Leitsatz (amtlich)

Stellt eine personenbezogene Gesellschaft den Antrag, wie eine Publikumsgesellschaft besteuert zu werden, und wollte sie eine Erklärung dieses Inhalts nicht abgeben (Irrtum in der Erklärungshandlung), so kann sie den Antrag zurücknehmen. Die Zurücknahme muß unverzüglich erfolgen, nachdem die Kapitalgesellschaft ihren Irrtum erkannt hat oder hätte erkennen müssen.

 

Normenkette

KStG § 19 Abs. 4

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, erfüllte die Voraussetzungen einer personenbezogenen Kapitalgesellschaft nach § 19 Abs. 1 Nr. 2 KStG. In der Körperschaftsteuererklärung 1970 stellte sie durch Ankreuzen des in Zeile 118 des Erklärungsvordrucks vorgesehenen Kästchens neben den Worten "wird hiermit gestellt" den Antrag nach § 19 Abs. 4 KStG auf Besteuerung wie eine Publikumsgesellschaft. Dieser Antrag wurde, wie unter den Beteiligten nicht streitig ist, irrtümlich gestellt, das Kreuzchen in Zeile 118 des Erklärungsvordrucks wurde versehentlich um eine Zeile zu hoch eingesetzt. Trotzdem besteuerte der Beklagte und Revisionskläger (FA) die Klägerin wie eine Publikumsgesellschaft.

Der Einspruch blieb ohne Erfolg.

Auf die Klage hat das FG den angefochtenen Körperschaftsteuerbescheid und die Einspruchsentscheidung aufgehoben und die Körperschaftsteuer 1970 auf 1 314 DM festgesetzt. Das FG hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen. Zur Begründung hat das FG ausgeführt, im Streitfall seien die §§ 119, 142 BGB über die Anfechtung von Willenserklärungen wegen Irrtums sinngemäß anzuwenden, mit der Folge, daß der gestellte Antrag als von Anfang an unwirksam anzusehen sei. Die Klägerin habe die Anfechtung rechtzeitig in der Einspruchsschrift erklärt. Sie habe sich in einem Erklärungsirrtum befunden, da sie den Antrag nach § 19 Abs. 4 KStG in Wahrheit nicht habe stellen wollen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des FA, mit der Verletzung des materiellen Rechts gerügt wird. Nach der Rechtsprechung und nach der überwiegenden Meinung im Schrifttum seien die §§ 119 ff. BGB auf die Anfechtung von Willenserklärungen im öffentlichen Recht nicht anwendbar.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen (und die Körperschaftsteuer 1970 nach § 19 Abs. 1 Nr. 2 KStG zu berechnen).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Die Klägerin hat ihren Antrag auf Besteuerung wie eine Publikumsgesellschaft wirksam zurückgenommen (§ 19 Abs. 4 KStG).

1. Der Antrag, wie eine Publikumsgesellschaft besteuert zu werden, ist schriftlich und unwiderruflich innerhalb der Frist zur Abgabe der Steuererklärung für das Kalenderjahr (Veranlagungszeitraum) zu stellen, für das der Antrag erstmals gelten soll (§ 19 Abs. 4 Satz 2 KStG). Diese Fristvorschrift ist wirksam. Zur näheren Begründung dieser Auffassung verweist der Senat auf sein Urteil vom heutigen Tag I R 241/73 (BStBl II 1975, 587).

2. Der Senat hat in dem Urteil vom 11. Januar 1967 I 78/65 (BFHE 87, 529, BStBl III 1967, 208) ausgeführt, die Vorschriften des BGB über die Anfechtung von Willenserklärungen wegen Irrtums seien grundsätzlich im öffentlichen Recht nicht sinngemäß anzuwenden. Hier bestimme sich ausschließlich nach öffentlichem Recht, ob die Erklärung berichtigt, ergänzt oder widerrufen werden kann. An dieser Auffassung hält der Senat fest.

Im Streitfall ist daher nach den Vorschriften des Steuerrechts, vor allem nach § 19 Abs. 4 KStG zu prüfen, ob die Klägerin den Antrag nach § 19 Abs. 4 KStG, wie eine Publikumsgesellschaft besteuert zu Werden, zurücknehmen konnte. § 19 Abs. 4 Satz 2 KStG setzt für den Antrag eine Ausschlußfrist. Daraus folgt, daß nach Ablauf dieser Frist der Antrag nicht mehr gestellt werden kann, auch wenn die Kapitalgesellschaft aus Versehen keinen Antrag gestellt hat. Hier hilft auch keine Anfechtung der Steuererklärung wegen Irrtums (Urteil des BFH I 78/65).

§ 19 Abs. 4 Satz 2 KSt G schließt ferner den Widerruf des einmal gestellten Antrags aus. Darüber hinaus ist die Kapitalgesellschaft an den einmal gestellten Antrag fünf aufeinanderfolgende Jahre lang gebunden (§ 19 Abs. 4 Satz 3 KStG). Durch die Unwiderruflichkeit und die Bindung für fünf Jahre wollte der Gesetzgeber willkürliche Gestaltungen ausschließen (Deutscher Bundestag, 3. Wahlperiode, zu Drucksache 2706, Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses, S. 6). Gleichzeitig ist damit den Bedenken Rechnung getragen, die gegen ein Wahlrecht bestehen (vgl. Steinberg, Deutsche Steuerzeitung, Ausgabe A 1961 S. 207, 209 ff.). Dieser Zweck der Vorschrift zeigt zugleich die Grenzen der Unwideruflichkeit auf. Der Gesetzgeber wollte die Kapitalgesellschaft an ihren eigenen Willensentschluß binden. Das setzt voraus, daß der gestellte Antrag dem wirklichen Willen der Kapitalgesellschaft entspricht. Wäre auch ein irrtümlich gestellter Antrag unwiderruflich, so wäre die Kapitalgesellschaft nicht an ihren eigenen Willensentschluß, sondern an ihren Irrtum gebunden. Das kann nicht die Absicht des Gesetzes sein, insbesondere, wenn man die schwerwiegende Folge der Bindung für fünf aufeinanderfolgende Jahre in Betracht zieht. Erfaßt somit das Gebot der Unwiderruflichkeit nicht den irrtümlich gestellten Antrag, so kann ein solcher Antrag, wie es bei Anträgen allgemein die Regel ist, zurückgenommen werden. Voraussetzung ist, daß die Kapitalgesellschaft eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte und daß die Zurücknahme des Antrags unverzüglich erfolgt, nachdem die Kapitalgesellschaft ihren Irrtum erkannt hat oder hätte erkennen müssen.

An den Nachweis des Irrtums sind allerdings, wenn der Gesetzeszweck nicht vereitelt werden soll, strenge Anforderungen zu stellen. Im Streitfall hat das FG festgestellt, daß das Ankreuzen des Kästchens bei den Worten "wird hiermit gestellt" im Erklärungsvordruck für die Körperschaftsteuererklärung unstreitig auf einem Irrtum beruhe, den das FG zutreffend als Irrtum in der Erklärungshandlung eingeordnet hat. Diese Feststellung findet ihre Bestätigung darin, daß auch das FA in der Klageerwiderung vom 8. November 1972 erklärt hat, es sei selbst von Anfang an der Meinung gewesen, daß ein offensichtlicher Irrtum vorliege. Die Klägerin hat in ihrem Einspruch gegen den Körperschaftsteuerbescheid 1970 auf ihren Irrtum hingewiesen und dadurch den Antrag auf Besteuerung wie eine Publikumsgesellschaft zurückgenommen. Sie hat damit die Zurücknahme unverzüglich erklärt. Denn es besteht kein anhaltspunkt dafür, daß sie ihren irrtum schon vor Zustellung des Körperschaftsteuerbescheids 1970 erkannt habe oder hätte erkennen müssen.

Das Urteil des FG erweist sich damit, wenn auch z. T. aus anderen Gründen, als richtig (§ 126 Abs. 4 FGO).

 

Fundstellen

BStBl II 1975, 616

BFHE 1975, 377

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