Tz. 102

Stand: EL 43 – ET: 03/2021

Der Leasinggeber muss jedes seiner Leasingverhältnisse, dh. jede Leasingkomponente (vgl. Tz. 40dff.), zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses (vgl. Tz. 102a) entweder als Finance-Leasingverhältnis oder aber als Operating-Leasingverhältnis klassifizieren (IFRS 16.61). Die Abgrenzung zwischen einem Finance- und einem Operating-Leasingverhältnis orientiert sich an der Verteilung der Chancen und Risiken, die aus dem Leasingverhältnis resultieren. Nach IFRS 16.62 ist ein Leasingverhältnis dann als Finance-Leasingverhältnis zu klassifizieren, wenn im Zuge des Leasingverhältnisses im Wesentlichen alle Risiken und Chancen (substantially all the risks and rewards) auf den Leasingnehmer übergehen, die aus einer Eigentümerstellung zum Leasingobjekt resultieren (zur Auslegung von "substantially all" vgl. Tz. 27c). Umgekehrt ist ein Leasingverhältnis als Operating-Leasingverhältnis zu klassifizieren, wenn mit dem Leasingverhältnis keine Übertragung im Wesentlichen aller Risiken und Chancen auf den Leasingnehmer stattfindet (IFRS 16.62).

Zu den Risiken, die mit einem Eigentum am Leasingobjekt verbunden sind, zählen gem. IFRS 16.B53 vor allem die Verlustmöglichkeiten infolge ungenutzter Kapazitäten oder technischer Überholungen sowie Renditeabweichungen aufgrund geänderter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen. Auch das Untergangsrisiko des Leasingobjekts ist uE weiterhin – wie schon im Kontext von IAS 17 – zu berücksichtigen (glA im Kontext von IAS 17 bspw. Mellwig/Sabel, in: MünchKommBilR, IAS 17, Tz. 44; ADS Int, Abschn. 12, Tz. 28). Demgegenüber können Chancen nach IFRS 16.B53 sowohl aus Gewinnerwartungen durch die Verwendung des Leasingobjekts über die wirtschaftliche Nutzungsdauer als auch aus möglichen Wertsteigerungen oder aus der Realisation des Restwertes des Leasingobjekts resultieren. Folglich sind bei der Beurteilung der Chancen und Risiken nicht nur Sachverhalte während der Vertragsdauer zu berücksichtigen, vielmehr ist auch die Verteilung der Chancen und Risiken bei Ablauf des Nutzungsvertrags in die Beurteilung einzubeziehen (vgl. Henneberger/Mertes/Flick, in: HdJ, 73. Erg.-Lfg. September 2019, Abt. X/5, Tz. 145; im Kontext von IAS 17 Lorenz, 2005, S. 706; Sabel, 2006, S. 75; ADS Int, Abschn. 12, Tz. 28 und 98). Zudem sind nach der hier vertretenen Auffassung auch indirekte Einflussparameter auf die Chancen- und Risikopositionen zu antizipieren, die nicht direkt aus dem zugrunde liegenden Vermögenswert resultieren, sondern durch das Verhältnis oder die Aktivitäten der beteiligten Parteien in Bezug auf den Vermögenswert begründet werden, wie bspw. die Erlöse aus dem Verkauf jener Vermögenswerte, die auf einer geleasten Maschine gefertigt werden. Diese umfassende Berücksichtigung der Chancen und Risiken ist – unabhängig von möglichen Schwierigkeiten bei der Quantifizierung – der wirtschaftlichen Betrachtungsweise geschuldet, deren Bedeutung umso höher ist, als indirekte Komponenten auch bei gezielten Strukturierungen nur schwerlich überlagert werden können.

 

Tz. 102a

Stand: EL 43 – ET: 03/2021

Die Klassifizierung eines Leasingverhältnisses als Finance- oder als Operating-Leasingverhältnis ist vom Leasinggeber zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses (at inception) vorzunehmen (IFRS 16.66; vgl. Tz. 17). Eine Neuklassifizierung hat nur dann zu erfolgen, wenn eine Modifikation des Leasingverhältnisses vorliegt (IFRS 16.66; vgl. Tz. 146fff.). Schätzungsänderungen, wie bspw. die Änderung einer Schätzung der wirtschaftlichen Nutzungsdauer oder des Restwertes des Leasingobjekts, oder geänderte Umstände, wie etwa ein Zahlungsausfall des Leasingnehmers, führen hingegen nicht dazu, dass eine Neuklassifizierung des Leasingverhältnisses zu erfolgen hat (IFRS 16.66). Sollten Leasingzahlungen zwischen Vertragsabschluss und Bereitstellungsdatum basierend auf der vertraglichen Vereinbarung angepasst werden, da bestimmte Änderungen der Umstände eingetreten sind, so ist für Klassifizierungszwecke zu fingieren, dass die Auswirkungen dieser Änderungen bereits zum Vertragsbeginn einschlägig waren (IFRS 16.B54).

 

Tz. 102b

Stand: EL 43 – ET: 03/2021

Die Beurteilung, ob ein Finance- oder ein Operating-Leasingverhältnis vorliegt, ist auf Basis einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise (substance over form) vorzunehmen. Dies folgt nicht nur allgemein aus der grundlegenden qualitativen Anforderung der glaubwürdigen Darstellung iSd. Conceptual Framework (CF.2.12), sondern ist auch explizit in IFRS 16.63 verankert, wonach die Klassifizierung eines Leasingverhältnisses vom wirtschaftlichen Gehalt der Transaktion und nicht vorrangig von deren vertraglicher Gestalt abhängt.

 

Tz. 103

Stand: EL 43 – ET: 03/2021

(einstweilen frei)

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