Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Ein eigenen Wohnzwecken aller Gesellschafter einer Gesellschaft dienender Grundstücksteil kann jedenfalls dann nicht als gewillkürtes Betriebsvermögen der Gesellschaft behandelt werden, wenn dieser Teil überwiegt und die Gesellschafter ihn in gleichem Umfang zu Wohnzwecken nutzen.

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 1

 

Tatbestand

Zu entscheiden ist bei der einheitlichen Gewinnfeststellung 1955, ob die steuerpflichtigen Eheleute (Steuerpflichtige), die als Helfer in Steuersachen ihre Praxis gemeinschaftlich betrieben, kein zum kleineren Teil betrieblichen Zwecken und im übrigen eigenen Wohnzwecken dienendes Gebäude in vollem Umfang als Betriebsvermögen behandeln durften.

Die Steuerpflichtigen ermittelten den Gewinn ihrer Praxisgemeinschaft durch Bestandsvergleich (ß 4 Abs. 1 EStG). In den Jahren 1954 und 1955 errichteten sie ein Gebäude, das sie zu 29,4 v. H. beruflich und im übrigen als eigene Wohnung nutzten. Es wurde als gemischt genutztes Grundstück bewertet. Die aktivierten Aufwendungen für den Grund und Boden und für die Errichtung des Hauses betrugen 48.121 DM. Die Steuerpflichtigen wiesen in der Bilanz der Praxisgemeinschaft vom 31. Dezember 1955 auch den Wohnzwecken dienenden Teil des Gebäudes aus.

Das Finanzamt erkannte die Aktivierung des zueigenen Wohnzwecken genutzten Teils des Grundstücks nicht an. Der Einspruch der Steuerpflichtigen wurde als unbegründet zurückgewiesen. Ihre Berufung hatte Erfolg. Zur Begründung führte das Finanzgericht unter Hinweis auf die Urteile des Bundesfinanzhofs VI 10/60 S vom 15. Juli 1960 (BStBl 1960 III S. 424, Slg. Bd. 71 S. 625), I 185/59 S vom 19. Juli 1960 (BStBl 1960 III S. 485, Slg. Bd. 71 S. 629) und I 103/60 S vom 22. November 1960 (BStBl 1961 III S. 97, Slg. Bd. 72 S. 259) aus, auch diejenigen Steuerpflichtigen, die ihren Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG ermittelten, könnten Gebäude, die sie gleichzeitig eigenbetrieblich und für Wohnzwecke nutzten, zum Betriebsvermögen ziehen. Voraussetzung sei, daß der Steuerpflichtige wirtschaftliche Gründe dafür darlegen könne, da das Grundstück zu einem wesentlichen Teil eigenbetrieblich genutzt werde und daß die Buchführung die Entscheidung des Steuerpflichtigen klar erkennen lasse. Diese Erfordernisse seien bei den Steuerpflichtigen erfüllt.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Vorsteher des Finanzamts mit der Rb. Zur Begründung führt er an, das ganze Grundstück der Steuerpflichtigen stehe nicht in dem notwendigen objektiven Zusammenhang mit dem Betrieb. Voraussetzung dafür, daß das Gebäude in vollem Umfang in das Betriebsvermögen aufgenommen werden dürfe, sei, daß es zu einem wesentlichen Teil eigenbetrieblich genutzt werde. Das sei bei den Steuerpflichtigen nicht der Fall. Denn eine "wesentliche" eigenbetriebliche Nutzung im Sinn des Urteils des Bundesfinanzhofs I 103/60 S sei nur gegeben, wenn die eigenbetriebliche Nutzung überwiege.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Obwohl es im vorliegenden Rechtsstreit letztlich um die Inanspruchnahme der Steuerbegünstigung des nicht entnommenen Gewinns (ß 10a EStG) bei den Einkommensteuerveranlagungen der Steuerpflichtigen geht, ist über die Frage, ob die Aufwendungen für den Bau des eigenen Wohnzwecken dienenden Teils des Gebäudes aus dem Betriebsvermögen entnommen wurden oder ob auch dieser Teil des Gebäudes als Betriebsvermögen der Praxisgemeinschaft behandelt werden konnte, im Verfahren der einheitlichen Gewinnfeststellung zu entscheiden (Urteil des Senats IV 246/56 U vom 16. Januar 1958, BStBl 1958 III S. 327, Slg. Bd. 67 S. 141).

Die Steuerpflichtigen aktivierten den eigenbetrieblich genutzten Teil des Grundstücks in ihrer Bilanz vom 31. Dezember 1955 mit Recht. Dagegen durften sie den eigenen Wohnzwecken dienenden Teil des Grundstücks nicht als (gewillkürtes) Betriebsvermögen behandeln, weil dieser Teil notwendiges Privatvermögen war. Zwar sah der Bundesfinanzhof in seinem Urteil I 117/60 S vom 29. November 1960 (BStBl 1961 III S. 183, Slg. Bd. 72 S. 500) in der überlassung keines einer OHG gehörenden Einfamilienhauses an einen Gesellschafter zu Wohnzwecken keine Entnahme und verneinte somit die Eigenschaft des Einfamilienhauses als notwendiges Privatvermögen des Gesellschafters. Die Begründung dieser Entscheidung stellt es maßgeblich darauf ab, daß das zum gesamthänderisch gebundenen Vermögen der OHG gehörende Grundstück nur einem Gesellschafter zur Nutzung überlassen werde. In solchen Fällen, so wird in dem Urteil weiter ausgeführt, sei es weder wirtschaftlich noch bürgerlich-rechtlich gerechtfertigt, entweder nur dem einen Gesellschafter den ganzen Entnahmegewinn zuzurechnen oder die Gesamtheit der Gesellschafter als Entnehmende zu behandeln; anders könne es z. B. dann liegen, wenn alle Gesellschafter im Rahmen des Betriebs der Gesellschaft für sich persönlich Wohnhäuser bauten, ohne daß dafür vernünftige betriebliche Gründe sprächen.

Die Gründe, die den Bundesfinanzhof in dem bezeichneten Grundsatzurteil I 117/60 S veranlaßten, ein ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken des Steuerpflichtigen benutztes Gebäude ausnahmsweise und entgegen der bisherigen Rechtsprechung dem gewillkürten Betriebsvermögen zuzurechnen, sind bei einer Benutzung des Gebäudes durch alle Gesellschafter zu eigenen Wohnzwecken jedenfalls dann nicht anwendbar, wenn die Benutzung jedes Gesellschafters in etwa den gleichen Umfang hat. Dann wäre es nicht zu vertreten, diese Benutzung durch die Gesellschafter steuerlich anders zu beurteilen, als es beim Einzelkaufmann der Fall ist. Da diese Erwägungen für die Gesellschaften des Handelsrechts und des bürgerlichen Rechts in gleicher Weise zutreffen, braucht der Senat nicht zu der Frage Stellung zu nehmen, ob die Grundsätze des Urteils I 117/60 S im vorliegenden Fall nicht schon deshalb für die Entscheidung unerheblich sind, weil es sich nicht um eine Gesellschaft des Handelsrechts, sondern um eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts handelt.

Die Frage, ob die Steuerpflichtigen den nicht betrieblich genutzten Teil ihres Gebäudes als gewillkürtes Betriebsvermögen behandeln durften, ist somit nach den auch für Einzelkaufleute und Freiberufler geltenden allgemeinen Grundsätzen zu beurteilen. Danach kann ein Grundstück nur dann in vollem Umfang zum Betriebsvermögen gezogen werden, wenn der eigenen Wohnzwecken dienende Teil nicht überwiegt (Urteil des Senats IV 99/63 S vom 12. November 1964, BStBl 1965 III S. 46). Das ist bei den Steuerpflichtigen nicht der Fall, weil der ihren eigenen Wohnzwecken dienende Teil des Grundstücks 70,6 v. H. betrug. Daran ändert der Vortrag der Steuerpflichtigen nichts, sie hätten allein aus betrieblichen Gründen ein teueres Grundstück an der verkehrsreichen Hauptstraße statt eines billigeren Grundstücks in einer ruhigen Wohngegend erworben. Denn maßgebend ist die Tatsache, daß die Steuerpflichtigen das Gebäude überwiegend zu eigenen Wohnzwecken nutzten. Da das Finanzgericht von anderen rechtlichen Erwägungen ausging, muß seine Entscheidung aufgehoben werden.

 

Fundstellen

BStBl III 1965, 445

BFHE 1965, 546

BFHE 82, 546

StRK, EStG:4 R 798

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