Entscheidungsstichwort (Thema)

Divergenz; Billigkeitsmaßnahme bei unzutreffendem Feststellungsbescheid

 

Leitsatz (NV)

1. Eine Divergenz kann nur vorliegen, wenn die Entscheidung des FG und die Entscheidung des BFH einen gleichen, vergleichbaren oder gleich gelagerten Sachverhalt betreffen.

2. Mit der Rechtsfrage, ob eine Billigkeitsmaßnahme zulässig ist, wenn das Feststellungsfinanzamt formal unzutreffend den Gesamtbetrag der Einkünfte unter Miteinbeziehung nicht steuerbarer ausländischer Betriebsstätteneinkünfte feststellt, dafür aber die ausländischen Einkünfte gesondert feststellt, hat sich der BFH bislang noch nicht befaßt.

3. Diese Rechtsfrage ist auch nicht (mehr) von grundsätzlicher Bedeutung. Seit Ergehen der Entscheidung des BFH vom 24. Februar 1988 I R 95/84, BFHE 153, 101, BStBl II 1988, 663 besteht kein Zweifel mehr, daß ein den Grundsätzen dieser Entscheidung widersprechender Feststellungsbescheid anzufechten ist und insoweit eine Billigkeitsmaßnahme im Regelfall ausscheidet.

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 2; EStG § 49 Abs. 1; AO 1977 §§ 163, 227, 180 Abs. 1 Nr. 2

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg

 

Gründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist als unbegründet zurückzuweisen.

1. Das Finanzgericht (FG) ist -- entgegen der Auffassung des Beklagten und Beschwerdeführers (Finanzamt -- FA --) - in seiner Entscheidung nicht von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) gemäß §115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) abgewichen.

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH können zwar selbst eindeutig und offensichtlich falsche bestandskräftige Steuerfestsetzungen im Billigkeitsverfahren nur korrigiert werden, wenn es dem Steuerpflichtigen unmöglich oder unzumutbar war, sich hiergegen rechtzeitig innerhalb der Rechtsmittelfrist zu wehren. Das FG ist hiervon aber nicht abgewichen. Eine Abweichung i. S. des §115 Abs. 2 Nr. 2 FGO setzt voraus, daß die Entscheidung des BFH und das Urteil des FG zu gleichen, vergleichbaren oder gleich gelagerten Sachverhalten ergangen sind (vgl. BFH-Beschlüsse vom 11. Dezember 1992 III B 28/91, BFH/NV 1993, 610; vom 30. Juni 1992 IV B 108/91, BFH/NV 1992, 821; Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, §115 FGO Tz. 58; Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., §115 Rdnr. 17). Kernfrage des Streitfalles ist, ob einem beschränkt steuerpflichtigen Feststellungsbeteiligten die Anfechtung eines Feststellungsbescheides zuzumuten war, wenn das Feststellungsfinanzamt -- wie sich Jahre später herausstellt -- formal unzutreffend (vgl. BFH-Urteil vom 24. Februar 1988 I R 95/84, BFHE 153, 101, BStBl II 1988, 663) den Gesamtbetrag der Einkünfte unter Miteinbeziehung der nicht steuerbaren Einkünfte feststellt, zum Ausgleich aber die ausländischen und damit nicht steuerbaren Betriebsstätteneinkünfte (§49 Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes -- EStG --) gesondert ausweist und das Veranlagungsfinanzamt die sich aus diesen beiden Feststellungen ergebenden Rechtsfolgen in materiell zutreffender Weise zieht. Mit dieser Rechtsfrage bzw. mit vergleichbaren Sachverhalten hat sich der BFH in den vom FA zur Begründung der Divergenz zitierten Urteilen (vgl. Sachverhalte BFH- Urteile vom 9. September 1994 III R 17/93, BFHE 175, 395, BStBl II 1995, 8; vom 30. April 1981 VI R 169/78, BFHE 133, 255, BStBl II 1981, 611; vom 11. August 1987 VII R 121/84, BFHE 150, 502, BStBl II 1988, 512; vom 18. April 1989, VIII R 319/84, BFH/NV 1989, 756) nicht befaßt.

Soweit das FA Rechtsgrundsätze zur Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben verletzt sieht, kann eine Abweichung schon deswegen nicht vorliegen, weil das FG sich nicht auf allgemein gültige Vertrauensgrundsätze stützt, sondern seine Entscheidung ausschließlich auf §163 der Abgabenordnung (AO 1977) stützt.

Soweit das FA Divergenz zu den BFH-Urteilen vom 12. Juli 1989 X R 32/86 (BFH/NV 1990, 366) und vom 31. Oktober 1991 X R 126/90 (BFH/NV 1992, 363) rügt, verkennt es, daß das FG die Frage nach der Bindungswirkung der Feststellungsbescheide ausdrücklich "dahinstehen" ließ. Damit ist ausgeschlossen, daß das Urteil des FG auf einer Abweichung von der zitierten Rechtsprechung i. S. des §115 Abs. 2 Nr. 2 FGO beruht.

2. Die sich aus der Divergenzrüge mittelbar ergebende Rechtsfrage, ob in Fällen der vorliegenden Art eine sachliche Unbilligkeit zu bejahen ist, ist auch nicht von grundsätzlicher Bedeutung gemäß §115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Insbesondere ist sie aus heutiger Sicht nicht mehr im Allgemeininteresse klärungsbedürftig. Die gegenständliche Problematik ergab sich aus der Besonderheit, daß die Finanzverwaltung bis zum Ergehen der Entscheidung des Senats in BFHE 153, 101, BStBl II 1988, 663 den nichtsteuerbaren Anteil des beschränkt Steuerpflichtigen aus ausländischen Betriebsstätten in den Gesamtbetrag der Einkünfte mit einbezog, den sich daraus ergebenden notwendigen Ausgleich aber durch die Feststellung ausländischer Betriebsstätteneinkünfte vollzog. Nachdem auch offenbar die Veranlagungsfinanzämter der beschränkt Steuerpflichtigen den materiell richtigen Schluß hieraus zogen und bei der Veranlagung die ausländischen Einkünfte vom Anteil am Gesamtbetrag der Einkünfte abzogen, kann in der Tat zweifelhaft sein, ob man dem beschränkt steuerpflichtigen Mitunternehmer seinerzeit die Anfechtung des Feststellungsbescheides zumuten konnte. Seit Ergehen der Entscheidung des Senats in BFHE 153, 101, BStBl II 1988, 663 besteht jedoch kein Zweifel mehr, daß ein den Grundsätzen dieser Entscheidung widersprechender Feststellungsbescheid im Regelfall anzufechten ist. Bei Zulassung wäre folglich über einen Sachverhalt zu entscheiden, der seit 1988 nicht mehr klärungsbedürftig ist. Fehlt es für die Zukunft am Klärungsbedarf (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., §115 Rdnr. 12), so scheidet eine Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung aus. Offensichtlich geht auch das FA davon aus, daß die angesprochene Rechtsfrage nicht mehr in einer Vielzahl von Fällen entscheidungserheblich ist, da es seine Nichtzulassungsbeschwerde ausschließlich auf Divergenz gestützt hat.

Im übrigen ergeht dieser Beschluß gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs vom 8. Juli 1975 (BGBl I 1975, 1861, BStBl I 1975, 932) i. d. F. des Gesetzes vom 26. November 1996 (BGBl I 1996, 1810, BStBl I 1996, 1522) ohne Begründung.

 

Fundstellen

BFH/NV 1998, 685

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