Entscheidungsstichwort (Thema)

Hinzurechnung von Zinsen für DDR-Altkredite als Dauerschuldentgelte

 

Leitsatz (NV)

Für die Beurteilung der Altkreditschulden einer VEB-Nachfolge-GmbH als Dauerschulden i. S. des §8 Nr. 1 GewStG gelten die allgemeinen Grundsätze. Dabei ist der durch die Besonderheiten der planwirtschaftlichen Kreditvergabe geprägte Entstehungsgrund der Schulden ohne Bedeutung.

 

Normenkette

GewStG § 8 Nr. 1; EntschVO § 2 Abs. 1

 

Verfahrensgang

Thüringer FG

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, ist 1990 durch Umwandlung aus einem volkseigenen Betrieb (VEB) hervorgegangen. Sie minderte den Gewinn 1992 (Streitjahr) um Zinsen für Altkredite i. S. des §2 Abs. 1 der Verordnung über Maßnahmen zur Entschuldung bisher volkseigener Unternehmen von Altkrediten (Entschuldungsverordnung -- EntschVO --) vom 5. September 1990 (Gesetzesblatt der DDR -- GBl DDR -- I 1990, 1435), die der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) als Entgelte für Dauerschulden der zweiten Tatbestandsgruppe des §8 Nr. 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) behandelte.

Einsprüche und Klage, die die Festsetzung und Zerlegung des Gewerbesteuermeßbetrags 1992 betrafen, blieben erfolglos.

Mit der auf die Verletzung des §8 Nr. 1 GewStG gestützten Revision beantragt die Klägerin, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Gewerbesteuermeßbescheid 1992 vom ... sowie den Zerlegungsbescheid 1992 vom ... , jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom ... , dahin abzuändern, daß ein Gewerbesteuermeßbetrag in Höhe von ... DM festgesetzt und zerlegt wird, hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Finanzgericht (FG) zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist als unbegründet zurückzuweisen (§126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

1. Nach §8 Nr. 1 GewStG in der im Streitjahr geltenden Fassung werden dem Gewinn aus Gewerbebetrieb u. a. die bei seiner Ermittlung abgezogenen Entgelte für die Schulden zur Hälfte wieder hinzugerechnet, die der nicht nur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals dienen -- zweite Tatbestandsgruppe --.

Im Streitfall sind diese Voraussetzungen erfüllt. Das FG hat die Altkreditverbindlichkeiten entgegen der Auffassung der Klägerin zu Recht als Dauerschulden beurteilt.

2. §8 Nr. 1 GewStG ist im Beitrittsgebiet ab dem 1. Januar 1991 anzuwenden (Art. 8 i. V. m. Anlage I Kapitel IV Sachgebiet B Abschn. II Nr. 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 20 Buchst. h des Einigungsvertrages -- EinigVtr --). Hierbei sind die Verhältnisse im jeweiligen Erhebungszeitraum auch insoweit maßgebend, als es für das Tatbestandsmerkmal der Schulden auf deren Bestehen, nicht aber auf den Zeitpunkt ihrer Entstehung ankommt. Daraus folgt, daß bei Gewerbebetrieben mit Geschäftsleitung im Beitrittsgebiet ab dem Erhebungszeitraum 1991 Entgelte für Dauerschulden auch dann der Hinzurechnung unterliegen, wenn die Schulden vor dem 1. Januar 1991 begründet worden sind. Dies ist verfassungsrechtlich unbedenklich.

3. Für die Beurteilung der Altkreditverbindlichkeiten als Dauerschulden gelten die allgemeinen Grundsätze. Dabei ist der durch die Besonderheiten der planwirtschaftlichen Kreditvergabe geprägte Entstehungsgrund der Schulden ohne Bedeutung (zutreffend Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 22. Dezember 1994 IV B 2 -- S 1901 -- 193/94, Steuererlasse in Karteiform, Einkommensteuergesetz, §4, BetrAusg. Nr. 428 -- unter Tz. 3 --).

a) Der Senat pflichtet der Klägerin darin bei, daß sich der Kredit in der sozialistischen Planwirtschaft der DDR in Wesen und Funktion grundlegend von der marktwirtschaftlichen Darlehensaufnahme nach den §§607 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) unterschied. Die Kredite wurden auf der Grundlage der Verordnung über die Kreditgewährung und Bankkontrolle der sozialistischen Wirtschaft (Kreditverordnung) vom 28. Januar 1982 (GBl DDR I 1982, 126) von Staatsbanken vergeben. Die Besonderheiten der Kreditvergabe waren, wie der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem Urteil vom 26. Oktober 1993 XI ZR 222/92 (BGHZ 124, 1 unter II. 3. a und III.) im einzelnen ausgeführt hat, durch das Zusammenwirken von Gewinnabführung und Zwangskreditierung gekennzeichnet. Für die Betriebe bestand ein Zwang zur Kreditaufnahme, da ihr Finanzbedarf durch den Plan vorgegeben war und die ihnen vom Staat belassenen Eigenmittel zur Erfüllung der Planziele nicht ausreichten; letzteres beruhte auf dem Umfang der Gewinnabgaben, die die Betriebe an den Staat entrichten mußten.

b) Diese Besonderheiten schließen nicht die Annahme aus, daß zivilrechtlich und gewerbesteuerrechtlich Schulden (fort-) bestanden.

Nach dem BFH-Urteil in BGHZ 124, 1 hat das Ende der sozialistischen Planwirtschaft die Verpflichtungen der volkseigenen Wirtschaftseinheiten zur Rückzahlung der Altkredite weder ganz noch in Höhe der erwähnten Gewinnabgaben wegfallen lassen. Maßgebend ist die Erwägung, daß der Einigungsgesetzgeber die Verpflichtungen als tilgungsbedürftige und entsprechend zu bilanzierende Verbindlichkeiten behandelt hat. Da auch die speziell Altkreditschulden von Treuhandunternehmen betreffende EntschVO den Fortbestand solcher Schulden voraussetzt, gilt für die auf eine VEB- Nachfolge-GmbH übergegangene Verpflichtung zur Kreditrückzahlung nichts anderes (BGH-Urteil vom 11. Oktober 1994 XI ZR 189/93, Neue Juristische Wochenschrift -- NJW -- 1995, 47 unter II. 2.). Ebensowenig besteht ein Grund, die Altkredite nach dem 1. Juli 1990 generell in Eigenkapital der VEB-Nachfolgegesellschaften umzuqualifizieren (vgl. BGH-Urteil in NJW 1995, 47 unter II. 5.).

Hieran ist für die gewerbesteuerrechtliche Beurteilung anzuknüpfen, weil die Schulden i. S. des §8 Nr. 1 GewStG Verbindlichkeiten und ferner, was die Klägerin verkennt, Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten umfassen (vgl. Hofmeister in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, 15. Aufl., §8 GewStG Rz. 21 und 90 -- Rückstellungen --).

c) Entsprechendes gilt für die Frage, ob der Gegenwert der Schuld aus einem Altkredit der Verstärkung des Betriebskapitals dient und die Verstärkung eine nicht nur vorübergehende ist.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) dient grundsätzlich jede Schuld des Betriebs der Verstärkung des Betriebskapitals (z. B. Urteile vom 10. November 1976 I R 133/75, BFHE 120, 545, BStBl II 1977, 165; vom 5. November 1980 I R 132/77, BFHE 132, 87, BStBl II 1981, 219; vom 24. Mai 1989 I R 85/85, BFHE 158, 79, BStBl II 1989, 900; vom 7. August 1990 VIII R 30/89, BFHE 162, 129, BStBl II 1990, 1081). Auf das Handeln und den Willen des Unternehmers kommt es ebensowenig an wie auf den Inhalt und den Entstehungsgrund der Schuld; die Annahme einer Dauerschuld setzt auch keine rechtsgeschäftliche Verpflichtung im Sinne einer sog. Schuldaufnahme voraus (vgl. BFH-Urteile vom 27. Juni 1957 IV 140/56 U, BFHE 65, 140, BStBl III 1957, 287; vom 26. November 1957 I 230/56 U, BFHE 66, 97, BStBl III 1958, 39; vom 11. August 1959 I 197/57 S, BFHE 69, 447, BStBl III 1959, 428). So gesehen kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg darauf berufen, daß sie selbst keine rechtsgeschäftliche Verpflichtung eingegangen und die "Kreditaufnahme" durch den VEB mit einer Darlehensaufnahme nach den §§607 ff. BGB nicht vergleichbar ist.

Eine Schuld -- ausgenommen Verbindlichkeiten des laufenden Geschäftsverkehrs und Kontokorrentschulden, für die abweichende Regeln gelten -- dient der nicht nur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals, wenn ihr Gegenwert das Betriebskapital tatsächlich länger als ein Jahr verstärkt (ebenfalls ständige Rechtsprechung, z. B. Senatsurteil vom 27. Februar 1991 I R 29/89, BFHE 164, 89, BStBl II 1991, 529, m. w. N.).

4. Nach diesen Grundsätzen waren im Streitfall Dauerschulden der zweiten Tatbestandsgruppe gegeben.

a) Zum Bestehen der Schulden hat das FG bindend (§118 Abs. 2 FGO) festgestellt: Die Klägerin war zur Rückzahlung der Altkredite, die eine Staatsbank dem VEB gewährt hatte, gegenüber einem Kreditinstitut verpflichtet. Sie hat die Tilgungsverpflichtungen sowohl in ihrer DM-Eröffnungsbilanz zum 1. Juli 1990 als auch noch in ihrer Bilanz zum 31. Dezember 1992 mit insgesamt (umgerechnet) ... DM zutreffend als Verbindlichkeiten ausgewiesen. Daraus folgt, daß im Streitjahr Schulden in Gestalt von (gewissen) Verbindlichkeiten vorlagen.

Die Klägerin hat demgegenüber im Revisionsverfahren erstmals geltend gemacht, die Verbindlichkeiten seien deshalb ungewiß gewesen, weil die ... -Bank Forderungen aus den Altkrediten möglicherweise nicht wirksam erhoben habe. Der Senat kann diesen neuen tatsächlichen Vortrag mangels einer hinreichenden Verfahrensrüge nicht berücksichtigen. Im übrigen würden, wie erwähnt, auch Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu den Schulden zählen.

b) Die Schulden dienten der längerfristigen Verstärkung des Betriebskapitals der Klägerin. Die Kredite waren nach den Feststellungen des FG dem VEB nicht zur Finanzierung konkreter laufender Geschäftsvorfälle gewährt worden. Die Kreditschulden waren somit auch nach ihrem Übergang auf die Klägerin keine Verbindlichkeiten des laufenden Geschäftsverkehrs. Aus den Feststellungen des FG ergibt sich auch, daß sie keine Kontokorrentverbindlichkeiten waren. Die Kreditschulden verstärkten das Betriebskapital der Klägerin nicht nur vorübergehend, da ihre Gegenwerte der Klägerin für mindestens 30 Monate (vom 1. Juli 1990 bis zum 31. Dezember 1992) zur Verfügung standen. Unter diesen Umständen kann offenbleiben, ob für die Berechnung der Jahresfrist die tatsächliche Dauer der Verstärkung des Betriebskapitals des VEB einzubeziehen wäre.

 

Fundstellen

Haufe-Index 66624

BFH/NV 1998, 212

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