„Alles was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert“. Das bedeutet auch für den stationären Handel einschneidende Veränderungen. Dennoch empfiehlt Daniel Ohr die Digitalisierung nicht als Bedrohung, sondern als Chance zu sehen. Die schonungslose Aufdeckung aller existierenden Schwachstellen kann zum Katalysator für notwendige Umbrüche und Neuausrichtungen werden.

Digitalisierung als Katalysator für den Handel

Im Zuge der Digitalisierung werden die vorliegenden Schwachstellen des Retail-Handels schonungslos aufgedeckt. Vertriebsexperte Ohr sieht dabei die oftmals fehlende Kundenorientierung als größte Schwachstelle. Viele Händler versuchen durch ein breites Sortiment möglichst viele Kunden anzusprechen, zielen damit aber an den tatsächlichen Kundenbedürfnissen vorbei. Zu oft wird noch nach dem Prinzip „Produkt sucht Kunde“ vorgegangen, es liegt immer noch eine Produkt-Push-Mentalität vor. Online-Shops dagegen richten ihr Angebot an den Bedürfnissen ihrer Kunden aus und platzieren Produkte, die für den Kunden potenziell interessant sind, prominent im Vordergrund, bspw. auf der Landingpage.

Die Erwartungshaltung der Kunden steigt rasant, getrieben durch die Angebote von Start-Ups, die mit bisher geltenden Konventionen brechen und ihr Angebot komplett auf die Bedürfnisse ihrer Kunden ausrichten. Etablierte stationäre Händler sind oft zu träge, um mit diesen Veränderungen Schritt zu halten. Ein Beispiel ist der Umgang mit Reklamationen. Erst durch die bedingungslosen Rücknahmen eines bekannten Onlinehändlers wurden alle anderen Anbieter unter Zugzwang gestellt. Mittlerweile ist eine Rücknahme auch ohne Reklamation bei den meisten Anbietern im Retail-Bereich eine Selbstverständlichkeit.

In einer Zeit, in der die Kundenloyalität immer kurzlebiger wird, muss der Handel den Kunden über den Preis oder über eine einmalige Shopping-Experience für sich gewinnen. Dieses setzt voraus, dass alle Kanäle der stark veränderten Customer Journey bedient werden und dem Kunden eine „Experience“ ohne Brüche oder Widersprüche bieten. Abweichende Informationen oder Preise zwischen den einzelnen Kanälen führen schnell zu entgangenen Käufen und verlorenen Kunden.

Stationärer Handel – ein hoffnungsloser Fall?

Ohr sieht für den stationären Handel trotz alledem einen langfristig positiven Ausblick, wenn der Handel den Wandel von reiner Bedarfsbefriedigung zu einer Freizeitbeschäftigung hinbekommt. Dieses betrifft sowohl die Gestaltung der Geschäftsflächen, als auch den Mindset der verantwortlichen Manager. Das Einkaufserlebnis, insbesondere im Fashion-Bereich, geht für viele Kunden bereits jetzt über das reine Besorgen von benötigten Waren hinaus; der Spaß steht im Fokus. Anhand einiger aktueller Beispiele wurden Möglichkeiten aufgezeigt, wie die Zukunft des Handels aussehen könnte.
Damit stationäre Händler im Wettbewerb bestehen können, sollten alle Verantwortlichen folgende fünf Fragen frei von Barrieren durchspielen:

  • Welche Prozesse sind bereits digitalisiert und welche können noch digitalisiert werden?
  • Steht der Kunde wirklich im Fokus oder liegt in Wirklichkeit noch ein „Product-Push“ vor?
  • Inwieweit ist der Point of Sale (POS) bereits emotionalisiert?
  • Sind der POS und die angebotenen digitalen Lösungen intelligent verknüpft? Jeder Bruch, jede Unstimmigkeit ist ein Hürde für den Kunden.
  • In wie weit wird der Faktor Mensch genutzt, um sich vom Onlinehandel zu differenzieren?

Der Handel sollte die Digitalisierung weniger als Bedrohung sondern als Chance sehen, ihre Schwachstellen abzustellen.

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Sabine Hartje/Daniel Ohr
Schlagworte zum Thema:  Digitalisierung, Vertriebsmanagement