Entscheidungsstichwort (Thema)

Mißbräuchliche Vermietung einer Zahnarztpraxis unter Ehegatten

 

Leitsatz (NV)

1. Der Ehegatte eines Zahnarztes, der auf einem ihm gehörenden Grundstück eine Zahnarztpraxis errichtet und dem Zahnarzt vermietet, wird dadurch zum Unternehmer im umsatzsteuerrechtlichen Sinn.

2. Dies gilt auch dann, wenn er in einem überschaubaren Zeitraum von der Vermietung an die Aufwendungen für Zins und laufende Tilgung der aufgenommenen Fremdmittel und für die Bewirtschaftung des Grundstücks nicht aus der Miete und sonstigem eigenen Einkommen decken kann und sich der Mieter-Ehegatte deshalb über die Zahlung von Miete und ggf. Arbeitslohn hinaus in nicht unerheblichem Umfang an diesen Aufwendungen beteiligen muß.

3. Unter den in Leitsatz 2 genannten Voraussetzungen ist die gewählte Gestaltung aber wegen Mißbrauchs von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten umsatzsteuerrechtlich nicht zu berücksichtigen. Dem Vermieter-Ehegatten steht auch bei Verzicht auf die Steuerfreiheit der Vermietungsumsätze kein Vorsteuerabzug zu.

4. Erhöhungen des Nettolohns in dem überschaubaren Zeitraum sind zu berücksichtigen.

5. Lebensversicherungsbeiträge sind in die Aufwendungen nur einzubeziehen, soweit sie der späteren Darlehenstilgung dienen und der Vermieter-Ehegatte Versicherungsnehmer ist.

 

Normenkette

AO 1977 § 42; UStG 1980 § 2 Abs. 1, § 4 Nr. 14, §§ 10, 14-15

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist bei seiner Ehefrau, einer freiberuflich tätigen Zahnärztin, als Zahntechniker angestellt. Sein Gehalt betrug bis zum 30. Juni 1986 monatlich . . . DM und seit 1. Juli 1986 monatlich . . . DM.

Mit Vertrag vom . . . erwarb der Kläger ein unbebautes Grundstück (Kaufpreis . . . DM). Ab . . . 1985 bebaute der Kläger das erworbene Grundstück mit einem Erweiterungsbau, der neben Praxisräumen auch zur privaten Nutzung vorgesehene Räume enthielt.

Die Baukosten in Höhe von rd. . . . DM wurden durch Darlehen von insgesamt . . . DM finanziert. Darlehensnehmer sind der Kläger und seine Frau als Gesamtschuldner. Die Darlehen sind über Lebensversicherungen zurückzuzahlen, die vom Kläger in Höhe von . . . DM und von seiner Frau in Höhe von . . . DM auf diese als versicherte Person abgeschlossen wurden. Die Versicherungsprämien zahlte jedenfalls bis zum 30. Juni 1986 die Ehefrau.

Durch Mietvertrag vom . . . vermietete der Kläger die in dem Erweiterungsbau errichteten Praxisräume nebst Parkplätzen mit Wirkung ab . . . 1985 auf unbestimmte Zeit (Kündigungsfrist sechs Monate zum Quartalsende) zu einer Miete von . . . DM zuzüglich . . . DM Umsatzsteuer und Nebenkosten an seine Frau.

Für das Streitjahr 1985 erklärte der Kläger steuerpflichtige Vermietungsumsätze in Höhe von . . . DM und machte Vorsteuerbeträge aus der Errichtung der Praxisräume in Höhe von . . . DM geltend.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) versagte dem Mietvertrag die steuerliche Anerkennung. Er setzte mit Steuerbescheid vom 9. Februar 1987 die Umsatzsteuer für 1985 auf . . . DM fest.

Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte aus, daß dem Kläger der begehrte Vorsteuerabzug nach den Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 an sich zustehe. Ihm seien von anderen Unternehmern Leistungen für sein Unternehmen erbracht worden; hierüber sei auch ordnungsgemäß abgerechnet worden. Der Kläger habe seiner Frau den Gebrauch der Praxisräume aufgrund eines rechtswirksam zustande gekommenen und klar und eindeutig vereinbarten Mietvertrags überlassen. Diese sei nicht wirtschaftliche Eigentümerin der Praxisräume gewesen. Sie habe den vertraglich vereinbarten Mietzins entrichtet. Die gewählte Gestaltung stelle sich jedoch als Mißbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten dar. Sie habe nur darauf abgezielt, den Vorsteuerabzug für die Errichtung der Praxisräume zu erlangen. Beachtliche Gründe im außersteuerlichen Bereich hierfür lägen nicht vor.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung des § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) und der Aufklärungspflicht (§ 76 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Für die gewählte Gestaltung lägen - so bringt er vor - gewichtige außersteuerliche Gründe vor.

Dem hätte das FG nachgehen müssen. Er habe aufgrund der Mieteinnahmen und seines Gehalts die Finanzierungsverpflichtungen tragen können.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr.2 FGO).

1. Die vom FG getroffenen Feststellungen ermöglichen dem Senat keine abschließende Entscheidung, ob dem Kläger der begehrte Vorsteuerabzug zusteht.

a) Ein Unternehmer kann die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG 1980 gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen (§ 15 Abs. 1 Nr.1 Satz 1 UStG).

Der Kläger war im Streitjahr Unternehmer i.S. des § 2 Abs. 1 UStG 1980. Die auf unbestimmte Zeit vereinbarte und tatsächlich durchgeführte entgeltliche Vermietung war eine nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 UStG 1980). Nach dem Willen der Vertragsparteien vollzog sich die Nutzungsüberlassung nicht auf familienrechtlicher Grundlage als Beitrag zur Verwirklichung der ehelichen Lebensgemeinschaft, sondern durch Abschluß eines (entgeltlichen) Mietvertrags als steuerbarer Leistungsaustausch im Sinne des Umsatzsteuerrechts.

b) Zur Prüfung, ob dem Vorsteuerabzug § 42 AO 1977 entgegensteht, bedarf es weiterer Aufklärung des Sachverhalts.

aa) Nach dieser Vorschrift kann durch Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Liegt ein Mißbrauch vor, so entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltungen entsteht. Zur Frage, ob zu den Tatbestandsmerkmalen des § 42 AO 1977 auch eine Umgehungsabsicht gehört, verweist der Senat auf sein Urteil vom 10. September 1992 V R 104/91 (BFHE 169, 258, BStBl II1993, 253).

bb) Wie der Senat im Urteil vom 16. Januar 1992 V R 1/91 (BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541) näher dargelegt hat, liegt eine unangemessene Gestaltung vor, wenn ein Unternehmer, der einen Gegenstand für sein Unternehmen benötigt, die finanziellen Mittel seinem Ehegatten zur Verfügung stellt, damit dieser den Gegenstand erwirbt, um ihn an den Unternehmer-Ehegatten zu vermieten. Der Vermieter-Ehegatte wird unter diesen Umständen gewissermaßen ,,vorgeschaltet", um unter Vermeidung eigener Anschaffung das wirtschaftliche Ergebnis einer solchen zu erzielen, indem der Mieter-Ehegatte die Aufwendungen wirtschaftlich so trägt, als wäre er Grundstückskäufer und Bauherr gewesen. Eine derartige ,,Vorschaltung" liegt vor, wenn der Vermieter-Ehegatte in einem überschaubaren Zeitraum vom Zeitpunkt der Vermietung an die Aufwendungen für Zins und laufende Tilgung der aufgenommenen Fremdmittel und für die Bewirtschaftung des Grundstücks nicht aus der Miete (einschließlich Erstattung der Nebenkosten) und sonstigem eigenen Einkommen decken kann und sich der Mieter-Ehegatte deshalb über die Zahlung von Miete und ggf. Arbeitslohn hinaus in nicht unwesentlichem Umfang an diesen Aufwendungen beteiligen muß. Ist der Mieter-Ehegatte in einem solchen Fall selbst nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt, widerspricht eine solche Gestaltung den Wertungen des Gesetzes.

Das FG wird unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ergänzende Feststellungen zum Sachverhalt zu treffen haben. Bei der Entscheidung wird es zu berücksichtigen haben, daß die Gehaltserhöhung des Klägers im Jahr 1986 noch innerhalb des maßgebenden überschaubaren Zeitraums liegt und daß für die anzustellende Berechnung nur der Nettolohn anzusetzen ist. In die Aufwendungen sind auch die Lebensversicherungsbeiträge einzubeziehen, soweit der Kläger Versicherungsnehmer ist. Beiträge des Mieter-Ehegatten zu seiner eigenen Lebensversicherung bleiben bei den zu berücksichtigenden Aufwendungen außer Betracht. In die Vergleichsberechnung sind nur die Aufwendungen aufzunehmen, die der Errichtung und Bewirtschaftung der Praxis zuzurechnen, nicht aber die, die den privat genutzten Räumen zuzuordnen sind. Die Finanzierung der privat genutzten Räume betrifft die ehelichen Verhältnisse des Klägers und seiner Frau und steht in keinem Zusammenhang mit der Frage, ob die Vermietung der Praxis angemessen oder unangemessen ist.

cc) Sollten die vom FG zu treffenden Feststellungen ergeben, daß der Kläger nicht in der Lage war, die Darlehenszinsen und die Lebensversicherungsbeiträge sowie die Bewirtschaftungskosten des Grundstücks aus der Miete (einschließlich der von seiner Ehefrau übernommenen Nebenkosten) und aus seinem Nettolohn zu begleichen, soweit diese Aufwendungen wirtschaftlich der Praxis zuzurechnen sind, ist es unangemessen, daß der Kläger die Nutzungsüberlassung der Praxisräume rechtlich als Leistungsaustausch gestaltet hat. Eine verständige Partei hätte angesichts der zugrunde liegenden Verhältnisse dann vom Abschluß eines Mietvertrages über die Praxisräume und dessen formaler Durchführung abgesehen und es der Zahnärztin überlassen, entsprechend ihrer wirtschaftlichen Stellung die entstehenden Aufwendungen für Grundstück und Gebäude als solche zu tragen, anstatt entsprechende Mittel als Mietzins bzw. in Form von zusätzlichen Zahlungen (einschließlich der Lebensversicherungsbeiträge) dem Eigentümer-Ehegatten verdeckt zuzuwenden.

dd) Die gewählte rechtliche Gestaltung widerspricht ggf. den Zwecken des Vorsteuerabzugs und der Vorschriften, die diesen ausschließen, weil die Ehefrau des Klägers als Zahnärztin allenfalls teilweise zum Vorsteuerabzug berechtigt ist (§ 15 Abs. 2 Nr.1 i.V.m. § 4 Nr.14 Satz 1 UStG 1980; vgl. im einzelnen Senatsurteil in BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541).

2. Ist der Vorsteuerabzug nicht nach § 42 AO 1977 ausgeschlossen, fehlen Feststellungen zur Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer.

Entgelt für die Vermietungsleistungen ist nicht nur die Kaltmiete, sondern alles, was der Mieter aufwendet, um die Vermietungsleistungen zu erhalten, jedoch abzüglich der Umsatzsteuer (§ 10 Abs. 1 Satz 2 UStG 1980). Hierzu gehören auch die Nebenkosten zur Miete, die beim Vermieter keine durchlaufenden Posten i.S. des § 10 Abs. 1 Satz 4 UStG 1980 sind. Der Vermieter vereinnahmt und verausgabt die entsprechenden Beträge nicht im Namen und für Rechnung eines anderen, sondern hat selbst Anspruch auf Zahlung aus dem Mietvertrag. Anders verhält es sich bei Kosten, die der Mieter selbst unmittelbar dem Kostengläubiger schuldet.

Soweit sich für die erneute Entscheidung noch die Frage stellen sollte, ob das Entgelt nach § 10 Abs. 1 Satz 1 UStG 1980 niedriger ist als die Mindestbemessungsgrundlage nach § 10 Abs. 5 Nr.1 UStG 1980, verweist der Senat auf seine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften vom 24. Juni 1992 V R 151/84 (BFHE 168, 477).

 

Fundstellen

Haufe-Index 64070

BFH/NV 1993, 629

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