Ist das Controlling kein Freund von Innovationen?

Innovationen sind für Controller kein einfaches Feld. Den Controllern fehlt dabei die Planbarkeit, wie Prof. Jürgen Weber in seiner Kolumne feststellt. Sie müssen deshalb auf der fachlichen wie auf der kulturellen Ebene hinzulernen – und das am besten an Innovationen im eigenen Bereich üben.

Innovationen gelten als „der“ Schlüssel zum Erfolg von Unternehmen. Wer nicht innoviert, fällt zurück. Ähnlich groß ist die Bedeutung auf der Ebene der Gesellschaft. Zentrale Herausforderungen – wie etwa der Klimawandel oder die demografische Entwicklung – können ohne Innovationen nicht erfolgreich bewältigt werden. Entsprechend hoch sind die von der Politik bereitgestellten Mittel. Das neue Programm der Europäischen Kommission zum Klimawandel ist dafür ein sehr aktuelles Beispiel. Die Politik geht also implizit davon aus, dass sich Innovationen grundsätzlich planen lassen.

Sind Innovationen planbar?

Innovationen sind ohne Kreativität nicht denkbar. Wirklich neue Lösungen kommen oft ungeplant und werden häufig in ihrer Tragweite nicht erkannt. So konnte sich IBM z.B. für den gerade erfundenen Personal-Computer anfangs keinen sinnvollen Einsatz vorstellen – ein technisches Hilfsmittel, das dann das Leben der Gesellschaft fundamental verändert hat. Sind Innovation und Planung damit ein offensichtlicher Widerspruch? Ein genaues Hinschauen rückt diesen Eindruck zurecht: Eine Planbarkeit, wie sie Controller aus ihrem normalen Geschäft her kennen, liegt zwar nicht für die einzelnen Innovationen vor, wohl aber auf der Ebene eines größeren Innovationsprogramms. Wäre dies nicht so, gäbe es keine großen Forschungseinrichtungen, wie beispielsweise in der pharmazeutischen Industrie, die akribische Forschungspläne nutzen. Und: neben den fundamentalen, disruptiven Innovationen („game changer“) gibt es auch eine große Anzahl von solchen, deren Innovationsgrad eher überschaubar ist, was sie einer Planbarkeit besser zugänglich macht.

Controlling setzt Planbarkeit voraus

Die Frage, ob bzw. inwieweit ein Geschäft planbar ist, spielt für das Controlling eine zentrale Rolle. Controller gibt es nur dort, wo geplant wird, wo Planung und Kontrolle eng miteinander verbunden sind. In der klassischen öffentlichen Verwaltung kam ein Controlling erst dann ins Spiel, als die Verwaltungen erste (zögerliche) Schritte in Richtung ergebnisorientierter Planung und Kontrolle gegangen waren. In Start-up-Unternehmen, die erst noch auf dem Weg zu innovativen, wirtschaftlich tragfähigen Lösungen sind, finden sich weder der Begriff des Controllings noch Mitarbeiter, die Controller sind. Der hohe Anteil explorativer Arbeit, der Start-ups kennzeichnet, passt nicht zu einer geordneten Ergebnisplanung. Natürlich wird auch in einem Start-up geplant. Diese Planung richtet sich aber (nur) auf den grundsätzlichen Kontext, also z.B. den Personal- oder Finanzbedarf, nicht darauf, was genau aus der geschäftlichen Idee wird, die am Anfang jedes Start-ups steht, weil diese sich erfahrungsgemäß sehr häufig im Laufe des Entwicklungsprozesses des jungen Unternehmens verändert.

Innovationscontrolling stellt den Erfolg eines Portfolios in den Fokus

Aus dem bisher Gesagten folgt, dass das Einsatzgebiet des Controllings im Bereich von Innovationen schwerpunktmäßig auf der Ebene der Programmsteuerung liegt, es sich z.B. auf die Summe aktiver Forschungsprojekte in einem pharmazeutischen Unternehmen bezieht, oder auf die Gruppe der Start-up-Unternehmen, die ein Venture Capitalist finanziert. Das Controlling folgt dort jeweils einem Portfolio-Ansatz. Einzelne Elemente des jeweiligen Portfolios können zwar auf der Ebene der Managementprozesse und Ressourcen kritisch hinterfragt werden; der monetäre wirtschaftliche Erfolg ist aber erst auf der Ebene des Portfolios relevant. Im Zweifel müssen ein „Blockbuster-Wirkstoff“ oder ein erfolgreicher Börsengang eines Start-ups das Scheitern einer großen Zahl anderer Forschungsprojekte bzw. Unternehmensgründungen mitfinanzieren. Der Abbruch eines Projekts oder die Schließung eines Start-ups sind der hohen Unsicherheit von Innovationen geschuldet und deshalb als ein Normalfall, nicht als eine Fehlinvestition zu bezeichnen. Letzterer Begriff kann nur auf das Portfolio insgesamt bezogen werden.

Eine solche Sichtweise ist Controllern aus dem normalen Geschäftsbetrieb heraus nicht geläufig. Dort müssen sich alle einzelnen Objekte – Produkte, Aufträge, Investitionen – für sich alleine rechnen. Nur strategische Aspekte können Abweichungen von dieser Regel begründen, und Controller sind entsprechenden „strategischen Prämien“ gegenüber – berechtigter Weise – grundsätzlich sehr skeptisch eingestellt.

Fehlt für Innovationscontrolling das Erfahrungswissen?

Die besondere Beziehung zwischen Controlling und Innovationen besitzt eine weitere, noch grundsätzlichere Facette: Controlling bedeutet bekanntermaßen Rationalitätssicherung. Controller versuchen, der Kraft des besseren Arguments Platz zu verschaffen und aus den unterschiedlichsten Gründen resultierende Fehler in Entscheidungsprozessen zu verhindern. Die Beurteilung, ob etwas rational ist, setzt Wissen über das voraus, was in einer bestimmten Situation richtig ist. Solches zu generieren und zu verwenden, steht im Kern der Aktivitäten von Controllern. Erfahrungen der Vergangenheit, Benchmarkingwerte, Sollkosten und vieles andere mehr dienen hierfür im Einzelfall. Gegen diese Werte wird das Ist gemessen oder die Zukunft geplant. Insofern ist es auch folgerichtig, dass Abweichungsanalysen einen großen Stellenwert im Arbeitsfeld der Controller einnehmen und dabei der Schwerpunkt darauf liegt, Abweichungen zu vermeiden oder entstandene wieder zu beseitigen.

Entscheidungsprozess und -beteiligte spielen eine höhere Rolle

Innovationen schaffen dagegen neues Wissen. Ob eine Innovation gelingt, ist deshalb nicht bekannt. Damit fehlt die Messlatte für richtiges Handeln. Controller sind ihres wichtigsten Handwerkszeugs beraubt. Zum Glück aber hat die Rationalität viele Facetten bzw. Ebenen. Sie bezieht sich nicht nur auf das Ergebnis einer Handlung („die Investition wird einen positiven Kapitalwert erzielen“), sondern auch auf den Prozess („die verfügbaren Planungsinformationen sind bestmöglich in die Entscheidung eingeflossen“) und die dafür erforderlichen Ressourcen („alle wichtigen Know-how-Träger waren an der Entscheidung beteiligt“). Gerade dann, wenn das Ergebnis einer Handlung sehr unsicher ist, kommt der Prozess- und der Ressourcenebene eine wichtige Bedeutung zu. Alles im Prozess richtig gemacht zu haben, ist zwar kein Garant für ein erfolgreiches Ergebnis; wer auf der Ebene der Prozesse und Ressourcen Fehler macht, wird ein solches aber nur rein zufällig erzielen können. Die Rationalitätssicherungsaufgabe ist im Bereich hoher Ergebnisunsicherheit also nicht nur anders als im „normalen Geschäft“, sondern auch vielschichtiger und damit anspruchsvoller für die Controller.

Controlling und Fehlerkultur - prallen zwei Welten aufeinander? 

Eine letzte spannende Facette der Beziehung zwischen Innovation und Controlling sei mit der Bedeutung von Fehlern angesprochen. Fehler sind im Bereich optimierter Prozesse etwas, was es möglichst zu vermeiden gilt. Zwar darf jeder einen Fehler machen, den aber bitte nur einmal. Fehler sind allerdings auch eine wesentliche Quelle von Innovation und Lernen. Das zeigt schon die Genetik. Würde das Erbgut immer mit 100%iger Genauigkeit reproduziert, gäbe es keine Evolution; wäre die Fehlerrate sehr hoch, ebenso wenig, weil die Nachkommen nicht lebensfähig wären. Alles bis ins Kleinste zu optimieren, schafft hohe Effizienz. Allerdings leidet darunter die Möglichkeit zur Weiterentwicklung. Dieses müssen Controller wissen, wenn sie wieder einmal auf der Jagd nach dem letzten Quäntchen Slack im Unternehmen sind. Mit dieser Jagd kann eine wesentliche Quelle von Innovationen versiegen, was sich langfristig rächt.

Innovationen sind damit für Controller kein einfaches Feld. Die hohe mit Innovationen verbundene Unsicherheit macht Denkweisen und Prozeduren erforderlich, die von denen im normalen geschäftlichen Kontext stark abweichen. Mit dem üblichen Tool- und Mindset können die Controller in innovativen Bereichen viel Porzellan zerschlagen. Insofern verwundert es nicht, dass sie von manchem Leiter einer Forschungs- und Entwicklungsabteilung eher als Feind denn als Freund gesehen werden.

Wer ein hilfreicher Partner werden will, muss sowohl auf der fachlichen Ebene (z.B. hinsichtlich des Zusammenspiels der unterschiedlichen Rationalitätsebenen) als auch der kulturellen Ebene entsprechend hinzulernen. Je wichtiger Innovationen für das Überleben der Unternehmen werden, desto wichtiger wird die Fähigkeit der Controller, auch in einem innovativen Kontext Nutzen zu stiften.

Controllinginnovation als Übungsfeld

Um vertrauter mit dem Thema zu werden, wäre es vielleicht eine gute Idee, „zu üben“, Innovationen – falls noch nicht geschehen – auch in den Controllerbereich hineinzutragen, hier entsprechend tätig zu werden. Was war denn Ihre letzte Innovation im Controlling? Wie viele Innovationen brauchen Sie denn, um dort auf der Höhe der Zeit zu bleiben? Was müssten Sie denn verändern, um als Controller kreativer zu werden? Aber vielleicht können Sie diese Fragen ja auch schon jetzt aus dem ff beantworten…

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