Entscheidungsstichwort (Thema)

Handelsrecht Gesellschaftsrecht Verfahrensrecht/Abgabenordnung Zollrecht

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage der Wirkung einer verbindlichen Zollauskunft, die einem Dritten erteilt worden ist.

Die Anweisung eines Hauptzollamts an ein ihm unterstelltes Zollamt, die Einführer bestimmter Waren innerhalb eines bestimmten Zeitraumes festzustellen und von ihnen Abgabebeträge nachzuerheben, ist eine Handlung, die zur Feststellung eines Abgabenanspruchs und des Abgabenschuldners vorgenommen wird. Sie unterbricht die Verjährung gegenüber allen Einführern der Waren innerhalb des bestimmten Zeitraumes.

 

Normenkette

AO §§ 147, 223; ZG § 63; AZO § 86

 

Tatbestand

Streit besteht darüber, ob die Nachforderung von 157,95 DM Zoll und Umsatzausgleichsteuer für eine Sendung Plantagensohlenkrepp, die die Beschwerdeführerin (Bfin.) am 2. September 1951 dem Zollamt P zur Abfertigung zum freien Verkehr gestellt hat, zu Recht besteht. Die Sendung wurde ursprünglich zoll- und umsatzausgleichsteuerfrei abgelassen. Es lag zu jener Zeit eine verbindliche Zollauskunft der Oberfinanzdirektion K vom 25. März 1951 Z A 6/1951 - Z 2210 - Tarifnr. 98 - Z 22 - vor, die einer Firma X in P für die gleiche Ware erteilt worden war. Nach dieser Zollauskunft war die bezeichnete Ware der Tarifnr. 98 (alt) zum Zollsatz von 90 DM/dz zugewiesen. Auf Grund der damals gültigen Zollbegünstigungsliste war für Waren der genannten Tarifnr. Zollfreiheit vorgesehen. Der Zoll war zinslos zu stunden. Nach der damals geltenden Freiliste 1 waren Waren der Tarifnr. 98 umsatzausgleichsteuerfrei.

Die Oberfinanzdirektion wies durch Verfügung vom 24. September 1952 Z 2210 B - Z 22 - die ihr nachgeordneten Hauptzollämter an, die in der verbindlichen Zollauskunft vom 25. März 1951 bezeichneten Waren bis zum 30. September 1951 der Tarifnr. 579 (alt) zum Zollsatz von 120 DM/dz zuzuweisen, da nach dem Erlaß des Bundesministers der Finanzen vom 5. Oktober 1950 - III AZ 2210 (7) - 43/50 und nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs II z 129/51 U vom 18. Januar 1952 diese Tarifnr. für die bezeichneten Waren zutreffend sei. Sie ersuchte die Hauptzollämter ihres Bereichs weiter, von allen Einführern der bezeichneten Waren mit Ausnahme der Firma X, der die verbindliche Zollauskunft erteilt worden war und die deshalb den Schutz des § 86 der Allgemeinen Zollordnung (AZO) genoß, die nicht erhobenen Abgaben nachzufordern. Das Hauptzollamt K gab am 2. Oktober 1952 die Anweisung der Oberfinanzdirektion auch an das ihm unterstellte Zollamt P weiter mit dem Auftrage, entsprechend der Verfügung der Oberfinanzdirektion zu verfahren. Das Zollamt P stellte im Laufe des Monats November 1952 in einer Liste alle Verzoller, die bis zum 30. September 1951 Plantagensohlenkrepp zur Abfertigung gestellt hatten, zusammen. In dieser Liste ist auch der Bezug der Bfin. vom 7. September 1951 unter laufender Nummer 75 enthalten.

Das Zollamt P erließ am 27. Dezember 1953 gegen die Bfin. über einen Abgabenbetrag von 157,95 DM einen Steuerbescheid, der am gleichen Tage zur Post gegeben wurde. Die gegen diesen Bescheid gerichtete Anfechtung blieb erfolglos.

Mit der Rechtsbeschwerde macht die Bfin., wie bereits im Anfechtungsverfahren, geltend, die Ware sei zunächst auf Grund einer zwar nicht ihr erteilten verbindlichen Zollauskunft, die in der Schuhindustrie aber allgemein bekannt gewesen sei, abgabenfrei abgefertigt worden. Die Bfin. habe im Vertrauen darauf Abgabenbeträge nicht kalkuliert. Die Nachforderung sei deshalb unzumutbar und widerspreche der Billigkeit. Im übrigen sei die Abgabenforderung verjährt.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

Zur Zeit der Abfertigung war Plantagensohlenkrepp der vorliegenden Beschaffenheit als Kautschukware der Tarifnr. 579 (alt) zum Zollsatz von 120 DM/dz zuzuweisen. Dies wird von der Bfin. auch nicht bestritten. Nach Maßgabe dieses Zollsatzes ist die Zollschuld in der Person der Bfin. mit der Abfertigung zum freien Verkehr entstanden (§§ 45 Abs. 1, 47 Abs. 1 des Zollgesetzes - ZG -). Obwohl die Bfin. zunächst von einer Abgabenschuld freigestellt wurde, war nach § 223 der Reichsabgabenordnung (AO) die Nachforderung zulässig. Die Nachforderung nach § 223 AO liegt nicht im Ermessen der Zollbehörde; die Behörde ist vielmehr verpflichtet, berechtigte Nachforderungen auch geltend zu machen (siehe Urteil des Reichsfinanzhofs V z A 182/35 vom 27. August 1937, Slg. Bd. 42 S. 92 ff., 96). Von der Nachforderung ist jedoch dann abzusehen, wenn sie nach Lage des Falles dem Grundsatz von Treu und Glauben widersprechen würde. Ein Verstoß gegen diesen Rechtsgrundsatz kann im Streitfalle in der Nachforderung jedoch nicht erblickt werden. Die im Zeitpunkt der Abfertigung vorliegende verbindliche Zollauskunft, die die Waren als abgabenfrei bezeichnete und auf die die Bfin., der sie bekannt war, vertraut haben will, schützt nach § 86 AZO lediglich den Antragsteller, dem sie erteilt worden ist. Die Bfin. kann sich deshalb auf sie nicht berufen. Sie hätte sich durch einen eigenen Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Zollauskunft diesen Schutz gleichfalls sichern können. Insoweit liegt auch kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) vor, da nur der Antragsteller der verbindlichen Zollauskunft auf Grund gesetzlicher Vorschrift den besonderen Schutz, den sie gewährt, genießt.

Die hiernach begründete Nachforderung ist auch nicht verjährt. Die Abgabenschuld entstand mit der Abfertigung zum freien Verkehr im September 1951. Sie wäre mit Ablauf des Jahres 1952 verjährt, wenn nicht vor diesem Zeitpunkt eine die Verjährung unterbrechende Handlung Platz gegriffen hätte. Das war der Fall. In der Anweisung des Hauptzollamts vom 2. Oktober 1952 an das ihm unterstellte Zollamt P, von allen Einführern der bezeichneten Ware - mit Ausnahme der Firma, der die verbindliche Zollauskunft erteilt worden war -, die Eingangsabgaben für Einfuhren bis zum 30. September 1951 nachzuerheben, liegt eine Handlung, die das zuständige Finanzamt zur Feststellung des Anspruchs und des Verpflichteten vorgenommen hat (ß 147 Abs. 1 AO). Das Hauptzollamt mußte sich an das Zollamt wenden, bei dem die Abfertigungen durchgeführt worden und die erforderlichen Unterlagen vorhanden waren. Der Auftrag zur Nachprüfung und Nacherhebung der Abgaben an das Zollamt ist in seiner Wirkung ebenso zu beurteilen, als ob das Hauptzollamt zwecks eigener Feststellung die Unterlagen angefordert hätte. In solchem Falle hätte das Hauptzollamt eine Handlung zur Feststellung des Anspruchs und des Verpflichteten vorgenommen. Die Maßnahme des Hauptzollamts war zwar nicht an die Bfin., wohl aber gegen sie gerichtet. Das aber reicht aus. Sie war auch nicht eine Handlung rein innerdienstlicher Natur, sie wirkte, da eine andere - wenn auch unterstellte - Behörde beauftragt wurde, erkennbar nach außen. Nach § 147 Abs. 3 AO begann damit eine Verjährungsfrist bis zum Ende des Jahres 1953 zu laufen. Durch den Steuerbescheid vom 27. Dezember 1953, der eine Zahlungsaufforderung an die Bfin. enthielt, wurde die Verjährung erneut bis zum Ende des Jahres 1954 unterbrochen. In dem Schreiben des Zollamts P vom 21. Dezember 1954 - S 1153 B - an die Bfin., durch das die Zahlungsaufforderung über den nachgeforderten Abgabenbetrag aufrechterhalten wird, liegt eine weitere Unterbrechung. Am 11. Juni 1955 ist schließlich die Stundung des Abgabenbetrags bis zur Entscheidung der Rechtsbeschwerde durch den Bundesfinanzhof bewilligt worden. Damit ist eine Verjährung bis heute nicht eingetreten.

Soweit die Bfin. die Nachforderung als unbillig (ß 131 AO) bezeichnet, war darüber in diesem Verfahren, in dem lediglich über die Rechtsfrage zu entscheiden war, nicht zu befinden.

Da die Abgabenberechnung zu Beanstandungen keinen Anlaß gibt, war die Rechtsbeschwerde, wie geschehen, mit der Kostenfolge aus § 307 AO als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408663

BStBl III 1957, 123

BFHE 64, 328

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