Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Mitteilung eines Zollamts an den Steuerpflichtigen, er könne nicht gleichzeitig ein Rechtsmittel einlegen und Erlaß der Abgaben beantragen, sondern nur eines von beiden, enthält eine unzutreffende Rechtsmittelbelehrung.

 

Normenkette

AO §§ 131, 228; FGO § 33; AO § 246/3, § 237/2, §§ 248, 235, 253, 243

 

Tatbestand

Die Firma X, die Beschwerdeführerin (Bfin.) 1, führte über das Zollamt ..... zwei Sendungen Schweinespeck aus Italien ein. Das Zollamt sah die Sendungen als Gemenge von frischem und gesalzenem Schweinespeck an. Es forderte von der Bfin. 1 unter Anwendung des § 13 des Zolltarifgesetzes (ZTG) nach der Tarifnr. 0205-C, Zollsatz 21 % des Wertes, durch die beiden nicht förmlichen Bescheide vom 3. März 1954 insgesamt ..... DM Eingangsabgaben. Mit Schreiben vom 5. März 1954 beanstandete die Bfin. 1 die Anwendung des Zollsatzes von 21 % und legte mit Schreiben vom 15. März 1954 wegen der Anwendung dieses Zollsatzes ausdrücklich Beschwerde ein. Sie begehrte Behandlung der Ware als frischen Schweinespeck nach der Tarifnr. 0205-A-, 10 % des Wertes, in der damals gültigen Fassung, und Rückerstattung des Unterschiedsbetrages von 11 % zuzüglich der Umsatzausgleichsteuer aus Billigkeitsgründen. Das Zollamt forderte die Bfin. zu 1 mit Schreiben vom 1. April 1954 zu einer Erklärung darüber auf, ob die Schreiben vom 5. und 15. März 1954 als Einspruch oder als Antrag auf Billigkeitserlaß des Unterschiedsbetrages aufzufassen seien, und teilte ihr mit, daß "nur eines der beiden Mittel zur gleichen Zeit möglich" sei. Die Bfin. antwortete mit Schreiben vom 7. April 1954: ... "Sodann bitten wir unsere Schreiben vom 5. März und 15. März 1954 als Antrag auf Erlaß aus Billigkeitsgründen anzusehen und uns die Unterschiedsbeträge ... auf dem Billigkeitswege zu erstatten." Der Billigkeitsantrag der Bfin. 1 wurde durch Bescheid des Zollamts vom 16. Oktober 1954 und durch die Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion vom 31. Januar 1955 abgelehnt. Das hierüber anhängige Berufungsverfahren wurde durch Beschluß des Finanzgerichts vom 16. Juli 1956 bis zum rechtskräftigen Abschluß dieses Verfahrens ausgesetzt.

Mit Schreiben vom 4. Juli 1955 an das Hauptzollamt baten die Bevollmächtigten der Bfin. 1, eine Entscheidung über ihren Einspruch vom 5. und 15. März 1954 gegen die Festsetzung des Zollsatzes in Höhe von 21 % des Wertes zu treffen. Das Hauptzollamt verwarf den Einspruch mit der Begründung als unzulässig, daß das Schreiben der Bfin. vom 7. April 1954 zugleich auch als eine Zurücknahme des Rechtsmittels zu werten sei. Das Finanzgericht sah das Rechtsmittel als zulässig an, weil die Zurücknahme des Rechtsmittels nicht eindeutig erklärt worden sei. Die Vorinstanz ist der Auffassung, daß das Zollamt auch dadurch gegen Treu und Glauben verstoßen habe, daß es in Kenntnis der Aussichtslosigkeit des Billigkeitsantrages dies der Bfin. verschwiegen habe. In der Sache selbst hat die Vorinstanz dahin entschieden, daß ein Gemenge von frischen und gesalzenen Schweinespeckseiten begrifflich nicht vorliegen könne. Unter Schätzung des Anteils der frischen und gesalzenen Speckseiten entsprechend dem Untersuchungsergebnis (4 : 1) ermäßigte die Vorinstanz die Abgabenforderung.

Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) verlangt die Bfin. 1 Tarifierung der gesamten Ware als frischen Schweinespeck nach Tarifnr. 0205-A, Zollsatz 10 % des Wertes, und demzufolge eine weitere Ermäßigung des Abgabenbetrages.

Der Vorsteher des Hauptzollamts, der Beschwerdeführer (Bf.) 2, beanstandet mit seiner Rb. die Entscheidung der Vorinstanz in vollem Umfange. Er rügt Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten. Er wendet ein, daß die Bfin. 1 nicht ein Rechtsmittel eingelegt, sondern lediglich einen Antrag auf Erstattung aus Billigkeitsgründen gestellt habe.

Der Bundesminister der Finanzen, der dem Verfahren beigetreten ist, hat sich nur zur Verfahrensfrage geäußert. Er vertritt gleichfalls die Auffassung des Vorstehers des Hauptzollamts.

 

Entscheidungsgründe

Die beiden Rbn. führen zur Aufhebung der Vorentscheidung.

I. In verfahrensrechtlicher Beziehung hat die Vorinstanz zutreffend ausgeführt, daß die Bfin. mit ihrem Schreiben vom 7. April 1954 nicht auf die Durchführung der gegen die formlosen Steuerbescheide vom 3. März 1954 eingelegten Rechtsmittel verzichtet habe. Der Bundesfinanzhof hat in dem Urteil I 186/54 U vom 2. August 1955, Slg. Bd. 61 S. 345, Bundessteuerblatt (BStBl) 1955 III S. 331, ausgeführt, es sei mit der Rechtssicherheit und dem Rechtsschutz des Steuerpflichtigen nicht vereinbar, in ihrer Tragweite zweifelhafte Erklärungen und Handlungen des Steuerpflichtigen zuungunsten des Steuerpflichtigen als Rechtsmittelverzicht auszulegen. Ein Rechtsmittelverzicht müsse eindeutig erklärt werden. Das Finanzgericht hat zutreffend ausgeführt, daß eine solche eindeutige Erklärung durch die Firma X nicht vorliege. Auch eine Zurücknahme des Rechtsmittels durch die Firma X ist nicht gegeben. Die Firma hat mit dem Schreiben vom 5. März 1954 ausdrücklich die Verzollung der Ware als gesalzenen Speck zum Zollsatz von 21 % beanstandet. Mit dem Schreiben vom 15. März 1954 hat sie sogar ausdrücklich gegen die Anwendung des Zollsatzes von 21 % Beschwerde eingelegt. Diese Rechtsmitteleinlegung wird nicht dadurch gegenstandslos, daß die Firma mit beiden Schreiben zugleich einen Zollerlaß bzw. eine Zollerstattung aus Billigkeitsgründen beantragt hat. Sie ist berechtigt, beides gleichzeitig zu tun. Das Zollamt, das mit Schreiben vom 1. April 1954 bei der Firma angefragt hat, ob die Firma die Schreiben vom 5. und 15. März 1954 als Einspruch oder als Billigkeitsantrag aufgefaßt wissen wolle, hat in dieser Anfrage unzutreffend ausgeführt: "Eines der beiden Mittel ist zur gleichen Zeit nur möglich." Das war eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung. Selbst wenn man die Schreiben der Firma an das Hauptzollamt nur als Antrag auf Zollerlaß aus Billigkeit ansehen wollte, so wäre infolge der falschen Rechtsmittelbelehrung, die innerhalb des Laufs der Rechtsmittelfrist vorgenommen wurde, die Rechtsmittelfrist gegen die formlosen Steuerbescheide vom 3. März 1954 nicht in Lauf gesetzt (ß 246 Abs. 3 der Reichsabgabenordnung). Der Senat stimmt auch der Auffassung des Finanzgerichts zu, daß es im vorliegenden Falle, in dem die Firma X den Abgabenerlaß aus Billigkeitsgründen im Hinblick auf einen Erlaß des Bundesministers der Finanzen beantragt hatte, Treu und Glauben entsprochen hätte, wenn das Zollamt der Firma sofort mitgeteilt hätte, daß die Voraussetzungen dieses Erlasses nicht gegeben seien.

Zutreffend hat deshalb die Vorinstanz die Einspruchsentscheidung des Hauptzollamts, die den eingelegten Einspruch als unzulässig verworfen hatte, aufgehoben und in der Sache selbst entschieden.

 

Fundstellen

BStBl III 1958, 118

BFHE 1958, 308

BFHE 66, 308

StRK, AO:131 nF R 7

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