Entscheidungsstichwort (Thema)

Begründung der NZB; Auswahlermessen

 

Leitsatz (NV)

Zu den Anforderungen an die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde des FA (grundsätzliche Bedeutung, Verfahrensmängel) gegen ein Urteil des FG, mit dem ein Haftungsbescheid wegen fehlender Ausübung des Auswahlermessens aufgehoben worden ist, weil das FA auf die Möglichkeit der Mithaftung einer anderen Person nach §25 HGB nicht eingegangen ist.

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3, Abs. 3 S. 3; HGB § 25

 

Tatbestand

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Finanzgericht (FG) den Haftungsbescheid, mit dem die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) wegen rückständiger Umsatzsteuer einer OHG, deren Gesellschafterin sie gewesen ist, nach §§191, 69 der Abgabenordnung (AO 1977) sowie §128 des Handelsgesetz buches (HGB) und §§421, 427 analog des Bürgerlichen Gesetzbuches in Anspruch genommen worden war, wegen fehlender Ausübung des Auswahlermessens aufgehoben. Das FG hat ausgeführt, neben der Klägerin habe dem Beklagten und Beschwerdeführer (Finanzamt -- FA --) auch deren Sohn, der das Geschäft der OHG als Einzelkaufmann fortgeführt habe, als Haftungsschuldner zur Verfügung gestanden. Dessen Haftung für frühere Umsatzsteuerschulden der OHG ergebe sich sowohl aus der Haftung des Betriebsübernehmers gemäß §75 Abs. 1 AO 1977 als auch aus seiner Haftung als Vollkaufmann wegen Firmenfortführung gemäß §25 i. V. m. §§1, 5 HGB. Eine Inanspruchnahme des Sohnes hätte sich dem FA bei Ausübung des Auswahlermessens auch deswegen aufdrängen müssen, da sich dieser neben seiner bestehenden gesetzlichen Haftung intern durch den notariellen Übergabevertrag gegenüber den Gesellschaftern der OHG dazu verpflichtet hatte, die offenen Verbindlichkeiten und damit auch die Steuerschulden der Gesellschaft zu übernehmen.

 

Entscheidungsgründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde des FA, die auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und auf Verfahrensfehler des FG -- Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§76 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) und des rechtlichen Gehörs (§96 Abs. 2 FGO) -- gestützt wird, hat keinen Erfolg.

1. Die vom FA als rechtsgrundsätzlich (§115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) angesehene Rechtsfrage, ob der Haftungsgläubiger zu einer Darlegung seines Auswahlermessens nur in jenen Fällen verpflichtet ist, in denen "offensichtlich" und "ohne den geringsten Zweifel" zwei oder mehrere Personen als Haftungsschuldner für eine Inanspruchnahme zur Verfügung stehen, oder ob der Haftungsgläubiger stets in eine nachvollziehbare Prüfung aller (eventuell auch nur entfernt in Betracht kommenden) Haftungsalternativen einzutreten hat, ist im Streitfall nicht entscheidungserheblich. Sie wäre daher in einem auf die Beschwerde hin zugelassenen Revisionsverfahren nicht klärungsfähig.

Das FG ist nach seiner Urteilsbegründung erkennbar davon ausgegangen, daß der Sohn der Klägerin die Haftungstatbestände des §75 AO 1977 (Übernahme eines Betriebes) und des §25 HGB (Erwerb eines Handelsgeschäfts unter Fortführung der Firma) erfüllt. Da sich jedenfalls die Haftung nach §25 HGB auf alle im Betrieb des Handelsgeschäfts der früheren OHG begründeten Steuerschulden erstreckt, hätte das FA nach Auffassung des FG den Sohn der Klägerin ebenso wie diese selbst uneingeschränkt als Haftungsschuldner für die rückständige Umsatzsteuer der OHG in Anspruch nehmen können. Daß auf der Grundlage dieser Rechtsauffassung die Ausübung und Begründung des Auswahlermessens (§191 Abs. 1 AO 1977) hinsichtlich der in Betracht kommenden Haftungsschuldner aus dem Haftungsbescheid ersichtlich sein müssen, ist offensichtlich und bedarf keiner weiteren Klärung durch eine höchstrichterliche Entscheidung. Auf die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob auch bei rechtlichen Zweifeln an der Begründung eines Haftungstatbestands durch einen möglichen anderen Haftungsschuldner das Auswahlermessen im Haftungsbescheid dargelegt werden muß, kommt es somit im Streitfall nicht an. Unerheblich ist auch, ob die Auffassung des FG, daß der Sohn der Klägerin -- neben dieser -- nach §25 HGB für die Steuerschulden der OHG haftet, rechtlich zutreffend ist. Ein insoweit etwa vorliegender Rechtsfehler der Vorentscheidung könnte die Zulassung der Revision nicht begründen; denn das FA hat hinsichtlich der dem Urteil zugrundeliegenden Rechtsauffassung des FG, daß der Sohn der Klägerin nach §25 HGB haftet, keine durchgreifenden Zulassungsgründe dargelegt (s. nachfolgend 2.).

2. a) Soweit mit der Beschwerde Einwendungen und Verfahrensfehler hinsichtlich der vom FG angenommenen Haftung des Sohnes als Betriebsübernehmer nach §75 AO 1977 geltend gemacht werden (hier: Zeitliche Beschränkung der Haftung), sind diese unerheblich, weil das FG daneben eine uneingeschränkte Haftung des Sohnes nach §25 HGB angenommen hat.

b) Hinsichtlich der Haftung des Sohnes der Klägerin nach §25 HGB liegt -- entgegen dem Vorbringen der Beschwerde -- eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des FA (§96 Abs. 2 FGO) nicht deshalb vor, weil das FG in der mündlichen Verhandlung seinen Hinweis auf die Möglichkeit der Ver letzung des Auswahlermessens nur mit der Erwerberhaftung nach §75 AO 1977 begründet hat. Da das FG -- wie die Beschwerde einräumt -- die Beteiligten auf die Möglichkeit der (Mit-)Haftung des Sohnes hingewiesen hat, lag angesichts der auch dem FA bekannten Tatsache, daß dieser das Handelsgeschäft der OHG erworben hatte und jedenfalls nach der Eintragung im Handelsregister die bisherige Firma unter Beifügung eines das Nachfolgeverhältnis andeutenden Zusatzes fortführte, die Möglichkeit einer Haftung des Erwerbers nach §25 HGB -- neben der Haftung nach §75 AO 1977 -- so nahe, daß es keine Überraschungsentscheidung für das FA darstellt, wenn das Urteil des FG auch auf die Mithaftung des Sohnes nach §25 HGB gestützt worden ist, obwohl diese Haftungsnorm in der mündlichen Verhandlung nicht ausdrücklich erwähnt worden ist. Da dem FA, das in der mündlichen Verhandlung durch einen Beamten des höheren Dienstes vertreten war, bekannt war, daß die Frage des Auswahlermessens entscheidungserheblich sein könnte, hätte es von sich aus auf den hier für den Sohn der Klägerin als Erwerber eines Handelsgeschäfts naheliegenden Haftungstatbestand des §25 HGB eingehen und durch entsprechende Beweisanträge darauf hinwirken müssen, daß die Haftung nach dieser Vorschrift -- wie es nunmehr vorträgt -- bereits im finanzgerichtlichen Verfahren ausgeschlossen werden konnte.

c) Im Hinblick auf die Haftung des Erwerbers bei Firmenfortführung (§25 HGB) rügt das FA ferner die Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes durch das FG (§76 Abs. 1 FGO). Bei der gebotenen Sachaufklärung hätte sich ergeben, daß sich der Erwerber -- entgegen der Erklärung gegenüber dem Registergericht -- am Markt nicht durchgängig der alten Firma bedient habe.

Diese Verfahrensrüge entspricht nicht den Begründungsanforderungen nach §115 Abs. 3 Satz 3, §120 Abs. 2 Satz 2 FGO. Hierzu hätte die Beschwerde u. a. darlegen müssen, warum sich dem FG diese Beweiserhebung auch ohne besonderen Antrag als erforderlich hätte aufdrängen müssen, obwohl das in der mündlichen Verhandlung sachkundig vertretene FA nicht von sich aus einen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat (vgl. Herrmann, Die Zulassung der Revision und die Nichtzulassungsbeschwerde im Steuerprozeß, Rdnr. 228, m. w. N.). Wie oben ausgeführt (2. b), hätte es sich dem Vertreter des FA aufdrängen müssen, Beweisanträge zur Frage der Firmenfortführung nach §25 HGB zu stellen, wenn nach den besonderen Umständen des Falles die Eintragung im Handelsregister nicht mit dem tatsächlichen Auftreten des Erwerbers des Handelsgeschäfts übereinstimmte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 66620

BFH/NV 1998, 342

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