Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Grundstück, das der Eigentümer einer Stadtgemeinde für eine Grünanlage überlassen hat, dient nicht dem öffentlichen Verkehr, auch wenn die Grünanlage der Allgemeinheit zugänglich ist.

Nachveranlagung des Grundsteuermeßbetrages, wenn eine Befreiungsvorschrift von den Steuerbehörden zu Unrecht angewendet worden ist.

 

Normenkette

GrStG § 4/9/a, § 4/1/a, § 4 Ziff. 6, § 15; GrStDV § 34

 

Tatbestand

Die Bgin., eine Erbengemeinschaft, ist Eigentümerin eines unbebauten Grundstückes in M. Für dieses Grundstück - damals 3.946 qm groß - ist zum 1. Januar 1938 der Einheitswert auf 24.500 RM festgestellt und der Grundsteuermeßbetrag auf 245 RM (10 v. T. von 24.500 RM) festgesetzt worden. Im Jahre 1946 machte die Bgin. geltend, daß das Grundstück seit 1933 ununterbrochen von der Stadtgemeinde als Grünanlage benutzt werde und daher von der Grundsteuer zu befreien sei. Das Finanzamt erkannte damals dieses Vorbringen als berechtigt an und stellte das Grundstück nach dem Stande vom 1. Januar 1943 von der Grundsteuer frei. In der Nachkriegszeit (ab 1. April 1946) wurde das Grundstück - im Hinblick auf die besonderen Nachkriegsverhältnisse - vorübergehend landwirtschaftlich genutzt und auch vorübergehend zur Grundsteuer herangezogen. Nach Wiederherstellung der Grünanlage im Jahre 1949 gewährte das Finanzamt mit Bescheid vom 9. August 1949 ab 1. September 1949 weiterhin die Grundsteuerbefreiung für das ganze Grundstück; es berücksichtigte dabei nicht, daß eine Teilfläche des Grundstückes (rund 100 qm), auf der eine Trinkhalle steht, von der überlassung an die Stadtgemeinde ausgenommen war.

Im Jahre 1956 gab das Finanzamt seine bisherige Auffassung, daß die Voraussetzungen der Befreiung des Grundstückes von der Grundsteuer gegeben seien, auf und setzte durch Nachveranlagung zum 1. Januar 1956 einen Grundsteuermeßbetrag von 122,50 DM (5 v. T. von 24.500 DM) fest. In ihrem Einspruch begehrte die Bgin., das streitige Grundstück gemäß § 4 Ziff. 9 Buchst. a GrStG von der Grundsteuer freizustellen. Nach dieser Vorschrift seien die dem öffentlichen Verkehr dienenden Straßen, Wege und Plätze von der Grundsteuer befreit. Zu den Straßen und Wegen gehörten auch Seitengräben, Böschungen und Schutzstreifen und bei geteilten Fahrbahnen auch die Mittelstreifen. In Abschn. 62 GrStR sei ausgeführt, daß derjenige Grundbesitz unter § 4 Ziff. 9 Buchst. a GrStG falle, der auf Grund der Widmung für den öffentlichen Verkehr privatwirtschaftlichen und nutzbringenden Zwecken entzogen sei. Aus den mit der Stadtverwaltung abgeschlossenen Verträgen ergebe sich, daß das Grundstück bereits seit Jahrzehnten als Grünanlage durch die Stadtverwaltung genutzt werde und damit dem öffentlichen Verkehrsinteresse diene.

Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Vielmehr setzte der Steuerausschuß zum Nachteil der Bgin. den Grundsteuermeßbetrag in Höhe von 122,50 DM bereits rückwirkend zum 1. Januar 1954 fest.

Die Berufung hatte Erfolg. Das Finanzgericht sah die Voraussetzungen der Befreiungsvorschrift des § 4 Ziff. 9 Buchst. a GrStG als gegeben an. Die Bgin. habe das Grundstück der Stadt für eine öffentliche Grünanlage überlassen. Die Stadt, die zugleich Wegepolizeibehörde sei, habe auf dem Grundstück eine der Allgemeinheit zugängliche Grünanlage errichtet. Damit sei das Grundstück tatsächlich dem in § 4 Ziff. 9 Buchst. a GrStG gedachten öffentlichen Zweck zugeführt. Die Heranziehung eines Teiles des Grundstückes, der von der Widmung für einen öffentlichen Zweck ausgenommen und zur privatrechtlichen Nutzung (Trinkhalle) vorbehalten worden sei, könne in diesem Verfahren nicht erfolgen, da der anteilige Einheitswert für diesen Grundstücksteil nicht festgestellt sei.

In der Rb. wird vom Vorsteher des Finanzamts unrichtige Anwendung des bestehenden Rechtes geltend gemacht. Nur die dem öffentlichen Verkehr dienenden Straßen, Wege, Plätze usw. seien von der Grundsteuer befreit. öffentlich sei ein Weg usw. nur, wenn er kraft obrigkeitlicher Verfügungsgewalt und mit öffentlich-rechtlicher Wirksamkeit für den öffentlichen Verkehr bestimmt und dieser Bestimmung dauernd zu erhalten sei. Für das streitige Grundstück treffe das nicht zu; vielmehr handle es sich um wertvolles Baugelände in der Stadtmitte. Das Grundstück bilde eine Baulücke und werde im Leitplan der Stadt als zum Geschäftsgebiet gehörig ausgewiesen.

Demgegenüber trägt die Bgin. vor, daß das Grundstück (ausgenommen die kleine Ecke mit der Trinkhalle) seit Jahren der Stadtgemeinde zur Verfügung stehe und von dieser als öffentliche Grünanlage ausgestaltet worden sei. Durch § 1 des - jetzt durch das Bundesbaugesetz aufgehobenen - preußischen Fluchtliniengesetzes vom 2. Juli 1875 in der Fassung des preußischen Wohnungsgesetzes vom 28. März 1918 sei der Begriff des öffentlichen Platzes dahin erweitert worden, daß darunter auch solche Plätze zu verstehen seien, die von vornherein zu dem besonderen Zweck, als Gartenanlagen, Spiel- und Erholungsplätze zu dienen bestimmt seien; auch diese besonders charakteristischen Plätze seien öffentliche Verkehrsanlagen, die zum entsprechend begrenzten Gemeingebrauch bestimmt und als polizeiliche Verkehrsanstalten der Polizei unterstellt seien. Die städtische Grünanlage auf dem streitigen Grundstück falle als Gartenanlage unter diesen Begriff. Die Widmung könne auch stillschweigend erfolgen und bedürfe als Verwaltungsakt keiner Form.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts ist begründet.

1. - Die Befreiung von der Grundsteuer nach § 4 GrStG ist in der Regel von zwei Voraussetzungen abhängig:

Der Grundbesitz muß einem bestimmten Eigentümer gehören (subjektive Beziehung) und

der Grundbesitz muß von dem Eigentümer für einen steuerbegünstigten Zweck benutzt werden (objektive Beziehung).

Von dieser Regel bestehen allerdings gewisse Ausnahmen. So hängt z. B. im Fall des § 4 Ziff. 5 Buchst. a GrStG die Befreiung von der Grundsteuer lediglich davon ab, ob der betreffende Grundbesitz dem Gottesdienst einer öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaft gewidmet ist. Und im Fall des § 4 Ziff. 9 Buchst. a GrStG kommt es nur darauf an, ob der Grundbesitz als Straße, Weg, Platz usw. dem öffentlichen Verkehr dient. Im Falle des § 4 Ziff. 1 Buchst. a GrStG dagegen ist Befreiung von der Grundsteuer nur gegeben, wenn, was im vorliegenden Falle ausscheidet, der betreffende Grundbesitz einer Gebietskörperschaft (dem Bund, einem Lande, einer Gemeinde oder einem Gemeindeverband) gehört und vom Eigentümer selbst für den begünstigten Zweck benutzt wird (der Ausnahmefall des § 4 Ziff. 6 GrStG, wonach der betreffende Grundbesitz auch dann von der Grundsteuer befreit ist, wenn er nicht von der Gebietskörperschaft selbst, sondern von einer anderen begünstigten Körperschaft für den begünstigten Zweck benutzt wird, bleibt hier ebenfalls außer Betracht). Im Streitfall kommt es - da andere Befreiungsmöglichkeiten ausscheiden - nur darauf an, ob das Grundstück der Bgin. als Straße, Weg oder Platz dem öffentlichen Verkehr dient. Nur bei Bejahung dieser Frage könnte die Befreiung des streitigen Grundstückes von der Grundsteuer anerkannt werden.

Nach § 4 Ziff. 9 Buchst. a GrStG sind unter anderem die dem öffentlichen Verkehr dienenden Straßen, Wege und Plätze von der Grundsteuer befreit. Entscheidend ist - worauf der Vorsteher des Finanzamts zutreffend hingewiesen hat - die Widmung für den öffentlichen Verkehr. öffentlich ist ein Weg nur dann, wenn er kraft obrigkeitlicher Verfügungsgewalt und mit öffentlich-rechtlicher Wirksamkeit für den allgemeinen, jedermann offenstehenden Verkehr bestimmt - gewidmet - ist (ebenso Scholz, Kommentar zum Grundsteuergesetz, 2. Aufl., Anm. 100 zu § 4). An dem Grundsatze, daß eine Bodenfläche die Eigenschaft als öffentlicher Weg durch den Verwaltungsakt der Widmung erlangt, hat die Rechtsprechung festgehalten (vgl. Bochalli, Die Fortbildung des Wegerechtes durch die neuere Gesetzgebung und Rechtsprechung, Deutsches Verwaltungsblatt 1956 S. 181). Im Streitfalle fehlt es an einer bindenden Widmung des Grundstückes der Bgin. für den öffentlichen Verkehr. Aus der zwischen der Bgin. und der Stadtgemeinde getroffenen Vereinbarung ergibt sich, daß das streitige Grundstück - ohne Trinkhalle - der Stadt für eine öffentliche Grünanlage überlassen worden ist. Tatsächlich hat die Stadt auch auf dem Grundstück eine Grünanlage geschaffen, die der Allgemeinheit zugänglich ist. Die Schaffung einer solchen Anlage ist nicht gleichbedeutend mit der Widmung einer Straße, eines Weges oder eines Platzes für den öffentlichen Verkehr (ebenso Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechtes, I. Bd., Allgemeiner Teil S. 350 ff.). Eine Grünanlage, die der Allgemeinheit zugänglich ist, dient den Zwecken der Erholung, nicht aber wie eine Straße, ein Weg oder ein Platz dem öffentlichen Verkehr im Sinne des § 4 Ziff. 9 Buchst. a GrStG. Der wesentliche Vorzug einer Grünanlage besteht gerade in der grundsätzlichen Fernhaltung des öffentlichen Verkehrs, wie auch öffentliche Kinderspielplätze, die nicht im Eigentum einer Gebietskörperschaft stehen, nicht von der Grundsteuer befreit sind, weil sie nicht dem öffentlichen Verkehr, sondern nur dem öffentlichen Interesse gewidmet sind (vgl. Gürsching-Stenger, Kommentar zum Grundsteuergesetz, 1959 S. 206). Richtig ist, daß zu den Straßen, Wegen und Plätzen auch Seitengräben, Böschungen, Schutzstreifen und bei geteilten Fahrbahnen die Mittelstreifen gehören (ß 18 GrStDV). Dies gilt nur dann, wenn diese Grundstücksflächen Bestandteile einer Straße, eines Weges oder eines Platzes sind. Das indessen trifft hier nicht zu.

Auch auf das preußische Fluchtliniengesetz (Gesetz betreffend die Anlegung und Veränderung von Straßen und Plätzen in Städten und ländlichen Ortschaften vom 2. Juli 1875 - Preußische Gesetzsammlung 1875 S. 561) beruft sich die Bgin. zu Unrecht. Nach § 1 Abs. 1 dieses Gesetzes sind für die Anlegung oder Veränderung von Straßen und Plätzen in Städten und ländlichen Ortschaften die Straßen- und Baufluchtlinien vom Gemeindevorstande im Einverständnisse mit der Gemeinde, bezüglich deren Vertretung, dem öffentlichen Bedürfnisse entsprechend unter Zustimmung der Ortspolizeibehörde festzusetzen. Unter Plätzen im Sinne dieses Gesetzes sind mit dem Ortsstraßennetz im Zusammenhang stehende, zu öffentlichen Verkehrsanlagen bestimmte Plätze zu verstehen. Richtig ist, daß der Begriff des Platzes im Sinne des Fluchtliniengesetzes durch das preußische Wohnungsgesetz vom 28. März 1918 (Preußische Gesetzsammlung S. 23) erweitert worden ist, insofern darunter nunmehr auch solche öffentlichen Plätze zu verstehen sind, die von vornherein zu dem besonderen Zweck, als Gartenanlagen, Spiel- und Erholungsplätze zu dienen, rechtlich bestimmt sind. Diese Bestimmung muß durch den Fluchtlinienplan zum Ausdruck gebracht werden (vgl. hierzu Germershausen-Seydel, Wegerecht und Wegeverwaltung in Preußen, Vierte Aufl., Erster Band, S. 497 ff.). Im vorliegenden Falle trifft es nicht zu, daß durch eine Fluchtlinienfestsetzung die Verwendung des Grundstücks als Gartenanlage, Spiel- oder Erholungsplatz rechtlich bestimmt und damit - entsprechend dem Zweck der Fluchtlinienfestsetzung - die Bebauung desselben ausgeschlossen worden wäre. Vielmehr hat die Bgin. das Grundstück der Stadt lediglich durch freie Vereinbarung für eine Grünanlage überlassen, sich jedoch dabei vorbehalten, einzelne Parzellen - auch vor Ablauf der Vereinbarung - zu verkaufen oder selbst zu bebauen. Daß eine Bebauung des Grundstückes nicht ausgeschlossen ist, ergibt sich auch daraus, daß das Grundstück im Leitplan der Stadt als zum Geschäftsgebiet gehörig ausgewiesen wird. Die überlassung eines Grundstückes für eine Grünanlage ist, auch wenn diese der Allgemeinheit zugänglich ist, nicht gleichbedeutend mit der Widmung eines Grundstückes für den öffentlichen Verkehr.

2. - Der erkennende Senat hat bereits mit Urteil III 274/56 S vom 11. Januar 1957 (BStBl 1957 III S. 54, Slg. Bd. 64 S. 140) in übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs entschieden, daß die Nachveranlagung eines Grundsteuermeßbetrages zulässig ist, wenn eine Befreiungsvorschrift zu Unrecht angewendet worden ist. Dieser Fall liegt hier vor. Das Finanzamt hat der Bgin. zu Unrecht mit Bescheid vom 9. August 1949 Grundsteuerbefreiung gewährt. Zu beanstanden ist auch, daß die Befreiung mit Wirkung vom 1. September 1949 gewährt worden ist. Ein Fall des § 16 Abs. 1 GrStG lag nicht vor, da die Steuerpflicht zumindest für den Teil des Grundstückes, auf dem die Trinkhalle steht, angenommen werden mußte; außerdem wäre, selbst wenn ein Wegfall der Steuerpflicht für den ganzen Steuergegenstand anzunehmen gewesen wäre, die Grundsteuer bis zum Schluß des Monats September 1949 zu entrichten gewesen (ß 16 Abs. 1 Sätze 2 und 3 GrStG, § 226 Abs. 1 AO).

Zur weiteren Frage, von welchem Zeitpunkte ab die Nachveranlagung des Grundsteuermeßbetrages vorgenommen werden kann, ist folgendes zu sagen: Der Grundsteuermeßbetrag wird (entsprechend der Feststellung der Einheitswerte) stets auf einen bestimmten Zeitpunkt festgesetzt. Die Festsetzung gilt nicht (wie z. B. bei der Vermögensteuer) für einen bestimmten Zeitraum, sondern nur von einem bestimmten Zeitpunkte ab. Wie der Reichsfinanzhof bereits im Urteil III 64/42 vom 18. Juni 1942 (RStBl 1942 S. 1084) ausgeführt hat und vom Bundesfinanzhof in der oben genannten Entscheidung III 274/56 S vom 11. Januar 1957 bestätigt worden ist, muß es bei einer unrichtigen Veranlagung, wenn sie unanfechtbar geworden ist, nur für das Rechnungsjahr verbleiben, für das sie vorgenommen worden ist. Entsprechendes muß auch für eine Verfügung des Finanzamts gelten, in der es zu Unrecht die Freistellung von der Grundsteuer ausgesprochen hat. Demgemäß hätte an sich schon nach dem Stande vom 1. Januar 1950 die Nachveranlagung des Grundsteuermeßbetrages vorgenommen werden können (vermutlich hätte sich aber die Festsetzung eines Grundsteuermeßbetrages auf diesen zurückliegenden Stichtag für das Rechnungsjahr 1950 usw. wegen der Verjährung der Grundsteuer - die Entscheidung hierüber wäre in die Zuständigkeit der Gemeinde gefallen - steuerlich nicht ausgewirkt). Tatsächlich ist die Nachveranlagung aber erst zum 1. Januar 1954 durchgeführt worden. Das ist nicht zu beanstanden. Die von der Bgin. im Laufe des Verfahrens aufgestellte Behauptung, sie sei für die Rechnungsjahre 1954 und 1955 unanfechtbar von der Grundsteuer freigestellt worden, trifft somit nicht zu. In diesem Zusammenhange kann noch darauf hingewiesen werden, daß die Bgin. seinerzeit auf ihren Antrag vom 10. Juni 1946 - obwohl die Voraussetzungen der Befreiung in Wirklichkeit nicht vorgelegen haben - ebenfalls rückwirkend nach dem Stande vom 1. Januar 1943 freigestellt worden ist. Es entspricht der steuerlichen Gerechtigkeit, den Grundsteuermeßbetrag bereits nach dem Stande vom 1. Januar 1954 festzusetzen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410239

BStBl III 1962, 51

BFHE 1962, 132

BFHE 74, 132

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