Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufhebung einer verbindlichen Zolltarifauskunft seit 1.1.1991 nach Gemeinschaftsrecht - Tarifierung von zuckerfreiem Kaugummi, des als kosmetisches Zahnpflegemittel vertrieben wird - Zuständigkeit für Klage wegen verbindlicher Zolltarifauskunft

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Aufhebung einer von der OFD unter Verkennung der Tariflage erteilten verbindlichen Zolltarifauskunft richtet sich seit 1.Januar 1991 nach Art.16 VO (EWG) Nr.1715/90. § 23 ZG und die §§ 28 bis 31 AZO sind insoweit wegen des Vorrangs des Geschäftsrechts nicht mehr anwendbar.

2. Zuckerfreier Kaugummi, der nach seiner Verkaufsaufmachung als kosmetischer Zahnpflege-Kaugummi vertrieben wird, sich aber seiner stofflichen Zusammensetzung nach nicht wesentlich von anderem zuckerfreien Kaugummi unterscheidet, ist kein zubereitetes Zahnpflegemittel im Sinne der Position 3306 KN.

 

Orientierungssatz

1. Umfang und Grenzen der Änderung einer verbindlichen Zolltarifauskunft (vZTA) ergeben sich aus dem materiellen Zolltarifrecht. Stellt die Zollbehörde fest, daß eine von ihr erteilte vZTA mit diesem nicht in Einklang steht, ist sie zur Herstellung der Rechtsgleichheit und zur Wahrung eines ordnungsgemäßen Funktionierens der Zollunion verpflichtet, die vZTA entsprechend zu ändern, bei grundsätzlicher Unstimmigkeit sie ggf. ganz aufzuheben.

2. Es handelt sich auch dann um eine "Klage wegen verbindlicher Zolltarifauskunft" (vZTA) i.S. des § 37 Nr.2 FGO, wenn nicht die vZTA als solche, sondern der Bescheid der OFD, der diese vZTA aufhebt, angegriffen wird (vgl. BFH-Rechtsprechung). Ist der angegriffene Verwaltungsakt vor dem 1.1.1993 bekanntgegeben worden, ist der BFH noch übergangsweise in erster und letzter Instanz zur Entscheidung über dagegen erhobene Anfechtungsklage berufen (Art.1 Nr.5, Art.7 Satz 1, Art.9 FGO-Änderungsgesetz vom 21.12.1992).

 

Normenkette

KN Pos 2106; KN Pos 3306; KN Kap 33 Anm 2; EWGV 1715/90 Art. 16; EWGV 3796/90 Art. 6; AZO §§ 28-31; FGOÄndG Art. 1 Nr. 5, Art. 7 S. 1, Art. 9; FGO § 37 Nr. 2; ZG § 23

 

Tatbestand

Die beklagte Oberfinanzdirektion (OFD) hatte der Klägerin im Jahre 1991 eine verbindliche Zolltarifauskunft (vZTA) über "Kosmetischen Zahnpflege-Kaugummi" unter Einreihung dieser Ware in die Unterpos. 3306 9000 der Kombinierten Nomenklatur (KN) --anderes zubereitetes Zahnpflegemittel-- erteilt. Bei der Ware handelt es sich um leicht gelbliche, 4,5 x 1 cm große Kaugummitäfelchen, die neben der Kaumasse hauptsächlich aus Zuckeraustauschstoffen bestehen. Jeweils sieben dieser Täfelchen befinden sich in einer Einzelverkaufspackung, die u.a. mit der Warenbezeichnung, dem vorgesehenen Verwendungszweck ("Pflegt die Zähne. Vermindert die kariesverursachenden Säuren" und "schmeckt gut") und der Anwendungsweise ("Kauen Sie ihn nach dem Essen, um den Speichelfluß anzuregen, der kariesverursachende Plaquesäuren vermindern kann") versehen ist.

Mit Bescheid vom 25.März 1992 hob die OFD gemäß Art.16 der Verordnung (EWG) Nr.1715/90 vom 20.Juni 1990 --VO 1715/90-- (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- L 160/1) die erteilte vZTA auf, weil die darin vertretene Einreihungsauffassung nicht mehr aufrechterhalten werden könne.

Der hiergegen gerichtete Einspruch der Klägerin blieb erfolglos. Kaugummis, die anstelle von Zucker synthetische Süßstoffe enthielten, seien nach den Erläuterungen zur Kombinierten Nomenklatur (ErlKN) Pos.2106 (HS) Rz.15.0 als Lebensmittelzubereitungen der Pos.2106 KN zuzuweisen. Die Pos.3306 komme nur dann in Betracht, wenn spezifische Zusätze, zu denen die Zuckeraustauschstoffe nicht gehörten, die besondere Eignung der Ware als zubereitetes Zahnpflegemittel begründeten.

Mit der hiergegen gerichteten Klage macht die Klägerin die Rechtswidrigkeit der Aufhebung der vZTA geltend. Es fehle bereits an einer tauglichen Rechtsgrundlage für die Aufhebung; Art.16 VO 1715/90 enthalte lediglich eine Rechtsfolgenanordnung, und auf nationale Vorschriften sei die Aufhebung nicht gestützt worden. Eine vZTA könne darüber hinaus nicht willkürlich geändert werden. Auch in der Sache sei die Tarifauffassung der OFD verfehlt. Bei Lebensmittelzubereitungen der Pos.2106 KN sei gerade die Zweckbestimmung (Verwendung zur menschlichen Ernährung) entscheidend. Kaugummis, jedenfalls die streitgegenständlichen, seien aber nicht zum Verzehr bestimmt; mithin seien sie schon deshalb keine Lebensmittelzubereitungen. Nach ihrer hier maßgeblichen Verwendung, die sich aus der "Auslobung" der Packungsaufmachung und der Werbung ergebe, handele es sich bei den Kaugummis vielmehr um ein zubereitetes Zahnpflegemittel der Pos.3306 KN. Für diese Verwendung seien die zuckerfreien, speziell zur Zahnpflege hergestellten und angebotenen Kaugummis auch objektiv geeignet, da das Kauen nach den Mahlzeiten die schnelle Rückbildung des durch den Verzehr von Lebensmitteln verursachten Säuremilieus im Mund fördere und damit auch die Entstehung von Zahnbelag und Karies verhindere.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage hat keinen Erfolg. Die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die OFD hat die vZTA mit Recht aufgehoben, weil die darin vertretene Tarifauffassung unzutreffend ist. Die streitgegenständlichen Kaugummis gehören nicht zur Pos.3306 KN.

1. Zur Entscheidung über die vorliegende Anfechtungsklage nach § 40 Abs.1 FGO ist noch übergangsweise der Bundesfinanzhof (BFH) in erster und letzter Instanz nach § 37 Nr.2 FGO berufen, da der angegriffene Verwaltungsakt vor dem 1.Januar 1993 bekanntgegeben worden ist (Art.1 Nr.5, Art.7 Satz 1 und Art.9 des FGO-Änderungsgesetzes vom 21.Dezember 1992, BGBl I 1992, 2109). Nach ständiger Rechtsprechung des Senats handelt es sich auch dann um eine "Klage wegen verbindlicher Zolltarifauskunft" im Sinne dieser Vorschrift, wenn, wie hier, nicht die vZTA als solche, sondern der Bescheid der OFD, der diese vZTA aufhebt, angegriffen wird (Urteile vom 27.Januar 1976 VII K 5/74, BFHE 118, 391; vom 11.Oktober 1988 VII K 5/88, BFHE 155, 1, BStBl II 1989, 149; und zuletzt vom 10.September 1991 VII K 35/90, BFH/NV 1992, 494).

2. Die zulässige Klage ist jedoch nicht begründet. Die erteilte vZTA war rechtswidrig und ist daher von der OFD zu Recht aufgehoben worden.

a) Die Rechtsgrundlagen für die Aufhebung einer der Tariflage nicht entsprechenden vZTA ergeben sich seit 1.Januar 1991 aus dem Gemeinschaftsrecht, und zwar aus der VO 1715/90 (vgl. Art.19) und der hierzu erlassenen Durchführungsverordnung (EWG) Nr.3796/90 (VO 3796/90) vom 21.Dezember 1990 --ABlEG L 365/17-- (vgl. Art.9). Die die vZTA betreffenden nationalen Vorschriften des § 23 des Zollgesetzes und der §§ 28-31 der Allgemeinen Zollordnung dürfen wegen des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts nicht mehr angewendet werden (vgl. auch Scheuer, Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern 1992, 377, 379).

b) Die OFD hat die Aufhebung der vZTA mit Recht auf Art.16 VO 1715/90 gestützt. Diese Vorschrift ist die maßgebende Rechtsgrundlage für jegliche Änderung einer vZTA, die ihre Ursache nicht in einem Rechtsakt der Gemeinschaft (Art.13 VO 1715/90), einer Tarifmaßnahme der Gemeinschaft oder der zuständigen internationalen Gremien oder einem Urteil des EuGH (Art.14 Abs.1 VO 1715/90) hat. Als Änderung in diesem Sinne ist auch die Aufhebung einer vZTA --inhaltlich sozusagen die weitestgehende Änderung-- anzusehen (vgl. Lux in Bail/Schädel/Hutter, Kommentar, Zollrecht, Stand: 46.Erg.-Lfg. September 1992, F II 10/16 Rz.3). Im übrigen kommt es auf den Umfang einer Änderung nicht an, denn jede Änderung einer vZTA hat nach dieser Vorschrift die Ungültigkeit der ursprünglich erteilten Auskunft zur Folge.

Im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin wirkt Art.16 VO 1715/90 nicht lediglich als Rechtsfolgenanordnung dergestalt, daß sich die materiellen Anwendungsfälle für eine Änderung aus anderen Rechtsvorschriften ergäben. Art.16 VO 1715/90 stellt vielmehr neben den in Art.13 und 14 Abs.1 dieser Verordnung geregelten Fällen einen eigenständigen Anwendungsfall, nämlich einen Auffangtatbestand, für autonome Änderungen einer vZTA durch die Zollbehörde dar (s. auch Lux, a.a.O., Rz.2 und 4). Dies ergibt sich nicht nur hinreichend klar aus Art.6 Abs.1 VO 3796/90 und aus dem zehnten Erwägungsgrund dieser Verordnung, sondern auch aus der inneren Logik der gemeinschaftsrechtlichen Regelung. Wäre es nämlich anders, hätte die Verwaltung mangels des Bestehens anderweitiger Bestimmungen keine Möglichkeit, eine irrtümlich unzutreffende Einreihung einer Ware in den Zolltarif rückgängig zu machen, eine Folge, die der Gemeinschaftsgesetzgeber mit der Harmonisierung des betreffenden Rechtsgebiets auf keinen Fall hat herbeiführen wollen.

Die Änderung einer vZTA ist durch diese Auslegung von Art.16 VO 1715/90 auch nicht in das freie Belieben der Verwaltung gestellt. Umfang und Grenzen der Änderung einer vZTA ergeben sich aus dem materiellen Zolltarifrecht. Stellt die Zollbehörde fest, daß eine von ihr erteilte vZTA mit diesem nicht in Einklang steht, ist sie zur Herstellung der Rechtsgleichheit und zur Wahrung eines ordnungsgemäßen Funktionierens der Zollunion (vgl. den zweiten Erwägungsgrund der VO 1715/90; Scheuer, a.a.O., 377) verpflichtet, die vZTA entsprechend zu ändern, bei grundsätzlicher Unstimmigkeit sie ggf. ganz aufzuheben.

c) Die streitgegenständlichen Kaugummis sind keine "anderen zubereiteten Zahnpflegemittel" im Sinne der Unterpos.3306 9000 KN.

Das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren ist nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften --EuGH-- (vgl. z.B. Abs.6 des Urteils vom 18.April 1991 Rs.C-219/89 --Wesergold--, EuGHE 1991 I-1904) allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen und Unterpositionen des Gemeinsamen Zolltarifs und in den Vorschriften zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind. Auf den Verwendungszweck darf nur dann abgestellt werden, wenn im Wortlaut dieser genannten Bestimmungen oder in den Erläuterungen dazu ausdrücklich auf dieses Kriterium Bezug genommen wird (EuGH, a.a.O., Abs.9).

Das ist bei Pos.3306 KN nicht der Fall. Hier ist folglich zu fragen, ob die von der Klägerin als zubereitete Zahnpflegemittel angesehenen Kaugummis nach ihren objektiven Merkmalen und Eigenschaften eine solche Einreihung rechtfertigen. Zwar gehören nach Anmerkung 2 zu Kap.33 des Zolltarifs u.a. zur Pos.3306 KN insbesondere Erzeugnisse, die zur Verwendung als Erzeugnisse dieser Position geeignet und zu diesem Zweck für den Einzelverkauf aufgemacht sind. Diese geforderte Verwendungseignung bedeutet freilich nicht, daß es auf den Verwendungszweck ankäme, den der Zollbeteiligte seiner Ware beimißt oder für den er sie bestimmt hat. Denn wäre dies der Fall, käme der zweiten Voraussetzung dieser Anmerkung (zweckentsprechende Aufmachung für den Einzelverkauf, die hier aufgrund der Angaben auf der Verpackung unstreitig vorliegt), im wesentlichen keine eigenständige Bedeutung mehr zu. Ob sich die streitgegenständlichen Kaugummis zur Verwendung als Zahnpflegemittel eignen, ist daher zolltariflich wiederum unter Berücksichtigung der objektiven Merkmale und Eigenschaften, also der Beschaffenheit dieser Ware, zu beurteilen (vgl. EuGH-Urteil vom 23.März 1972 Rs.36/71, EuGHE 1972, 187; Senatsurteil vom 6.August 1985 VII K 11/84, BFHE 144, 309).

Eine solche Eignung der Kaugummis zur Verwendung als Zahnpflegemittel läßt sich nicht feststellen. Dabei stellt der Senat das Vorbringen der Klägerin, durch die Verwendung des Kaugummis nach dem Verzehr von bestimmten zucker- oder kohlenhydrathaltigen Lebensmitteln werde die Entstehung von Karies erheblich vermindert, nicht in Frage. Auf diese aufgezeigte Wirkung kommt es aber nicht an. Dahinstehen kann auch, ob der Kaugummi für seine Eignung als Zahnpflegemittel eine unmittelbare Wirkung entfalten muß, oder ob insoweit lediglich eine mittelbare Wirkung in Verbindung mit der Speichelbildung ausreicht. Entscheidend ist vielmehr, daß die aufgezeigte Wirkung (in Verbindung mit dem Speichel) jedem zuckerfreien Kaugummi zukommt, auch solchem, der nicht als kosmetischer Zahnpflegekaugummi aufgemacht ist.

Zuckerfreier Kaugummi ist indessen nach den zolltariflichen Erläuterungen, die nach ständiger Rechtsprechung des EuGH und des erkennenden Senats maßgebliche Auslegungsmittel für die Auslegung des Zolltarifs sind, der Pos.2106 KN --Lebensmittelzubereitungen, anderweit weder genannt noch inbegriffen-- zuzuweisen --vgl. ErlKN zu Pos.2106 (HS) RZ.15.0--. Hieraus folgt, daß allein der Zusatz synthetischer Süßstoffe (Zuckeraustauschstoffe) an Stelle von Zucker aus einem Kaugummi noch kein Zahnpflegemittel macht. Da auch die äußere Aufmachung in Kleinverkaufspackungen nach der erwähnten Anmerkung 2 zu Kap.33 für sich nicht zur Herbeiführung dieser Rechtsfolge ausreicht, kann entscheidungserheblich in dieser Richtung, im Einklang mit den für die Einreihung in den Zolltarif maßgeblichen objektiven Merkmalen und Eigenschaften einer Ware, nur eine unterschiedliche stoffliche Zusammensetzung des Kaugummis als Zahnpflegemittel im Vergleich zu dem Kaugummi als Lebensmittelzubereitung sein. Es müßten also in den streitgegenständlichen Kaugummis Stoffe oder Ingredienzien enthalten sein, die den "kosmetischen Zahnpflegekaugummi" von dem üblichen zuckerfreien Kaugummi abheben und ihm gerade die Eignung zur Verwendung als Zahnpflegemittel verleihen.

Damit scheidet die in der vZTA getroffene Einreihung in die Unterpos.3306 9000 KN aus.

Dieses Ergebnis wird durch die ErlKN zu Pos.3306 (HS) RZ.02.2 bestätigt, wonach zu den "Zahnpflegemitteln aller Art" neben den Zahnpasten augenscheinlich nur solche Zubereitungen für die Zähne gehören, die Mittel mit scheuernden Eigenschaften, also spezifische Stoffe, aufweisen. Kaugummis sind auch keine Mittel zum Spülen der Mundhöhle oder gegen Mundgeruch --ErlKN zu Pos.3306 (HS) RZ.03.2--.

d) Der Senat sieht keine Veranlassung, der Anregung der Klägerin zu folgen und den EuGH um eine Vorabentscheidung der aufgeworfenen Tariffrage zu ersuchen. Der Senat hat keinen Zweifel bei der Auslegung der im Streitfalle in Betracht kommenden Unterpositionen und Vorschriften. Die richtige Anwendung des Zolltarifrechts ist derart offenkundig, daß für einen vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt (vgl. das EuGH-Urteil vom 6.Oktober 1982 Rs.283/81, EuGHE 1982, 3415, 3430).

 

Fundstellen

BFH/NV 1993, 71

BFHE 172, 244

BFHE 1994, 244

BB 1993, 1867 (L)

HFR 1993, 725 (LT)

StE 1993, 499 (K)

RIW/AWD 1993, 868 (KT)

ZfZ 1993, 352 (KT)

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