Entscheidungsstichwort (Thema)

Verlust des Rechts, einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen

 

Leitsatz (NV)

1. Eine Richterablehnung kann im Klageverfahren nicht mehr auf Ausführungen in einem vorausgegangenen AdV-Beschluß (Inhalt: AdV unter Sicherheitsleistung) gestützt werden, wenn danach abermals AdV - ohne Sicherheitsleistung - beantragt worden ist und später die Teilnahme an einem Erörterungstermin stattgefunden hat, ohne daß Ablehnungsgesuche angebracht worden wären.

2. Bei der Begründung des Ablehnungsgesuches mit Ausführungen in einem eine andere Streitsache betreffenden Urteil kann der Zusammenhang mit dem übrigen Urteilsinhalt sowie mit einem am selben Tage ergangenen Urteil in einer dritten Streitsache zu berücksichtigen sein.

 

Normenkette

FGO § 51 Abs. 1; ZPO § 43

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

Beim FG war eine Klage wegen der Feststellung des Einheitswertes des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1974 anhängig, über die am 24. Juni 1986 mündlich verhandelt wurde. Der Kl. lehnte die beisitzenden Richter am FG, Dr. A und B, als befangen ab. Seinen Antrag begründete er wie folgt:

Dr. A und B hätten an dem Beschluß vom 3. März 1983 mitgewirkt, durch den die beantragte Aussetzung der Vollziehung in der VSt-Sache 1970 bis 1973 nur unter Anordnung einer Sicherheitsleistung gewährt worden sei. Die Sicherheitsleistung sei u. a. wie folgt begründet worden:

,,Schließlich ist zu berücksichtigen, daß der Antragsteller im Zusammenhang mit der Gründung und Durchführung einer der Abschreibungsgesellschaften, deren Initiator er ist, in ein Strafverfahren wegen Betruges oder Steuerhinterziehung verwickelt ist oder war."

Diese Begründung stehe in einem unlösbaren Widerspruch zu der geltenden Unschuldsvermutung. Die Anordnung der Sicherheitsleistung habe deshalb nicht auf das Strafverfahren gestützt werden dürfen, und zwar unabhängig davon, daß die gegen den Kl. erhobene Anklage sowohl vom Landgericht als auch vom Oberlandesgericht zurückgewiesen und ihm Ersatz seines Schadens zugesprochen worden sei.

Die Besorgnis der Befangenheit des Richters Dr. A werde im übrigen auch auf seine Mitwirkung in der Klagesache der XGmbH i. L. wegen der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1972 und den 1. Januar 1973 gestützt. In dem in dieser Sache ergangenen Urteil vom 30. November 1984 sei wörtlich ausgeführt worden:

,,Schließlich entbehrt die Bewertung der Technologien mit . . . Mio. DM der Höhe nach jeder Grundlage. Es handelt sich insoweit um reine Spekulationen."

Vergegenwärtige man sich, daß die Betriebsprüfer in einer sieben Jahre andauernden Betriebsprüfung zu einem Wert der Technologien von . . . Mio. DM gekommen seien, und berücksichtige man weiter, daß der Kl. den Technologien einen weit höheren Wert beimesse, dann frage es sich, wie ein Finanzrichter, der selbst nicht über die erforderlichen Voraussetzungen verfüge, Technologien zu bewerten, zu einer derartigen Aussage kommen könne. Er, der Kl., befürchte unter diesen Umständen, daß sich die beiden abgelehnten Richter ihm gegenüber von sachfremden Erwägungen leiten ließen.

Zur Entscheidung über den Ablehnungsantrag traten an die Stelle der beiden abgelehnten Richter die Richter am FG C und Dr. D. Der Kl. lehnte daraufhin auch den Richter C als befangen ab, da er an den beiden genannten Entscheidungen mitgewirkt habe.

An die Stelle des abgelehnten Richters C trat nunmehr der Richter am FG E. In dieser Besetzung hat das FG sodann den gegen den Richter C gerichteten Ablehnungsantrag abgelehnt. Im Anschluß daran hat es unter Teilnahme des Richters C, der an die Stelle des Richters E trat, auch den Ablehnungsantrag gegen die Richter Dr. A und B abgelehnt. In seiner geschäftsplanmäßigen Besetzung hat der zuständige Senat des FG sodann die Klage abgewiesen.

Der Kl. hat gegen die beiden Beschlüsse, durch die die Befangenheitsanträge abgelehnt wurden, Beschwerde eingelegt und beantragt, die Richter Dr. A, B und C für befangen zu erklären.

 

Entscheidungsgründe

Seine Beschwerde ist zulässig (vgl. den Beschluß des Großen Senats vom 30. November 1981 GrS 1/80, BFHE 134, 525, BStBl II 1982, 217), aber unbegründet.

1. Auf den Beschluß des FG vom 3. März 1983 kann der Kl. sich schon deshalb nicht mehr stützen, weil er sich auch nach der Zustellung des Beschlusses in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat (§ 51 Abs. 1 FGO i. V. m. § 43 ZPO).

Bereits mit Schriftsatz vom 24. März 1983 haben er und seine Ehefrau einen erneuten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der VSt in voller Höhe ohne Sicherheitsleistungen gestellt, ohne die drei beteiligten Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Auf Seite 16 dieses Schriftsatzes befinden sich zwar Ausführungen dahingehend, daß der Hinweis auf das schwebende Strafverfahren bei den Antragstellern (dem Kl. und seiner Ehefrau) ein gewisses Gefühl der Sorge aufkommen lasse, daß die erkennenden Richter im ursprünglichen Verfahren eventuell voreingenommen gewesen sein könnten. Wie jedoch einem handschriftlichen Vermerk, auf den der Senat die Kl. mit Verfügung vom 19. Februar 1987 hingewiesen hat, zu entnehmen ist, hat der Prozeßbevollmächtigte Rechtsanwalt Dr. H. fernmündlich erklärt, daß kein Ablehnungsantrag gestellt werden solle. In der Folgezeit hat dann am 14. Oktober 1983 noch ein Erörterungstermin vor dem Richter Dr. A als Berichterstatter stattgefunden, ohne daß wegen der Formulierungen in dem Vollziehungsaussetzungsbeschluß vom 3. März 1983 ein Befangenheitsantrag gestellt worden wäre.

2. Auch auf die gerügten Ausführungen in dem Urteil vom 30. November 1984 in der Sache X-GmbH i. L. kann der Ablehnungsantrag gegen die Richter Dr. A und C nicht gestützt werden. Der beanstandete Satz über den fehlenden Wert der Technologien kann nur im Zusammenhang mit den übrigen Ausführungen des genannten Urteils und den Ausführungen in den am gleichen Tag ergangenen Urteilen wegen der Klagen der sog. B-Gesellschaften gewürdigt werden. Es bestand ein Zusammenhang zwischen dem Ansatz der Technologien bei den B-Gesellschaften mit einem Wert von . . . Mio. DM durch das FA aufgrund der Feststellungen der Betriebsprüfung und dem begehrten Abzug der . . . Mio. DM als Ausgleichsverpflichtung bei der X-GmbH i. L. gegenüber der Familiengesellschaft. Da das FG bei den B-Gesellschaften den Klagen stattgab und die Technologien nicht ansetzte, war es folgerichtig, daß es hieraus in der Klagesache der X-GmbH i. L. die entsprechenden Folgerungen zog, ganz abgesehen davon, daß es die Abweisung der Klage in erster Linie auf andere Gründe stützte. Man wird darüber streiten können, ob die Bewertung der Technologien mit . . . Mio. DM, wie es das FA für richtig hält, als reine Spekulation abgetan werden kann und ob deshalb die entsprechende Aussage des Urteils nicht überzeichnet ist. Auf eine Voreingenommenheit der Richter gegenüber den Kl. kann daraus aber nicht geschlossen werden. Denn sie haben bei den B-Gesellschaften Folgerungen hieraus gezogen, die sich zugunsten dieser Gesellschaften ausgewirkt haben.

 

Fundstellen

BFH/NV 1988, 160

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