Entscheidungsstichwort (Thema)

Negative Feststellungen in einem Gewinnfeststellungsbescheid

 

Leitsatz (NV)

Läßt der Tenor eines Gewinnfeststellungsbescheides Raum zu Zweifeln, so sind zur Auslegung die Gründe heranzuziehen. Das gilt auch für die Feststellung in den Gründen des Bescheides, daß ein ehemaliger Gesellschafter nicht mehr Mitunternehmer sei.

 

Normenkette

EStG § 15 Abs. 1 Nr. 2, § 16

 

Verfahrensgang

FG München

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war als Kommanditist mit 75 v. H. am Gesellschaftsvermögen sowie am Gewinn und Verlust einer -- seit 1969 bestehenden und 1991 voll beendeten -- KG beteiligt. Seine Einlage hat er durch Einbringung seines Gewerbebetriebs geleistet; sie wurde auf einem Festkapitalkonto erfaßt. Gewinne und Verluste waren auf den Privatkonten der Gesellschafter zu buchen, ebenso die Zinsen aus der Verzinsung der Salden auf diesen Konten. Soweit die Guthaben auf den Privatkonten zur Abdeckung von Verlusten nicht ausreichten, waren sie von den Kapitalkonten abzubuchen; die Kapitalkonten mußten aus späteren Gewinnen wieder aufgefüllt werden.

Am 28. Februar 1977 vereinbarten die Kommanditisten anläßlich der Übernahme von 13,5 v. H. des Kommanditanteils des Klägers durch einen anderen Kommanditisten unter anderem: "Herr A. scheidet zum 31. Dezember des Jahres ohne Entschädigung aus der Gesellschaft aus, in dem der Saldo zwischen Verlustvortragskonto und Privatkonto (Forderung an Kommanditisten) des Herrn A. einerseits und seinem Kapitalkonto (feste Einlage) andererseits null beträgt. In Abweichung von §9 des Gesellschaftsvertrages wird vereinbart, daß Herr A. zu Lasten seines Privatkontos nur Beträge in der Höhe entnehmen darf, wie sie für die Bezahlung der auf seine Beteiligung entfallenden persönlichen Steuern und Abgaben notwendig sind, wobei Progressionserhöhungen infolge anderer Einkünfte zu berücksichtigen sind."

In der Gesellschafterversammlung vom 27. Oktober 1982 wurden die Beteiligungsverhältnisse erneut geändert. Danach war der Kläger nur noch mit einer Einlage von 48 000 DM am Gesellschaftsvermögen und mit 23,80 v. H. am Gewinn und Verlust der KG beteiligt.

Am 6. November 1987 wurde der -- in diesem Zeitpunkt über 55 Jahre alte -- Kläger als Gesellschafter aus der KG ausgeschlossen. Die auf seinen Gesellschaftsanteil entfallenden Einkommensteuern 1984 bis 1986 in Höhe von 10 690 DM und für 1987 in Höhe von 14 310 DM wurden ihm erstattet. Sein vor dem 31. Dezember 1984 entstandenes negatives Kapitalkonto belief sich in diesem Zeitpunkt auf 186 430,33 DM. Zum Ausgleich dieses Kontos war er nach dem Beschluß vom 6. November 1987 und in Abänderung der Vereinbarung vom 28. Februar 1977 nicht mehr verpflichtet. Von den im Betriebsvermögen der KG enthaltenen stillen Reserven entfielen auf ihn (23,80 v. H. von 48 439 DM =) 11 497 DM.

Die KG ermittelte in ihrer Erklärung über die gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellung 1987 für den Kläger einen Veräußerungsgewinn in Höhe von 199 932,77 DM. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) stellte den Veräußerungsgewinn nach Abzug von Sonderbetriebsausgaben in Höhe von 5 297,73 DM zunächst mit 194 635 DM fest, erhöhte den Gewinn dann aber in der Einspruchsentscheidung um den Anteil des Klägers an den stillen Reserven des Gesellschaftsvermögens auf (194 635 DM + 11 497 DM =) 206 132 DM. Den Freibetrag nach §16 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gewährte es nur im Verhältnis des Anteils des Klägers an den stillen Reserven, also mit (23,80 v. H. aus 120 000 DM =) 28 560 DM.

Mit der Klage begehrte der Kläger zunächst nur die Feststellung, daß ihm der Freibetrag nach §16 Abs. 4 EStG in voller Höhe zustehe.

Die Klage hatte keinen Erfolg (Finanzgericht -- FG -- München, Urteil vom 15. Juli 1992 1 K 4205/89, Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 1993, 78). Das Revisionsverfahren hat der Bundesfinanzhof (BFH) wegen eines inzwischen ergangenen und ebenfalls mit der Klage angefochtenen Änderungsbescheides in derselben Sache ausgesetzt.

In diesem Änderungsbescheid hatte das FA zunächst einen Veräußerungsgewinn von 164 280 DM und einen laufenden Gewinn von 41 853 DM ermittelt, bestätigte dann aber im Einspruchsverfahren seine im Erstbescheid vertretene Auffassung. Der Tenor der Einspruchsentscheidung lautete: "Unter Abänderung des geänderten Bescheides vom 20. Oktober 1992 wird der Gewinn mit unverändert 379 074 DM festgestellt. Darin enthalten ist jedoch für Herrn A. ein auf 0 DM verminderter Anteil an den laufenden Einkünften und ein auf 206 133 DM erhöhter Veräußerungsgewinn. Sein Anteil am Freibetrag nach §16 Abs. 4 EStG beträgt unverändert 23,8 v. H."

In den Gründen der Einspruchsentscheidung ist u. a. ausgeführt, daß im Streitjahr 1987 eine steuerliche Mitunternehmerschaft nicht mehr bestanden habe und dem Kläger deshalb ein Anteil am laufenden Gewinn nicht mehr zuzurechnen sei. Gleichwohl habe er einen Veräußerungsgewinn zu versteuern, weil in dem Verzicht der übrigen Gesellschafter auf den Ausgleich seines negativen Kapitalkontos eine nachträgliche Erhöhung des bei seinem Ausscheiden im Jahr 1977 entstandenen Aufgabegewinns zu sehen sei.

Mit der gegen diesen Bescheid gerichteten Klage machte der Kläger nunmehr -- erstmals -- auch geltend, daß der Veräußerungsgewinn 0 DM betragen habe, weil er -- der Kläger -- im Streitjahr 1987 nicht mehr Mitunternehmer gewesen sei. Er habe nach der Vereinbarung vom 28. Februar 1977 auf freie Entnahmen verzichten und ohne Entschädigung aus der Gesellschaft ausscheiden müssen und deshalb kein Mitunternehmerrisiko mehr getragen. Er habe auch tatsächlich keine Mitunternehmerinitiative mehr entfaltet; er habe vielmehr seine Mitarbeit im Betrieb der KG vollständig beendet. Er sei nur noch Gesellschafter ohne Mitunternehmerqualifikation gewesen. Hilfsweise beantragte er, daß ihm ein Freibetrag nach §16 Abs. 4 EStG in Höhe von 120 000 DM zu gewähren sei. Das FG wies die Klage als unbegründet ab. Es ließ die Revision unter Hinweis auf den Beschluß des BFH vom 6. September 1993 VIII B 102/92 zu, in dem der erkennende Senat ausgeführt hatte, daß die Rechtssache hinsichtlich der Auswirkungen der Auflösung eines negativen Kapitalkontos auf die Ermittlung des Freibetrags nach §16 Abs. 4 EStG grundsätzliche Bedeutung habe.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts (§15 Abs. 1 Nr. 2, §16 Abs. 4 EStG).

Der Kläger beantragt,

1. das Urteil des FG aufzuheben und den auf den Kläger entfallenden Veräußerungsgewinn mit 0 DM festzustellen,

2. hilfsweise, den auf den Kläger entfallenden Freibetrag nach §16 Abs. 4 EStG mit 120 000 DM festzustellen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage im Hauptantrag (§126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

1. Der erkennende Senat legt das Begehren des Klägers dahin aus, daß Streitgegenstand nur die Feststellung eines Veräußerungsgewinns in dem Gewinnfeststellungsbescheid 1987 i. d. F. der Einspruchsentscheidung vom 6. Juli 1994 ist. Der Kläger hat mit seiner Klage nur diese Feststellung angegriffen; die übrigen Feststellungen hingegen sind bestandskräftig geworden (vgl. zu den Grundsätzen, die die Rechtsprechung zur Anfechtung von selbständgen Regelungen in Feststellungsbescheiden entwickelt hat, BFH-Urteil vom 10. Februar 1988 VIII R 352/82, BFHE 152, 414, BStBl II 1988, 544; BFH-Beschluß vom 23. Oktober 1989 GrS 2/87, BFHE 159, 4, BStBl II 1990, 327, m. w. N.).

Der Kläger hat sowohl in seiner Klageschrift vom 3. August 1994 als auch in der mündlichen Verhandlung vor dem FG den Antrag gestellt, den auf ihn entfallenden Veräußerungsgewinn auf 0 DM, hilfsweise auf einen um einen Freibetrag von 120 000 DM verminderten Betrag herabzusetzen. Diesen Antrag hat er mit seiner Revision weiter verfolgt. Er war bei Klageerhebung davon ausgegangen, zwischen den Beteiligten bestehe darin Übereinstimmung, daß er seit 1977 kein Mitunternehmer mehr sei.

Erst nachdem das FG in seiner Aufklärungsanordnung den Beteiligten anheim gegeben hatte, zu der Frage einer fortbestehenden Mitunternehmerschaft Stellung zu nehmen, machte der Kläger auch hierzu Ausführungen. Dies reicht jedoch zur Annahme einer Klageerweiterung nicht aus, zumal der Kläger in der nachfolgenden mündlichen Verhandlung seinen ursprünglichen Klageantrag aufrecht erhielt.

2. Das FA war nicht berechtigt, in seinem Gewinnfeststellungsbescheid in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. Juli 1994 für das Streitjahr 1987 einen Veräußerungsgewinn des Klägers festzustellen. Es durfte ihm für das Streitjahr keinen Veräußerungsgewinn mehr zurechnen. Denn es hatte durch die Einspruchsentscheidung vom 6. Juli 1994 für die Beteiligten bindend festgestellt, daß der Kläger im Streitjahr kein Mitunternehmer war. Diese negative Feststellung ergibt sich bei Auslegung der Einspruchsentscheidung.

a) Der erkennende Senat kann die vom FG unterlassene Auslegung der Einspruchsentscheidung vom 6. Juli 1994 uneingeschränkt selbst nachholen. Verwaltungsakte sind unter Heranziehung des Rechtsgedankens von §§133 und 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) auszulegen. Dabei ist nach der ständigen Rechtsprechung des BFH (Urteile vom 28. November 1985 IV R 178/83, BFHE 145, 226, BStBl II 1986, 293; vom 2. Juli 1987 VII R 86/84, BFH/NV 1988, 141; vom 18. Juli 1994 X R 33/91, BFHE 175, 294, BStBl II 1995, 4; Beschluß vom 9. März 1995 X B 242/94, BFH/NV 1995, 858; Urteil vom 18. Februar 1997 VII R 96/95, BFHE 172, 282, BStBl II 1997, 339) der objektive Erklärungsinhalt der Regelung maßgeblich, wie ihn der Steuerpflichtige nach den ihm bekannten Umständen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte. Im Zweifelsfalle ist das den Betroffenen weniger belastende Auslegungsergebnis vorzuziehen; denn der Empfänger einer auslegungsbedürftigen Willenserklärung der Verwaltung darf durch etwaige Unklarheiten aus ihrer Sphäre nicht benachteiligt werden. Läßt der Tenor der Verwaltungsentscheidung Raum zu Zweifeln, so sind zum Zwecke der Auslegung auch die Gründe heranzuziehen (BFH-Urteile in BFHE 145, 226, BStBl II 1986, 293; in BFH/NV 1988, 141).

Der Tenor der Einspruchsentscheidung vom 6. Juli 1994 ist mehrdeutig und daher auslegungsbedürftig, soweit es darin heißt: "Darin enthalten ist jedoch für Herrn A. ein auf 0 DM verminderter Anteil an den laufenden Einkünften und ein auf 206 133 DM erhöhter Veräußerungsgewinn." Ein einen anteiligen Gewinn von 0 DM feststellender Bescheid kann im Einzelfall ein positiver oder aber auch ein negativer Gewinnfeststellungsbescheid sein (BFH-Urteile in BFHE 145, 226, BStBl II 1986, 293; vom 7. Oktober 1986 IX R 16/86, BFH/NV 1987, 141; FG Brandenburg, Urteil vom 9. Oktober 1996 5 K 812/95 F, EFG 1997, 675). Für einen Regelungsinhalt dahin, daß der Kläger kein Mitunternehmer mehr war, spricht, daß das FA in dem vorstehenden Verfügungssatz den anteiligen laufenden Gewinn des Klägers von 41 853 DM lt. Feststellungsbescheid vom 20. Oktober 1992 auf nunmehr 0 DM herabgesetzt hat. Für einen positiven Gewinnfeststellungsbescheid läßt sich hingegen die Feststellung eines Veräußerungsgewinns des Klägers von 206 133 DM anführen.

Die somit schon nach ihrem Tenor mehrdeutige Einspruchsentscheidung vom 6. Juli 1994 konnte und durfte der Kläger unter Heranziehung der Gründe als negative Feststellung dahin verstehen, daß er im Streitjahr kein Mitunternehmer mehr war. Denn in den Gründen schließt sich das FA dem vom Kläger im Einspruchsverfahren verfochtenen Standpunkt an, daß seine Mitunternehmerschaft schon zehn Jahre zuvor im Jahre 1977 geendet habe. Im Streitjahr sei lediglich noch ein nachträglich entstandener Veräußerungsgewinn nachträglich zu erfassen. Dabei nahm das FA auf das BFH- Urteil vom 17. Januar 1989 VIII R 370/83 (BFHE 156, 103, BStBl II 1989, 563) Bezug, demzufolge ein Veräußerungsgewinn unter Umständen noch nach dem Veranlagungszeitraum der Veräußerung als nachträglicher festgestellt werden kann.

b) War somit durch die Einspruchsentscheidung vom 6. Juli 1994 für die Beteiligten nach §182 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) bindend festgestellt, daß der Kläger im Streitjahr an den Einkünften der KG nicht mehr beteiligt war, durfte das FG nicht mehr die Frage prüfen, ob der Kläger im Streitjahr noch Mitunternehmer war, insbesondere auch nicht als Vorfrage um zu entscheiden, ob dem Kläger im Streitjahr noch ein Veräußerungsgewinn zugerechnet werden konnte. Denn die bestandskräftige negative Feststellung des FA ist als selbständiger Regelungsgegenstand (BFH-Urteil in BFHE 152, 414, BStBl II 1988, 544) bindend auch für die Beurteilung der Folgefrage der Zurechenbarkeit eines Veräußerungsgewinns im Streitjahr (zur Bindungswirkung von Feststellungsbescheiden negativen Inhalts: BFH-Urteile vom 21. Juni 1989 X R 14/88, BFHE 157, 382, BStBl II 1989, 881; vom 24. April 1991 X R 29/88, BFH/NV 1991, 602).

Ist daher davon auszugehen, daß der Kläger im Streitjahr nicht mehr Mitunternehmer war, so durfte ihm das FA für dieses Jahr auch keinen Veräußerungsgewinn mehr zurechnen. Denn die Annahme des FA, es dürfe einen Veräußerungsgewinn für dieses Jahr auch dann noch feststellen, wenn ein Gesellschafter zwar nicht mehr Mitunternehmer ist, sich sein Veräußerungs- oder Aufgabegewinn im Zeitpunkt des Verlustes seiner Mitunternehmereigenschaft aber nachträglich noch erhöht, war unzutreffend. Eine solche Erhöhung ist -- wie eine Minderung des Veräußerungsgewinns (vgl. dazu u. a. BFH-Beschluß vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897) -- rückwirkend im Jahr der Veräußerung oder der Aufgabe des Anteils zu erfassen (§175 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977; Beschlüsse vom 27. September 1994 VIII B 21/94, BFHE 175, 516; vom 23. Februar 1995 III B 134/94, BFH/NV 1995, 1060; FG München, Urteil vom 5. Juni 1996 1 K 2516/95, EFG 1996, 906). Soweit der erkennende Senat in seinem vom FA für seine Rechtsauffassung herangezogenen Urteil in BFHE 156, 103, BStBl II 1989, 563 eine andere Auffassung vertreten hat, ist diese durch den Beschluß des Großen Senats in BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897 überholt.

3. Indem der erkennende Senat die Zurechenbarkeit eines Veräußerungsgewinns verneint, weil das FA bindend festgestellt hat, daß der Kläger im Streitjahr kein Mitunternehmer mehr war, weicht er nicht von den Urteilen des BFH vom 5. Juni 1986 IV R 53/82 (BFHE 147, 139, BStBl II 1986, 798) und vom 26. Juni 1990 VIII R 81/85 (BFHE 161, 472) ab. Anders als in den vorstehenden Urteilsfällen hat das FA im Streitfall bestandskräftig und bindend für alle Beteiligten festgestellt, daß der Kläger im Streitjahr kein Mitunternehmer mehr war.

 

Fundstellen

BFH/NV 1998, 573

HFR 1998, 456

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