Die Voraussetzungen für die Aussetzung der Vollziehung sind für alle Rechtsbehelfsverfahren (Einspruch, Klage, Revision) grundsätzlich gleich: Die Vollziehung wird auf Antrag des Steuerpflichtigen ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen oder die Vollziehung für den Steuerpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.[1]

Die Finanzbehörde kann auch ohne Antrag die Vollziehung aussetzen.[2] In der Praxis verlangen die Finanzämter für eine Aussetzung indes i. d. R. einen Antrag. Fraglich ist, ob das Finanzamt auch gegen den Willen des Steuerpflichtigen – wegen seines Interesses an der Vermeidung späterer Aussetzungszinsen nach § 237 AO – Aussetzung der Vollziehung anordnen bzw. eine bereits erfolgte Vollziehung aufheben darf. Dies kann dahingestellt bleiben. Denn der Steuerpflichtige hat es selbst in der Hand, Aussetzungszinsen zu vermeiden. So kann er eine (aufgedrängte) Vollziehungsaussetzung durch Tilgung der Steuerschuld beenden. Dadurch endet auch die Verzinsung nach § 237 AO.[3]

 
Wichtig

Wirtschaftlichkeitsüberlegungen auch bei Aussetzung der Vollziehung

Ob eine Aussetzung der Vollziehung in Frage kommt, sollte sich in erster Linie nach der Liquidität des Steuerpflichtigen und nicht nach der Höhe der Erfolgsaussichten richten. Verfügt er über die nötigen finanziellen Mittel, empfiehlt es sich durchaus, auf den Aussetzungsantrag zu verzichten und die Steuerforderung zu begleichen. So vermeidet er das Risiko hoher Aussetzungszinsen von 0,5 % pro Monat. Die Möglichkeit, im Falle des Erfolgs den Erstattungsbetrag vom Finanzamt nach § 233a AO verzinst zu bekommen, hat hingegen so gut wie keine Bedeutung mehr. Für Verzinsungszeiträume ab 1.1.2019 beträgt der Zinssatz hierfür nur noch 0,15 % pro Monat.[4]

1.1 Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen, wenn neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe vorliegen, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken. Dabei brauchen die für die Unrechtmäßigkeit des Bescheids sprechenden Bedenken nicht zu überwiegen, ein Erfolg des Steuerpflichtigen muss nicht wahrscheinlicher sein als sein Misserfolg.[1]

Die Prüfung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, ergeht in einem summarischen Verfahren. Das bedeutet, dass der Entscheidung nur der Akteninhalt und präsente Beweismittel zugrunde gelegt werden, eine weitere Sachverhaltsaufklärung durch Beweisaufnahme grundsätzlich nicht durchgeführt wird[2], und dass streitige Rechtsfragen – unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BFH und der Finanzgerichte – nur überschlägig und nicht abschließend entschieden werden.

Ernstliche Zweifel sind grundsätzlich zu bejahen[3], wenn

  • die Behörde bewusst oder unbewusst von einer für den Steuerpflichtigen günstigen Rechtsprechung des BFH abgewichen ist,
  • der BFH noch nicht zu der Rechtsfrage Stellung genommen hat und die Finanzgerichte unterschiedliche Rechtsauffassungen vertreten,
  • die Gesetzeslage unklar ist, die streitige Rechtsfrage vom BFH noch nicht entschieden ist, im Schrifttum Bedenken gegen die Rechtsauslegung der Finanzbehörde bestehen und die Finanzverwaltung die Zweifelsfrage in der Vergangenheit nicht einheitlich beurteilt hat,
  • Einwendungen und Behauptungen des Steuerzahlers bei strittigen Sachfragen, z. B. bei Schätzungen, Glaubhaftmachung von Ausgaben, nicht unwahrscheinlich sind.

Ernstliche Zweifel sind zu verneinen[4], wenn

  • der Bescheid der höchstrichterlichen Rechtsprechung entspricht und keine gewichtigen Argumente gegen diese Rechtsprechung vorgebracht werden,
  • keine gewichtigen Argumente in Tatfragen vorgetragen werden,
  • bei Schätzungsbescheiden wegen Nichtvorlage der Steuererklärung diese nicht nachgereicht wird,
  • der Rechtsbehelf unzulässig ist.

Ernstliche Zweifel i. S. d. § 69 Abs. 2 und 3 FGO können auch verfassungsrechtliche Zweifel an der Gültigkeit einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm sein. In diesem Fall kommt nach ständiger Rechtsprechung des BFH wegen des Geltungsanspruchs jedes formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes eine Aussetzung der Vollziehung nur in Betracht, wenn ein besonderes berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vorliegt, dem der Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Gesetzes zukommt.[5]

Geht es jedoch um die Vereinbarkeit einzelner Steuerrechtsnormen mit Unionsrecht, ist laut BFH kein besonderes Aussetzungsinteresse erforderlich.[6] In diesem Verfahren ging es um Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer, die der BFH nicht nur unter unions-, sondern auch verfassungsrechtlichen Grund...

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