Leitsatz

Die Dreitagesfrist zwischen der Aufgabe eines Verwaltungsakts zur Post und seiner vermuteten Bekanntgabe (§ 122 Abs. 2 Nr. 1 AO) verlängert sich, wenn das Fristende auf einen Sonntag, gesetzlichen Feiertag oder Sonnabend fällt, bis zum nächstfolgenden Werktag.

 

Normenkette

§ 108 Abs. 3 AO , § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO

 

Sachverhalt

Der Kläger erhob nach Eingang der am Donnerstag, dem 18.12.1997, zur Post gegebenen und über das Postfach des Bevollmächtigten zugegangenen Einspruchsentscheidung am 22.1. 1998 Klage. Das FG wies die Klage als unzulässig ab, weil die Einspruchsentscheidung gem. § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO als am Sonntag, dem 21.12.1997, bekannt gegeben gelte und die Klage deshalb spätestens am 21.1.1998 hätte erhoben werden müssen.

Entsprechend seinem Vorlagebeschluss vom 17.9.2002, IX R 68/98 (BFH-PR 2003, 32), der sich zwischenzeitlich durch nachträgliche Zustimmung anderer Senate erledigt hatte (vgl. BFH-PR 2003, 469), hat der IX. Senat nunmehr entschieden, dass § 108 Abs. 3 AO auf die Bekanntgabefiktion nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO anwendbar ist.

 

Entscheidung

Nach Auffassung des BFH ist der Dreitageszeitraum des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO eine "Frist" i.S.v. § 108 Abs. 3 AO, weil es sich um einen abgegrenzten, durch das Gesetz bestimmten Zeitraum handelt, der mit einem bestimmten Ereignis (Aufgabe des Verwaltungsakts zur Post) beginnt und am dritten Tag danach mit dem fingierten Zugang des Verwaltungsakts endet. Zumindest sei nach dem Zweck der Vorschrift, die Sonn- und Feiertagsruhe zu wahren und die in Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung übliche Fünftagewoche zu berücksichtigen, eine entsprechende Anwendung geboten. Andernfalls würde die mit dem (vermuteten) Zugang beginnende Rechtsbehelfsfrist, die der Steuerpflichtige als Überlegungs- und Bearbeitungsfrist grundsätzlich voll nutzen können sollte (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH, Urteil vom 21.12.1990, VI R 10/86, BStBl 1991 II, 437), unzulässig verkürzt.

 

Hinweis

Nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Dies galt nach bisheriger BFH-Rechtsprechung auch, wenn der "dritte Tag" auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend fiel (vgl. BFH, Urteil vom 9.12.1999, III R 37/97, BStBl II 2000, 175 m.w.N.). § 108 Abs. 3 AO, demzufolge eine auf einen Sonntag, gesetzlichen Feiertag oder Samstag fallende Frist erst mit dem nächsten Werktag endet, wurde insoweit nicht angewendet, weil die Regelung in § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO – so die Begründung – keine "Frist", sondern die gesetzliche Fiktion des Zeitpunkts der Bekanntgabe betreffe.

Diese Rechtsprechung hat der BFH zugunsten der Steuerpflichtigen geändert: Nunmehr gilt ein Verwaltungsakt dann, wenn der dritte Tag nach Aufgabe zur Post auf einen Samstag, Sonn- oder Feiertag fällt, entsprechend § 108 Abs. 3 AO erst mit Ablauf des nächstfolgenden Werktags als bekannt gegeben. Erst ab diesem Werktag beginnen dann die Rechtsbehelfsfristen zu laufen. Vorteil dieser Rechtsprechungsänderung ist, dass beide Verfahrensbeteiligte auf einfache, leicht nachprüfbare und rechtssichere Weise den fiktiven Bekanntgabetag errechnen können, an dem die Rechtsbehelfsfrist beginnt.

Insbesondere macht sie Darlegungen zur – auch nach bisheriger Rechtsprechung ausnahmsweise möglichen – Erschütterung der Zugangsvermutung für Sonnabende sowie Sonn- und gesetzliche Feiertage entbehrlich (vgl. BFH, Urteil vom 9.12.1999, III R 37/97, BStBl 2000 II, 175; zu Absprachen mit dem Postboten, die Post erst am Montag statt am Sonnabend zu bringen). Sie vermeidet darüber hinaus in der Mehrzahl der Fälle den Streit darüber, ob eine Fristversäumnis nicht schon ausscheidet, weil das FA den tatsächlichen Abgang des Bescheids an dem in den Akten vermerkten Datum nicht nachweisen kann und es dafür die Feststellungslast trägt.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 14.10.2003, IX R 68/98

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