Verlangen wir zu viel von unseren Controllern?

Die Wissenschaft hat mit ihrer Themenwahl die Entwicklung der Controllingpraxis wesentlich beeinflusst. In seiner Kolumne im Controller Magazin 3/2018 blickt Prof. Dr. Jürgen Weber auf seine eigenen Initiativen – und inwieweit sie sich durchgesetzt haben - zurück. Für fehlende Umsetzungen hat er einen Hauptgrund identifiziert.

Wissenschaft übt Druck auf die Controllingpraxis aus

Hochschullehrer haben in unserem Fach traditionell einen großen Einfluss auf die Praxis. Früher galt dies als selbstverständlich, ist doch die Betriebswirtschaftslehre eine anwendungsorientierte Wissenschaft. Heute ist die Forschung methodisch viel rigider geworden und hat sich von praktischen Problemen häufig weit entfernt. Dennoch bleibt ein starker Einfluss der Academia auf die Praxis bestehen, allein schon durch die Inhalte, die den Studierenden an den Hochschulen beigebracht werden. Auch finden sich immer noch genügend Kollegen, die sich die Praxisbeeinflussung explizit auf die Fahnen geschrieben haben. In einer soziologischen Perspektive betrachtet (vgl. meine Kolumne im Heft 4/2017) bauen sie mit dieser Arbeit einen normativen Druck auf die Praxis auf.

Akademische Trendthemen in den letzten 30 Jahren…

Auch ich selbst bin in diesem Thema unterwegs, als Vorsitzender des Kuratoriums des ICV, als Co-Autor des meistverkauften Controlling-Lehrbuchs, als Mitherausgeber der Controlling & Management Review und schließlich als Autor dieser regelmäßigen Kolumne im Controller Magazin. Wenn ich meine normativen Ratschläge für die Praxis Revue passieren lasse, waren das über einen Zeitraum von mehr als dreißig Jahre hinweg in der Tat nicht wenige:

  • Die Einbeziehung nicht-finanzieller Daten in die Steuerung,
  • eine größere Marktnähe der Controller,
  • eine bessere Controlling-Abdeckung der Logistik,
  • ein Wechsel der grundsätzlichen Perspektive des wirtschaftlich handelnden Menschen (vom homo oeconomicus zur verhaltensorientierten Sicht),
  • die Einführung eines Nachhaltigkeitscontrollings,
  • die Übernahme der Rolle eines Business Partners und
  • nun auch noch eine aktive Rolle in der digitalen Transformation.

Parallel ist die Systemlandschaft der Controller durch die Einführung von ERP-Systemen einmal komplett umgepflügt worden und steht vor einer neuen grundlegenden Veränderung. Und schließlich ist durch IFRS auch in der externen Rechnungslegung kein Stein mehr auf dem anderen geblieben, was zu einem ganz neuen Zusammenspiel zwischen Controllern und Accountants geführt hat.

Vor diesem Hintergrund möchte ich an dieser Stelle einmal tief den Hut ziehen vor den „werktätigen“ Controllern. Sie haben sich von dieser Vielzahl geforderter Veränderungen nicht abschrecken lassen, sondern sich entsprechend aufgemacht. Natürlich hat es geholfen, dass von unten junge Controller nachgewachsen sind, die an ihren Hochschulen mit den neuen Themen vertraut gemacht wurden. Dennoch ist die gesamte Controllerzunft aus der Hubschrauberperspektive heraus betrachtet bemerkenswert wandlungsfähig.

…und die Umsetzung in der Praxis

Bei genauen Hinsehen zeigt sich allerdings auch, dass manche Anstrengungen eher einen deklaratorischen Charakter hatten (und haben).

  • Das Logistik-Controlling ist bis heute eine Domäne der Logistiker geblieben, nicht der Controller.
  • Non financials sind zwar überall zu finden, spielen aber in der Steuerung gegenüber financials immer noch eine eher untergeordnete Rolle.
  • Biases und kognitive Beschränkung sind zwar keine Fremdworte mehr, aber bis heute ist harte Analytik das bestimmende Prinzip im Controlling.
  • Nachhaltigkeit ist aus der Liste der Top-Zukunftsthemen des Controllings – wie wir aus unseren Studien wissen – schon wieder verschwunden,
  • und auch in Richtung Business Partner hat sich unseren Daten nach in den letzten drei Jahren nur sehr wenig bewegt.

Kapazitätsengpässe bremsen die Entwicklung

Welche Lehre kann man daraus ziehen? Offensichtlich versucht die Praxis das, was wir Hochschullehrer normativ fordern, zu erfüllen, stößt dabei aber an (enge) Grenzen. Die Liste der normativen Forderungen ist lang und gleichzeitig die Kapazität der Controller knapp. Veränderungen kommen immer zum Tagesgeschäft hinzu, und schon das ist zumeist so umfangreich, dass es geradeso geschafft wird. Kapazitätsengpässe sind die Regel. Ein sehr gutes Beispiel dafür ist die Umsetzung des Themas Nachhaltigkeit in die Unternehmenssteuerung. Jeder ist davon überzeugt, dass Nachhaltigkeit ein must- und nicht nur nice to have-Thema ist. Allerdings dominiert aktuell die Digitalisierung die Aufmerksamkeit der Controller und ihre Kapazität so stark, dass Nachhaltigkeit nicht parallel weiter vorangetrieben werden kann.

Im Hörsaal und in den Lehrbüchern wird auf solche Kapazitätsrestriktionen zumeist nicht eingegangen, ebenso wenig wie auf die erhebliche Zeitspanne, die Veränderungsprozesse benötigen, um erfolgreich abgeschlossen zu werden. Selbst die relativ triviale Kapitalwertrechnung hat ca. 30 Jahre gebraucht, um sich in der Praxis breitflächig zu verankern! Offensichtlich ist sehr viel Geduld erforderlich.

Empfehlung: Informieren, Transparenz schaffen, Themen bewerten und priorisieren

Was kann ich Ihnen also raten? Sie sollten sich auf der einen Seite nicht von all den vorgeschlagenen Veränderungen verwirren lassen. Auf der anderen Seite sind alle wichtig und dürfen nicht von Ihnen übersehen werden. Jeder Controller muss sich selbst einen Fahrplan machen und die Veränderungsmaßnahmen entsprechend zeitlich priorisieren. Dafür, wie er das tun sollte, erfährt er aus der Academia heraus aber nur beschränkt Hilfestellung. Bis zu einem gewissen Maße ist diese unbefriedigende Situation unvermeidlich. Bis ins Detail reicht die Empfehlungskraft von Theorien nur sehr selten, wenn überhaupt. Entweder Sie vertrauen also Ihrer eigenen Einschätzungsfähigkeit und Ihrem gesunden Menschenverstand, oder Sie versuchen, einen Berater zu Rate zu ziehen, der Ihnen bei der Erstellung einer Roadmap hilft. Seien Sie aber bei der Auswahl vorsichtig. Nicht jeder Berater kann das.

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