfung der Steuerfestsetzungen. Das Finanzamt hat auch den hierauf abzielenden Antrag abgelehnt. Mit dieser Ablehnung hat sich das Finanzgericht, weil dies bei seiner Entscheidung nicht notwendig war, noch nicht befaßt. Die Sache war daher zur erneuten Prüfung und Entscheidung an das Finanzgericht zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408796

BStBl III 1957, 370

BFHE 1958, 360

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