Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Abgrenzung von Betriebsvermögen und Privatvermögen bei der Gewinnermittlung auf Grund eines Vermögensvergleichs.

Auch Angehörige freier Berufe können unter bestimmten Voraussetzungen gewillkürtes Betriebsvermögen haben.

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 1, §§ 5, 10a, 13, 15, 18 Abs. 1 Nr. 1

 

Tatbestand

Streitig ist die Höhe der Entnahmen für die Berechnung des nicht entnommenen Gewinns im Sinne des § 10a EStG 1953/1955.

Der Bg. ist Helfer in Steuersachen; er ermittelt seinen Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG. In den Streitjahren 1954 und 1955 kaufte er aus Betriebsmitteln Wertpapiere, die er in den Bilanzen als Betriebsvermögen auswies. Das Finanzamt betrachtete die Anschaffungskosten von 1860 DM im Jahre 1954 und von 7278 DM im Jahre 1955 als Entnahmen; es ging davon aus, daß bei Angehörigen der freien Berufe Wertpapiere notwendig zum Privatvermögen gehörten. Der Einspruch blieb erfolglos.

Das Finanzgericht gab der Berufung statt; seine Entscheidung ist in "Entscheidungen der Finanzgerichte" 1960 S. 293 veröffentlicht. Es führte im wesentlichen aus: Wertpapiere gehörten bei einem Helfer in Steuersachen nicht zum notwendigen Betriebsvermögen; denn sie seien für die Betriebsführung nicht wesentlich. Sie könnten aber gewillkürtes Betriebsvermögen sein. Nach der früheren Rechtsprechung hätten nur Gewerbetreibende, die ihren Gewinn nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger kaufmännischer Buchführung ermittelten und deren Firma im Handelsregister eingetragen gewesen sei (§ 5 EStG a. F.), gewillkürtes Betriebsvermögen haben können (Urteil des Reichsfinanzhofs VI 435/42 vom 14. April 1943, RStBl 1943 S. 482). Für Steuerpflichtige, die ihren Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG ermittelten, sei das Betriebsvermögen nur nach der objektiven Zweckbestimmung der Wirtschaftsgüter abzugrenzen gewesen, so daß nicht im Handelsregister eingetragene Gewerbetreibende und freiberuflich Tätige nicht die Möglichkeit gehabt hätten, durch freien Willensentschluß Wirtschaftsgüter zu gewillkürtem Betriebsvermögen zu machen (Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 651 und 652/35 vom 15. Januar 1936, RStBl 1936 S. 530). Der Bundesfinanzhof habe aber im Urteil IV 19/55 U vom 12. Mai 1955 (BStBl 1955 III S. 205, Slg. Bd. 61 S. 18) zugelassen, daß die Angehörigen freier Berufe, die einen Kraftwagen zu weniger als 50 v. H. betrieblich nutzten, diesen Kraftwagen als Gegenstand des Betriebsvermögens führen könnten, vorausgesetzt, daß sie den Gewinn auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung nach § 4 Abs. 1 EStG (oder in vereinfachter Form nach § 8 Abs. 2 EStDV 1950/1951) ermittelten und die überführung in das Betriebsvermögen buchmäßig klar zum Ausdruck brächten. Der Streitfall liege allerdings insofern anders, als der Kraftwagen damals wenigstens teilweise betrieblich genutzt worden sei, während das bei den streitigen Wertpapieren nicht der Fall sei. Aber auch Wertpapiere könnten einem Betrieb wirtschaftlich dienen. Börsenfähige Wertpapiere seien leicht verwertbar und könnten bei Auftreten eines betrieblichen Geldbedarfs verkauft werden; sie könnten auch eine Kreditunterlage sein. Es sei deshalb nicht gerechtfertigt, Wertpapiere bei Angehörigen der freien Berufe als Betriebsvermögen von vornherein auszuschließen. Gerade durch die Einführung der Steuervergünstigung für den nicht entnommenen Gewinn (§ 10a EStG) habe die Frage des gewillkürten Betriebsvermögens bei den Angehörigen der freien Berufe an Bedeutung gewonnen. Denn auch die Angehörigen der freien Berufe könnten, soweit sie die sonstigen Voraussetzungen des § 10a EStG erfüllten, für die Mittel, die sie im Betrieb beließen, die Vergünstigung in Anspruch nehmen. Wenn der Gesetzgeber so die betriebliche Kapitalbildung fördern wolle, so könne er nicht gewollt haben, daß ein Steuerpflichtiger die nicht entnommenen Gewinne, die im Betrieb nicht sofort benötigt würden, zum Schaden des Kapitalmarkts etwa als Bargeld im Betrieb stehen lassen oder sonst das Geld unter Verzicht auf eine entsprechende Verzinsung unwirtschaftlich anlegen müßte. Wertpapiere, die aus Betriebseinnahmen herrührten, gehörten so lange zum Betriebsvermögen eines freiberuflich Tätigen, als ihre überführung ins Privatvermögen nicht kenntlich gemacht oder den Umständen nach anzunehmen sei. Auch im Schrifttum werde angenommen, daß Angehörige der freien Berufe gewillkürtes Betriebsvermögen haben könnten (Vangerow, Steuer und Wirtschaft 1955, Sp. 742; Hartmann-Böttcher, Anm. 5b zu §§ 4, 5 EStG, Anm. 20a zu § 18 EStG; Littmann, 6. Aufl. 1959, Anm. 108, 114 zu §§ 4, 5 EStG; Blümich-Falk, 8. Aufl., Anm. 12 zu § 4 EStG). Die Frage, ob Wertpapiere bei Angehörigen der freien Berufe auch zum Betriebsvermögen gehören könnten, wenn sie mit außerbetrieblichen (privaten) Geldmitteln angeschafft und dann in das Betriebsvermögen eingelegt worden seien oder wenn der Bestand an Wertpapieren so groß sei, daß auf eine dauernde private Vermögensanlage geschlossen werden müsse, brauche nicht geprüft zu werden; denn der Bg. habe die Wertpapiere mit betrieblichen Geldmitteln erworben.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Wie das Finanzgericht zutreffend ausführt, wurde früher überwiegend angenommen, daß nur Steuerpflichtige, die den Gewinn nach § 5 EStG a. F. zu ermitteln hatten, gewillkürtes Betriebsvermögen haben könnten; Steuerpflichtige, die ihren Gewinn aber nach § 4 Abs. 1 EStG ermitteln mußten, also Land- und Forstwirte, Minderkaufleute, Handwerker und Angehörige der freien Berufe, sollten nur solche Gegenstände als Betriebsvermögen führen dürfen, die objektiv, unmittelbar und notwendig mit der Führung des Betriebs zusammenhingen (sogenanntes notwendiges Betriebsvermögen). Schon in der Entscheidung IV 19/55 U a. a. O. hat der IV. Senat des Bundesfinanzhofs eine so scharfe Trennung nicht gebilligt. Wenn die Entscheidung sich auch unmittelbar nur mit dem Kraftwagen eines Freiberuflers befaßt, so sind die ihr zugrunde liegenden Erwägungen, doch von allgemeiner Bedeutung. Das Gesetz selbst gibt für die erwähnte Unterscheidung tatsächlich keinen Anhalt (Kaatz, Finanz-Rundschau 1956 S. 63). Die Abgrenzung kann nur im Wege der Auslegung des Begriffs "Betriebsvermögen" gewonnen werden. Es ist in diesem Zusammenhang wesentlich, daß durch die Neufassung des § 5 im EStG 1955 die frühere Abgrenzung zwischen den Formen der Gewinnermittlung in §§ 4, 5 EStG aufgegeben worden ist und auch die wirtschaftliche Entwicklung eine eindeutige Trennung zwischen Gewerbetreibenden und Angehörigen der freien Berufe immer problematischer macht. Mit Recht hat das Finanzgericht darauf hingewiesen, daß der Gesetzgeber selbst dieser Entwicklung dadurch Rechnung getragen hat, daß er allen Gewinnberufen in gleicher Weise die Vergünstigung für den nicht entnommenen Gewinn zubilligte, sofern sie die sachlichen und formalen Voraussetzungen erfüllten.

Die Frage, ob und welche Gegenstände ein Unternehmer zu seinem Betriebsvermögen zieht, kann nicht ausschließlich in sein Ermessen gestellt werden; andernfalls würde dem Unternehmer ein sachlich ungerechtfertigter Spielraum in der Gestaltung seiner Einkünfte eingeräumt werden. Wollte man z. B. einem Rechtsanwalt gestatten, in beliebigem Umfang Mietwohngrundstücke oder Wertpapiere zum Gegenstand seines Betriebsvermögens zu machen, so würden die vom Gesetzgeber gezogenen Grenzen zwischen den verschiedenen Einkunftsarten ohne vernünftigen Sinn verschoben.

Es gibt Gegenstände, die ihrer Natur nach mit dem Betrieb des Steuerpflichtigen eng zusammenhängen und für die Führung des Betriebs wesentlich oder gar unentbehrlich sind; man pflegt sie als notwendiges Betriebsvermögen zu bezeichnen. Welche Wirtschaftsgüter dazu gehören, kann in Grenzfällen nur aus den Gegebenheiten des Wirtschaftsguts und seinem Verhältnis zu einem bestimmten Betrieb entschieden werden.

Ferner gibt es Wirtschaftsgüter, die ihrer Natur nach zum privaten Vermögen gehören und die der Unternehmer deshalb, auch wenn er es wollte, nicht zum Betriebsvermögen ziehen kann. Man spricht hier von notwendigem Privatvermögen. Auch hier können die Grenzen nur im Einzelfall unter Berücksichtigung der betrieblichen Gegebenheiten gesetzt werden.

Zwischen dem notwendigen Betriebsvermögen und dem notwendigen Privatvermögen steht das gewillkürte Betriebsvermögen. Es umfaßt die Wirtschaftsgüter, deren Art nicht eindeutig in den betrieblichen oder privaten Bereich weist, deren Einreihung in den betrieblichen oder privaten Bereich aber auch ihrer Natur nicht widerspricht. In solchen Fällen steht dem Unternehmer ein Gestaltungsrecht zu; er kann entscheiden, in welchem Bereich er die Wirtschaftsgüter führen will. Im Interesse der steuerlichen Gleichmäßigkeit und zur Ausschaltung willkürlicher Manipulationen müssen aber bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein:

Aus dem Begriff Betriebsvermögen ergibt sich, daß nur Gegenstände in Betracht kommen, die in einem gewissen objektiven Zusammenhang mit dem Betrieb stehen und ihn zu fördern bestimmt und geeignet sind, wie in den Urteilen des Bundesfinanzhofs IV 537/54 U vom 22. Dezember 1955 (BStBl 1956 III S. 65, Slg. Bd. 62 S. 172) und IV 109/59 U vom 28. Januar 1960 (BStBl 1960 III S. 172, Slg. Bd. 70 S. 456) zutreffend dargelegt ist. "Gewillkürt" bedeutet nicht "willkürlich". In Grenzfällen hat der Unternehmer darzutun, welche Beziehung das Wirtschaftsgut zum Betrieb hat und welche vernünftigen wirtschaftlichen überlegungen ihn veranlaßt haben, das Wirtschaftsgut zum Betriebsvermögen zu ziehen. Diese Frage kann auch wiederum nur im Einzelfall unter Berücksichtigung der Eigenarten des Wirtschaftsguts und des Betriebs beantwortet werden. Bei Kaufleuten, die den Umfang ihres Geschäftskreises grundsätzlich frei bestimmen können, werden dabei im allgemeinen die Grenzen weiter zu ziehen sein als z. B. bei Land- und Forstwirten oder den Angehörigen der freiberuflich Tätigen, deren wirtschaftlicher Bereich durch die Eigenart ihres Berufs meist enger gezogen ist. Allerdings ist zu beachten, daß die freien Berufe im Sinne des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG unter sich verschiedenartig sind und daß insbesondere bei den neueren freien Berufen die Berufsgrenzen nicht festliegen; manche von ihnen nähern sich stark den Gewerbebetrieben.

Der Unternehmer muß aus seiner Entscheidung alle steuerlichen Folgen ziehen und darf auch nicht willkürlich ohne zureichenden wirtschaftlichen Grund die einmal getroffene Entscheidung ändern.

Der Unternehmer muß eine solche Buchführung einrichten und unterhalten, die nachhaltig eine Kontrolle seiner Entschließung und der Vermögensentwicklung ermöglicht. Der Gewinn muß durch Vermögensvergleich ermittelt werden.

Nach diesen Rechtsgrundsätzen hat das Finanzgericht zutreffend angenommen, daß die Wertpapiere nicht notwendiges Betriebsvermögen waren, daß es dem Bg. aber freistand, mit dem in seinem Betrieb vereinnahmten Geld, das Betriebsvermögen war und es bis zu einer etwaigen Entnahme blieb, Wertpapiere für den Betrieb anzuschaffen. Er war nicht gehindert, das Geld in seinem Betrieb in angemessenem Rahmen in freiveräußerlichen Wertpapieren anzulegen, zumal er das Geld nicht entnehmen konnte, ohne die Vergünstigung für den nicht entnommenen Gewinn zu verlieren. überdies hat der Bg. unbestritten vorgetragen, daß er das Geld bzw. die Wertpapiere im Betriebsvermögen belassen habe, um damit einen Kraftwagen und andere Wirtschaftsgüter für den Betrieb anschaffen zu können, und daß er diese Gegenstände nachher auch tatsächlich angeschafft habe.

Die Vorentscheidung muß trotzdem wegen mangelnder Sachaufklärung aufgehoben werden. Die Akten lassen nicht erkennen, ob der Bg., als er die Wertpapiere verkaufte, daraus auch die Folge gezogen hat, den Veräußerungsgewinn der Einkommensteuer zu unterwerfen. Das Finanzgericht hat diese Feststellung nachzuholen und sodann endgültig über den Streitfall zu entscheiden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409757

BStBl III 1960, 484

BFHE 1961, 625

BFHE 71, 625

BB 1960, 1192

DB 1960, 1323

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