Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsnatur der Aufrechnungserklärung; Verrechnungsvertrag; Schweigen als Willenserklärung

 

Leitsatz (NV)

1. Die Aufrechnungserklärung des FA ist für sich allein kein Verwaltungsakt (ständige Rechtsprechung).

2. Ein Verrechnungsvertrag zwischen dem FA und dem Steuerpflichtigen ist zulässig, wenn die Voraussetzungen für eine (einseitige) Aufrechnung nicht gegeben sind, insbesondere dann, wenn es an der Gegenseitigkeit der Forderungen fehlt.

3. In dem Schweigen des Steuerpflichtigen nach Erhalt eines mit einem Verrechnungsangebot versehenen Steuerbescheids liegt grundsätzlich keine Annahme des Verrechnungsangebots.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 47, 226 Abs. 1; BGB §§ 151, 387

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wurde zusammen mit ihrem Ehemann zur Einkommensteuer veranlagt. Die sich aus diesen Veranlagungen ergebenden Guthaben verrechnete der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) mit Einkommensteuerschulden der Eheleute aus den Jahren . . . und mit Umsatzsteuerschulden des Ehemannes aus den Jahren . . . Die Verrechnungen waren auf den jeweiligen Steuerbescheiden, die bestandskräftig wurden, vermerkt.

Am . . . beantragte die Klägerin beim FA, die sich aus den Einkommensteuerveranlagungen . . . ergebenden Guthaben aufzuteilen und den auf sie entfallenden Betrag auszuzahlen.

Daraufhin ermittelte das FA das auf die Klägerin entfallende Guthaben mit insgesamt . . . und teilte diese Summe dem steuerlichen Berater der Klägerin mit Schreiben vom . . . mit. Am . . . äußerte das FA schriftlich Zweifel an der Berechtigung des Erstattungsbegehrens; es lehnte den Erstattungsantrag mit Bescheid vom . . . ab und erließ am . . . einen Abrechnungsbescheid, mit dem der Erstattungsantrag aufgrund der bestandskräftigen Aufrechnungserklärungen auf den für die einzelnen Jahre ergangenen Steuerbescheiden abgelehnt wurde.

Die gegen diesen Abrechnungsbescheid erhobene Sprungklage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) begründete seine Entscheidung im wesentlichen damit, daß die Erstattungsansprüche der Klägerin erloschen seien, denn die Aufrechnungserklärungen des FA auf den Steuerbescheiden stellten Verwaltungsakte dar, die der Klägerin wirksam bekanntgegeben und bestandskräftig seien.

In den Steuererklärungen . . . hätten sich die Eheleute gegenseitig zum Empfang der Steuerbescheide bevollmächtigt. Für das Jahr . . . wirke die Weitergabe des Steuerbescheids durch den Ehemann an den gemeinsamen Steuerberater für und gegen die Klägerin.

Seien die Aufrechnungserklärungen nicht als Verwaltungsakte anzusehen, so habe die Klägerin mit dem FA Verrechnungsverträge geschlossen. Das FA habe entsprechende Angebote in den Steuerbescheiden gemacht, die die Klägerin durch schlüssiges Verhalten angenommen habe. Ein Zugang dieser Annahmeerklärungen sei nach § 151 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten gewesen.

Mit der vom FG auf Beschwerde hin zugelassenen Revision rügt die Klägerin im wesentlichen, daß das FG die Aufrechnungserklärungen des FA als Verwaltungsakte angesehen habe. Nach ihrer Ansicht habe es sich dabei vielmehr um die Ausübung eines schuldrechtlichen Gestaltungsrechts durch das FA gehandelt. Die Bestandskraft der Steuerbescheide könne sich daher nicht auf die Aufrechnungserklärungen erstrecken. Daran ändere auch die Aufnahme einer Rechtsmittelbelehrung zur Anfechtung dieser Erklärungen in den jeweiligen Steuerbescheiden nichts.

Unstreitig seien die Aufrechnungen unzulässig, soweit mit ihnen Umsatzsteuerschulden des Ehemannes verrechnet worden seien. Es habe hier an der Gegenseitigkeit der Forderungen gefehlt. Die Berufung auf die Bestandskraft der Aufrechnung durch das FA stelle deshalb eine unzulässige Rechtsausübung dar.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und das FA zu verpflichten, an sie . . . DM zuzüglich Zinsen auf diese Summe ab Rechtshängigkeit der Klage auszuzahlen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

1. Die Revision ist, soweit mit ihr die Auszahlung von Prozeßzinsen ab Rechtshängigkeit der Klage beantragt wird, unzulässig. Die Klägerin ist hinsichtlich dieses Antrags, der erstmalig in der Revisionsinstanz gestellt wurde, nicht beschwert, weil das FG über den Zinsantrag noch nicht entschieden hat (Gräber / Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., 1987, § 123 Rdnr. 2). Im übrigen ergibt sich die Unzulässigkeit dieses Antrags auch daraus, daß er erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist gestellt wurde (§ 120 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -; vgl. Gräber /Ruban, a.a.O., § 120 Rdnr. 30).

2. Mit dem FG geht der Senat davon aus, daß das Klagebegehren der Klägerin auf Anfechtung des Abrechnungsbescheids gerichtet ist, obwohl ihr Klage- und Revisionsantrag zur Hauptsache wörtlich auf Auszahlung der Erstattungsbeträge (allgemeine Leistungsklage) lautet. Folgte man diesen Anträgen, so wäre die Klage und mithin die Revision aus anderen als vom FG genannten Gründen zurückzuweisen, denn eine auf Steuererstattung gerichtete Leistungsklage ist nur begründet, wenn der Erstattungsanspruch durch einen Bescheid i. S. von § 218 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) festgesetzt worden ist. Daran fehlt es im Streitfall. Jedoch ergibt sich aus der Klagebegründung und auch aus der Revisionsbegründungsschrift, daß die Klägerin den Abrechnungsbescheid des FA, mit dem die Festsetzung eines Steuererstattungsbetrages abgelehnt wurde, anfechten wollte. Dies ermöglicht es, die Anträge der Klägerin als Anfechtungsanträge auszulegen.

3. Die Revision führt hinsichtlich des so verstandenen Hauptantrags - unter Aufrechterhaltung der Klageabweisung im übrigen - zur teilweisen Aufhebung der Vorentscheidung und insoweit zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).

a) Das FG ist zwar zu Recht davon ausgegangen, daß die Erstattungsforderung der Klägerin dann nach § 47 AO 1977 erloschen ist, wenn das FA gemäß § 226 Abs. 1 AO 1977 i. V. m. §§ 387 ff. BGB wirksam aufgerechnet hat; doch steht die Auffassung, die auf den Steuerbescheiden vermerkten Verrechnungserklärungen des FA seien Aufrechnungserklärungen in Form von Verwaltungsakten, die - da die Klägerin sie nicht angefochten hat - bestandskräftig seien und deshalb den Erstattungsanspruch zum Erlöschen gebracht hätten, nicht mit der Rechtsprechung des Senats im Einklang. Im Urteil vom 2. April 1987 VII R 148/83 (BFHE 149, 482, BStBl II 1987, 536) hat der Senat entschieden, daß die Aufrechnungserklärung des FA die rechtsgeschäftliche Ausübung eines Gestaltungsrechts und für sich allein kein Verwaltungsakt ist. Hat sich das FA - wie im Streitfall vom FG angenommen - bei seiner Aufrechnungserklärung unzulässigerweise der Rechtsform eines Verwaltungsakts bedient, so ist dieser auf Anfechtung hin aufzuheben. Die Frage der Wirksamkeit der rechtsgeschäftlichen Aufrechnungserklärung als solche (§§ 226 Abs. 1 AO 1977, 388, 389 BGB) wird hierdurch aber nicht berührt (vgl. Senatsurteil in BFHE 149, 482, 489, 490, BStBl II 1987, 536; Helsper in Koch, Abgabenordnung, 3. Aufl., § 226 Rdnr. 26). Es kommt somit im Streitfall darauf an, ob die Verrechnungsmitteilungen auf den Steuerbescheiden als Aufrechnungserklärungen des FA gegenüber der Klägerin als rechtsgeschäftliche Willenserklärungen wirksam sind.

b) Unabhängig von der Wirksamkeit der Aufrechnungserklärungen als solche scheitert eine Aufrechnung des FA für einen Teil der zur Aufrechnung gestellten Forderungen bereits daran, daß die für eine Aufrechnung erforderliche Aufrechnungslage nicht gegeben war. Nach §§ 226 Abs. 1 AO 1977, 387 BGB ist für eine Aufrechnung u. a. Voraussetzung, daß der Schuldner der einen Forderung der Gläubiger der anderen Forderung ist. Diese Gegenseitigkeit der Forderungen ist im Streitfall nur gegeben, soweit die Klägerin auch Schuldnerin der Steuerforderungen war, gegen die das FA mit den Erstattungsbeträgen aufgerechnet hat. Steuerschuldnerin war die Klägerin nur hinsichtlich der aus der Zusammenveranlagung mit ihrem Ehemann resultierenden Einkommensteuerrückständen (§ 44 Abs. 1 AO 1977 i. V. m. § 26 b des Einkommensteuergesetzes - EStG -). Die Klägerin war dagegen nicht Schuldnerin der Umsatzsteuer, die das FA in Höhe von . . . DM mit den Einkommensteuerguthaben verrechnet hat. Schuldner dieses Betrags ist allein der Ehemann der Klägerin. Nur er ist nach den mit der Revision nicht angegriffenen und daher für den Senat verbindlichen Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) unternehmerisch tätig gewesen.

Die fehlende Gegenseitigkeit dieser Forderungen und die sich daraus ergebende materiell-rechtliche Unwirksamkeit der Aufrechnung wird letztlich vom FA selbst auch nicht in Zweifel gezogen, denn in der Begründung des angefochtenen Abrechnungsbescheids wird die Unzulässigkeit der Aufrechnung mit den Umsatzsteuerschulden des Ehemannes ausdrücklich bejaht und die Auszahlung (Festsetzung) dieses Betrags lediglich mit der Bestandskraft der - fehlerhaft - als Verwaltungsakt erklärten Aufrechnung begründet. Soweit das FA also Guthabenbeträge der Klägerin auf Umsatzsteuerschulden ihres Ehemannes verrechnet hat, ist die damit verbundene Aufrechnung unwirksam.

c) Die auf die Umsatzsteuerrückstände des Ehemannes verrechneten Erstattungsbeträge der Klägerin sind auch nicht durch Verrechnungsvertrag erloschen. Ein solcher Vertrag kann abgeschlossen werden, wenn die Voraussetzungen für die (einseitige) Aufrechnung nicht gegeben sind, etwa wenn es - wie im Streitfall - an der Gegenseitigkeit der Forderungen fehlt. Nach den Feststellungen des FG kann indes vom Abschluß eines solchen Verrechnungsvertrages nicht ausgegangen werden. Mögen auch die Mitteilungen des FA auf den Steuerbescheiden . . ., mit denen die Verrechnung des Einkommensteuerguthabens mit den Umsatzsteuerrückständen des Ehemannes erklärt wurden, als Angebot zum Abschluß eines Verrechnungsvertrags gesehen werden, so fehlt es nach den Feststellungen des FG aber an einer ausdrücklich oder konkludent erklärten Annahme dieses Angebots durch die Klägerin. Der Hinweis des FG, daß auf einen Zugang einer solchen Annahmeerklärung nach § 151 BGB verzichtet werden konnte, ersetzt keine Feststellungen darüber, in welchem Verhalten der Klägerin die Abgabe der Annahmeerklärung zu sehen ist. Die Annahmeerklärung eines Verrechnungsangebots ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die in der Regel erst mit ihrem Zugehen wirksam wird (§§ 130, 147 BGB). Nur vom Zugang macht § 151 BGB eine Ausnahme; eine Annahme, d. h. eine unzweideutige Betätigung des Annahmewillens, ist aber auch in diesem Fall erforderlich (Palandt / Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 48. Aufl., § 151 Anm. 1). Dazu enthält die Vorentscheidung keinerlei Anhaltspunkte. Bloßes Schweigen der Klägerin nach Erhalt der mit den Verrechnungsmitteilungen versehenen Steuerbescheide ist grundsätzlich keine Willenserklärung, also auch keine Annahme des Verrechnungsangebots.

Demnach ist der angefochtene Abrechnungsbescheid, soweit er die Aufrechnung mit den Umsatzsteuerrückständen des Ehemanns betrifft, rechtswidrig.

d) Die Aufrechnung des FA mit den Einkommensteuerrückständen der Eheleute war nach dem oben Gesagten gemäß §§ 226 Abs. 1 AO 1977, 387 BGB zulässig. Die Verrechnungsmitteilungen auf den jeweiligen Steuerbescheiden sind nach den zivilrechtlichen Vorschriften als Willenserklärungen auch wirksam und haben nach § 389 BGB zum Erlöschen der gegenseitigen Forderungen geführt.

Nach den den Senat bindenden Feststellungen des FG sind die Steuerbescheide der Jahre . . ., in denen die Aufrechnung mit den Einkommensteuerrückständen vom FA erklärt wurde, der Klägerin zugegangen. Der Steuerbescheid . . . ist dem gemeinsamen Steuerberater zugänglich gemacht worden, so daß dessen Kenntnisnahme der Aufrechnungserklärung nach § 80 Abs. 1 AO 1977 i. V. m. §§ 164 ff. BGB für und gegen die Klägerin wirkt. Die Steuerbescheide . . . sind nach den Feststellungen des FG derart in den Machtbereich der Eheleute gelangt, daß sie vom Inhalt der Bescheide Kenntnis nehmen konnten. Dies reicht - unabhängig von der Tatsache, ob die Klägerin persönlich den Inhalt der Steuerbescheide zur Kenntnis genommen hat - nach zivilrechtlichen Grundsätzen für einen Zugang der Aufrechnungserklärungen und ihrer Wirksamkeit als Willenserklärung gegenüber der Klägerin aus. Somit ist der Erstattungsanspruch in Höhe der aufgerechneten Einkommensteuerrückstände von . . . DM erloschen (§§ 47 AO 1977, 389 BGB). In dieser Höhe ist die Festsetzung eines Erstattungsanspruchs vom FA zu Recht abgelehnt worden.

Die Sache ist spruchreif. Der Senat kann über die Klage selbst entscheiden (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO). Der Abrechnungsbescheid wird dahin geändert, daß ein Erstattungsbetrag von . . . DM festgesetzt wird. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

 

Fundstellen

BFH/NV 1991, 69

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