Entscheidungsstichwort (Thema)

(Kinderfreibetrag: Übertragung eines halben Freibetrags auf einen Elternteil ohne Anspruch auf eigenen halben Freibetrag, nachträglicher Antrag auf Übertragung als rückwirkendes Ereignis)

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Kinderfreibetrag des anderen Elternteils ist auf Antrag des Steuerpflichtigen mit Zustimmung des anderen Elternteils auch dann nach § 32 Abs.6 Satz 4 EStG auf den Steuerpflichtigen zu übertragen, wenn diesem kein eigener (halber) Kinderfreibetrag nach § 32 Abs.6 Satz 1 EStG zusteht.

2. Ein Einkommensteuerbescheid ist auch dann nach § 175 Abs.1 Satz 1 Nr.2 AO 1977 zu ändern, wenn nicht nur die Zustimmung zu dem Antrag des Steuerpflichtigen auf Übertragung des (halben) Kinderfreibetrags des anderen Elternteils nach Eintritt der Bestandskraft erteilt wurde, sondern auch der Antrag nach § 32 Abs.6 Satz 4 EStG erst nach diesem Zeitpunkt gestellt wurde.

 

Normenkette

EStG § 32 Abs. 6 Sätze 4, 1, Abs. 1; AO 1977 § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 1 Nr. 2

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hat im Jahre 1990 die Ehe mit Frau K geschlossen. Die Eheleute sind die leiblichen Eltern des 1986 geborenen Kindes C. Bei den Einkommensteuerveranlagungen für die Streitjahre 1986 und 1987 hat der Kläger keine Angaben zu etwaigen Kindern gemacht. Die Steuererklärungen sind mit Hilfe eines Steuerberaters gefertigt worden. Die Steuerbescheide, in denen der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) keinen Kinderfreibetrag berücksichtigte, wurden bestandskräftig.

Mit Schreiben vom .... 1990 beantragte der Kläger sinngemäß, die Bescheide jeweils dahingehend abzuändern, daß bei ihm zwei (halbe) Kinderfreibeträge in Höhe von insgesamt 2 484 DM berücksichtigt werden. Die Ehefrau des Klägers stimmte in dem Schreiben der Übertragung ihres (halben) Kinderfreibetrags auf den Kläger zu.

Das FA lehnte den Antrag ab. Der hiergegen erhobene Einspruch und die Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte im wesentlichen aus: Der nachträglichen Berücksichtigung des dem Kläger (originär) zustehenden (halben) Kinderfreibetrags stehe die Bestandskraft der Veranlagungen entgegen. Eine Änderung nach § 173 Abs.1 der Abgabenordnung (AO 1977) wegen nachträglich bekanntgewordener Tatsachen scheide aus, da den Kläger ein grobes Verschulden daran treffe, daß dem FA die Geburt seines unehelichen Sohnes erst verspätet bekanntgeworden sei. Zu Unrecht berufe sich der Kläger demgegenüber auf die Unkenntnis der steuerrechtlichen Vorschriften. Daß Kinder steuerlich berücksichtigt werden könnten, sei allgemein bekannt. Dies ergebe sich insbesondere aus den Vordrucken für die Einkommensteuererklärung, in denen mehrere Zeilen für Angaben zu Kindern vorgesehen seien, und aus den bei der Übersendung der Erklärungsvordrucke beigefügten Erläuterungen. Im übrigen sei der Kläger von einem Steuerberater vertreten worden, von dem er entsprechenden Rat hätte einholen können.

Damit scheide auch die Berücksichtigung des (halben) Kinderfreibetrags der (nunmehrigen) Ehefrau des Klägers aus. Denn auch der Antrag auf Übertragung des Kinderfreibetrags habe nur auf den Vortrag neuer Tatsachen, nämlich die Existenz des Kindes, gestützt werden können.

Mit der Revision, mit der er für beide Streitjahre lediglich noch die Übertragung des (halben) Kinderfreibetrags seiner Ehefrau auf sich begehrt, rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Er trägt vor: Die nachträglich erteilte Zustimmung des anderen Elternteils zum Antrag des Steuerpflichtigen auf Übertragung des Kinderfreibetrags stelle ein Ereignis mit steuerlicher Wirkung für die Vergangenheit i.S. des § 175 Abs.1 Satz 1 Nr.2 AO 1977 dar, das zu einer Änderung des gegen den Steuerpflichtigen ergangenen Steuerbescheides führe.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des FG und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und jeweils einen Kinderfreibetrag von 1 242 DM zu berücksichtigen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Es trägt im wesentlichen vor: Werde die Zustimmung zum Antrag des Steuerpflichtigen auf Übertragung des Kinderfreibetrags des anderen Elternteils auf ihn erst nach Eintritt der Bestandskraft des gegen ihn, den Steuerpflichtigen, ergangenen Einkommensteuerbescheides erteilt, könne dieser Bescheid nur dann noch nach § 175 Abs.1 Satz 1 Nr.2 AO 1977 zum Zweck der Berücksichtigung des Kinderfreibetrags geändert werden, wenn der Steuerpflichtige den Antrag auf Übertragung des Kinderfreibetrags vor Bestandskraft des Bescheides gestellt habe. Im Streitfall fehle es indes an einem rechtzeitigen Antrag des Klägers. Die nachträgliche Antragstellung sei kein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung i.S. des § 175 Abs.1 Satz 1 Nr.2 AO 1977.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Die der (nunmehrigen) Ehefrau des Klägers in den Streitjahren zustehenden (halben) Kinderfreibeträge sind antragsgemäß beim Kläger zu berücksichtigen.

1. Nach § 32 Abs.6 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung wird bei einem unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Elternpaar, bei dem die Voraussetzungen des § 26 Abs.1 Satz 1 EStG nicht vorliegen, auf Antrag eines Elternteils der Kinderfreibetrag des anderen Elternteils auf ihn übertragen, wenn er seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem Kind für das Kalenderjahr nachkommt, der andere Elternteil jedoch nicht oder nur zu einem unwesentlichen Teil (Satz 4, 1.Alternative), oder wenn der andere Elternteil dem Antrag zustimmt (Satz 4, 2.Alternative). Die Voraussetzungen gemäß § 32 Abs.6 Satz 4, 2.Alternative EStG sind im Streitfall gegeben. Der Ehefrau des Klägers stand nach § 32 Abs.6 Satz 1 EStG für das bei ihr zu berücksichtigende gemeinsame Kind der Eheleute in jedem Streitjahr ein (halber) Kinderfreibetrag zu. Unter dem 13. August 1990 stimmte sie dem Antrag des Klägers vom gleichen Tage auf Übertragung ihres (halben) Kinderfreibetrags auf ihn zu.

2. Entgegen der Auffassung des FA steht der Übertragung des Kinderfreibetrags auf den Kläger mit Zustimmung seiner Ehefrau gemäß § 32 Abs.6 Satz 4, 2.Alternative EStG nicht entgegen, daß im Streitfall möglicherweise auch die Voraussetzungen für die Übertragung des Freibetrags aufgrund der Erfüllung der Unterhaltsverpflichtung durch den Kläger gegenüber dem gemeinsamen Kind nach § 32 Abs.6 Satz 4 1.Alternative EStG gegeben waren.

Zum einen hat das FG insoweit keine Feststellungen getroffen. Der Kläger bestreitet die Behauptung des FA, seine Ehefrau sei ihrer Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem Kind nicht oder nur zu einem unwesentlichen Teil nachgekommen. Zum anderen bestehen die beiden Möglichkeiten der Übertragung des (halben) Kinderfreibetrags auf den anderen Elternteil entsprechend den Alternativen des Satzes 4 in § 32 Abs.6 EStG (einseitige Übertragung einerseits, Übertragung mit Zustimmung andererseits) unabhängig voneinander. Jedenfalls in einem Fall der hier vorliegenden Art, in dem die Erfüllung der Unterhaltsverpflichtung durch den anderen Elternteil ungeklärt und möglicherweise zweifelhaft ist, steht es dem Steuerpflichtigen frei, mit seinem Antrag auf Übertragung des Kinderfreibetrags statt der Erfüllung seiner Unterhaltspflicht, die Zustimmung des anderen Elternteils geltend zu machen. Dies gilt um so mehr, als im Einzelfall --möglicherweise auch hier-- Schwierigkeiten bei der Feststellung der Erfüllung der Unterhaltspflicht durch die Elternteile bestehen können.

3. Der beantragten Übertragung des (halben) Kinderfreibetrags des anderen Elternteils steht ferner nicht entgegen, daß der Kläger im Revisionsverfahren die Berücksichtigung seines eigenen (halben) Kinderfreibetrags gemäß § 32 Abs.6 Satz 1 EStG nicht (mehr) begehrt. In den Übertragungsfällen gemäß § 32 Abs.6 Satz 4 EStG steht zwar regelmäßig dem Steuerpflichtigen ein (halber --originärer--) Kinderfreibetrag nach § 32 Abs.6 Satz 1 EStG zu, so daß die Übertragung des (halben) Freibetrags des anderen Elternteils beim Steuerpflichtigen zu der Gewährung zweier (halber) Kinderfreibeträge in Höhe von zusammen einem vollen Kinderfreibetrag gemäß § 32 Abs.6 Satz 2 EStG führt. Die Gewährung des eigenen (halben) Kinderfreibetrags des Steuerpflichtigen ist indes nicht Voraussetzung für die Übertragung des (halben) Kinderfreibetrags des anderen Elternteils. Jedenfalls in einem Fall der hier vorliegenden Art, in dem die Voraussetzungen für die Berücksichtigung des eigenen Kinderfreibetrags des Steuerpflichtigen nicht ohne weiteres als gegeben erscheinen, kann sich der Steuerpflichtige auf die Geltendmachung der Übertragung des dem anderen Elternteil zustehenden Kinderfreibetrags nach § 32 Abs.6 Satz 4 EStG beschränken.

4. Schließlich sind auch die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die Übertragung des Kinderfreibetrags der Ehefrau des Klägers auf diesen gegeben.

Dabei kann offenbleiben, ob das FG die Anwendung des § 173 Abs.1 Satz 1 Nr.2 AO 1977 zutreffend verneint hat. Es hat jedenfalls --wie auch das FA-- zu Unrecht eine Berichtigung nach § 175 Abs.1 Satz 1 Nr.2 AO 1977 abgelehnt. Der Senat verweist dazu im wesentlichen auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12. Juli 1989 X R 8/84 (BFHE 157, 484, BStBl II 1989, 957). Die dort entwickelten Grundsätze über die Bedeutung von Antragstellung und Zustimmung zur Anwendung des sog. begrenzten Realsplittings gemäß § 10 Abs.1 Nr.1 Satz 1 EStG sind auf den Antrag auf Übertragung des Kinderfreibetrags des anderen Elternteils und dessen Zustimmung gemäß § 32 Abs.6 Satz 4, 2.Alternative EStG übertragbar.

Auch der Antrag auf Übertragung des Kinderfreibetrags mit Zustimmung des anderen Elternteils nach § 32 Abs.6 Satz 4, 2.Alternative EStG ist Tatbestandsmerkmal des § 32 Abs.6 Satz 4 EStG. Er wirkt unmittelbar rechtsgestaltend auf die Steuerschuld ein, weil er die Berücksichtigung eines (halben) Kinderfreibetrags beim Steuerpflichtigen statt beim anderen Elternteil zur Folge hat. Der Antrag führt zu einer Berücksichtigung kindbedingter Belastungen bei einer anderen Person. Er wirkt nachträglich auf die Steuerschuld ein, weil er der Tatbestandsverwirklichung --dem Eltern-Kind-Verhältnis während des Veranlagungszeitraums-- zeitlich nachfolgt und somit auf den Steueranspruch, wie er ohne die Berücksichtigung des (halben) Kinderfreibetrags des anderen Elternteils bei dem Steuerpflichtigen schon entstanden ist, zurückwirkt (§ 38 AO 1977 i.V.m. § 36 Abs.1 EStG).

§ 32 Abs.6 Satz 4 EStG gestattet die begehrte Rückwirkung. Entgegen der Auffassung des FA ist der Antrag vom Kläger nicht verspätet gestellt worden. Das Gesetz sieht dafür eine Frist nicht vor. Sie ergibt sich auch nicht aus allgemeinen Grundsätzen. Wie in dem zu § 10 Abs.1 Nr.1 EStG ergangenen Urteil in BFHE 157, 484, BStBl II 1989, 957 kann auch hier offenbleiben, ob nicht fristgebundene Anträge generell vor Ablauf der Bestandskraft eines Steuerbescheides gestellt werden müssen. Selbst wenn ein solcher Grundsatz anzuerkennen wäre, müßte für den qualifizierten Antrag nach § 32 Abs.6 Satz 4, 2.Alternative EStG --ebenso wie nach dem Urteil in BFHE 157, 484, BStBl II 1989, 957, für den Antrag nach § 10 Abs.1 Nr.1 EStG-- etwas anderes gelten.

Dafür sind die gleichen Gesichtspunkte, die der BFH in dem Urteil in BFHE 157, 484, BStBl II 1989, 957 zu § 10 Abs.1 Nr.1 EStG angeführt hat, maßgebend. Die Stellung des Antrags und die Erteilung der Zustimmung nach § 32 Abs.6 Satz 4, 2.Alternative EStG setzen in der Regel eine Einigung der Elternteile unter Abwägung der steuerlichen Vorteile und Nachteile für beide Teile voraus, wobei die Möglichkeit besteht, daß der Steuerpflichtige etwaige dem anderen Elternteil entstehende Nachteile ausgleicht bzw. daß der andere Elternteil seine Zustimmung von einer Beteiligung an dem Steuervorteil des Steuerpflichtigen abhängig macht. Der Steuerpflichtige ist notfalls darauf angewiesen, die Zustimmung des anderen Elternteils im Prozeßwege zu erstreiten (Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 21.Aufl., § 32 EStG Anm.192). In dieser Situation erscheint es nicht sachgerecht, vom Steuerpflichtigen --wie das FA meint-- zu verlangen, zur Wahrung der Möglichkeit der Übertragung des Kinderfreibetrags den Antrag bis zur Bestandskraft des Bescheides auch ohne Zustimmung des anderen Elternteils zu stellen. Im Schrifttum ist anerkannt, daß bei Antragstellung vor, aber bei Erteilung der Zustimmung nach Bestandskraft der Bescheid nach § 175 Abs.1 Satz 1 Nr.2 AO 1977 zu berichtigen ist (Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 32 EStG Anm.192; Glanegger in Schmidt, Einkommensteuergesetz, 14.Aufl., § 32 Anm.58; vgl. auch Abschn.89 Abs.6 Satz 4 der Lohnsteuer-Richtlinien 1993; R 181a Abs.4 Satz 6 der Einkommensteuer-Richtlinien 1993 ff.). Gleiches muß nach den obigen Ausführungen gelten, wenn auch der Antrag erst nachträglich gestellt wurde.

 

Fundstellen

Haufe-Index 66041

BFH/NV 1997, 104

BFHE 181, 458

BFHE 1997, 458

BB 1997, 293-295 (Leitsatz und Gründe)

DB 1997, 309-310 (red. Leitsatz und Gründe)

DStR 1997, 261-262 (Leitsatz und Gründe)

HFR 1997, 398-400 (Leitsatz)

StE 1997, 66 (Kurzwiedergabe)

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Finance Office Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge