End-to-End-Prozesse für Automatisierung und Digitalisierung

Viele sprechen davon, alle hätten sie gerne, aber fast niemand hat es bisher umgesetzt: Echte End-to-End-Prozesse, die interne oder externe Kunden in den Fokus stellen. Leonis Petschmann zeigt, wie das Controlling End-to-End-Prozesse (mit-)gestaltet und davon profitieren kann.

Controlling als optimaler Ausgangspunkt für Veränderungen

Offen gestanden wird das Controlling wahrscheinlich nicht als erstes genannt, wenn nach einem optimalen Piloten für Veränderungen gefragt wird. Doch damit tun wir dem Controlling – und der gesamten Finanzfunktion allgemein – Unrecht. Im Controlling laufen alle Vorgänge des Unternehmens zusammen. Egal, ob die Ergebnisse der operativen Geschäftseinheiten, oder Kennzahlen der internen Funktionen wie Personalwesen oder Marketing. Informationen zu sämtlichen Sachverhalten des gesamten Unternehmens fließen im Controlling zusammen, werden aufbereitet und dann den verschiedenen Empfängergruppen zur Verfügung gestellt. Das Controlling bildet somit eine direkte Schnittstelle zu jedem einzelnen Bereich des Unternehmens. Es fungiert als Zentrum des Nervensystems und hat somit Auswirkungen auf jeden Unternehmensbereich. Wenn dort etwas nicht funktioniert, wird dies in jedem anderen Teil des Unternehmens bemerkbar. Umgekehrt bedeutet dies aber auch, dass Veränderungen im Controlling unmittelbar auf das ganze Unternehmen ausgestrahlt und überall wahrgenommen werden. Schafft es das Controlling also positive Änderungen umzusetzen, legt es damit den Grundstein für weitere Veränderungen an anderer Stelle.

Charakteristika und Vorteile echter End-to-End-Prozesse

Grundsätzlich lassen sich drei grundlegende Gestaltungsmöglichkeiten der Organisation unterscheiden, nach denen eine Prozesslandschaft aufgebaut werden kann. Klassisch basiert der Aufbau auf einer Funktionsorientierung. Dabei sind die Prozesse nach fachlichen Verantwortlichkeiten strukturiert und werden zentral durch die Funktionsverantwortlichen mitverantwortet, wobei sie sich an festen Hierarchien orientieren. Am anderen Ende des Spektrums findet sich eine produktorientierte Organisationsstruktur. Hierbei ist das Unternehmen in selbstverantwortliche bzw. autonome Teams gegliedert, die eine klare Produktausrichtung haben, während die unterstützenden Organisationseinheiten als (interner) Ressourcenpool dienen. Ein Mittelweg stellt die prozessorientierte Funktion dar, die sich an End-to-End-Prozessen orientiert. Hierbei ist es von zentraler Bedeutung zu definieren, wer die Kunden des jeweiligen Prozesses sind und welches „Produkt“ für die Kunden durch den Prozess erzeugt wird. Die Aufgabenverteilung sowie die Team- und Kompetenzzusammensetzung müssen dann anhand dieses Prozesses erfolgen. Entscheidend bei dieser Sichtweise ist, dass es dem Kunden vollkommen egal ist, wie die interne Teamstruktur und die Aufgabenverteilungen sind. Der Kunde erwartet ein qualitativ hochwertiges Produkt, effektive Kommunikation und einen schnellen, zuverlässigen Service.

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Damit dies gelingen kann, stellen End-to-End-Prozesse den gesamten Verlauf eines Geschäftsprozesses dar und werden durch sieben Kerncharakteristika ausgezeichnet:

  1. Abteilungsübergreifend: End-to-End-Prozesse durchlaufen mehrere Funktionen und Abteilungen, die in den Prozess eingebunden sind. Sie erfordern intensive Zusammenarbeit und Kommunikation.
  2. Ganzheitlich: Der Prozess betrachtet den gesamten Ablauf und nicht nur Teilprozesse oder isolierte Aktivitäten. Dabei ist wichtig zu verstehen, dass nicht jede Tätigkeit in einem End-to-End-Prozess wiederzufinden ist. Es darf also keine Tätigkeit in einen End-to-End-Prozess „gequetscht“ werden, wenn diese dort nicht hingehört.
  3. Kundenorientiert: Im Fokus des Prozesses steht die Erfüllung von Kundenbedürfnissen und -erwartungen.
  4. Integriert: Aktivitäten sind im Einklang mit dem Informationsfluss und der systemseitigen Abbildung, alles ist aufeinander abgestimmt.
  5. Messbar: Der Erfolg des Prozesses wird an Ergebnissen bemessen, die mit Kennzahlen bewertet werden. Im Rahmen der Prozessdefinition der End-to-End-Prozesse werden entsprechende KPIs festgelegt.
  6. Klare Verantwortungsdefinition: Für jeden Prozess wird eine prozessverantwortliche Person definiert, die bereichsübergreifend für den Prozess und das Prozessergebnis verantwortlich ist und die laufende Optimierung des gesamten Prozesses sicherstellt. Ohne die Erfüllung dieses Kriteriums wird eine Implementierung von End-to-End-Prozessen immer scheitern.
  7. Strategische Ausrichtung: Die übergeordneten strategischen Ziele müssen definiert und von den prozessverantwortlichen Personen verstanden sein. Diese Ziele bestimmen das Design, die Abgrenzung und die Ausgestaltung der Prozesse.

Ansätze für End-to-End-Prozesse im Controlling

Diejenigen, die eine endlose Liste von Prozessvorschlägen erwarten, werden hier enttäuscht sein. Bei End-to-End-Prozessen geht es gerade nicht darum, eine Standardvorlage zu übernehmen und zu hoffen, dass sie funktioniert. Bevor eine Ausgestaltung angegangen werden kann, muss zwingend die übergeordnete Unternehmensstrategie klar definiert sein und die Perspektive der (internen) Kunden eingenommen werden, die die Anforderungen an den Prozess definieren. Obwohl die Kundengruppen oft ähnlich sind, ist der Ausgangspunkt immer individuell, da jedes Unternehmen eine eigene Strategie hat.

Trotz der Unterschiede gibt es einen gemeinsamen Ansatz für die Entwicklung von End-to-End-Prozessen im Controlling. Das Produkt des Controllings sind Informationen, bzw. plastischer ausgedrückt „Geschäftseinblicke“. Mit diesem Produkt werden unterschiedliche Kundengruppen beliefert, darunter die Geschäftsführung, Business Units, HR, oder auch externe „Kunden“, wie z.B. Wirtschaftsprüfer. Selbstverständlich kann die Ausgestaltung dieses Produktes sehr unterschiedlich sein, ähnlich wie bei der Ausgestaltung eines Autos oder eines Smartphones. Obwohl das Endprodukt variieren kann, bleiben die Grundbestandteile und der Ablauf der Produkterstellung gleich.

Bezogen auf das Produkt Informationen bedeutet dies, dass zu Beginn auf unterschiedliche Art und Weise Daten erzeugt werden. Diese Daten werden im Anschluss (technologisch) verarbeitet und anschließend werden hieraus Informationen erzeugt. Es erfolgt also ein „Design“ von Information aus rohen Daten. Im Anschluss müssen diese Informationen verstanden, gedeutet und eine Geschichte erzählt werden, die sich hinter diesen Informationen verbirgt. Zusätzlich müssen die resultierenden Informationen und der Prozess zur Gewinnung dieses Ergebnisses verifiziert werden. Als Resultat ergeben sich verifizierte Informationen, auf deren Basis dann Entscheidungen getroffen werden können.

Wenn dieser Ablauf als Ausgangspunkt der End-to-End-Prozessentwicklung genommen wird, fällt schnell auf, dass Prozessschritte oder Aktivitäten integriert sein können, die häufig nicht im Controlling, sondern in der Finance-Abteilung verortet sind. Wenn dieses „Problem“ auftritt, ist dies ein Indikator dafür, dass das Vorgehen richtig ist. Aus Sicht der „Kunden“ ist es nämlich irrelevant, wo welcher Prozessschritt erzeugt wird, für den Kunden zählt ausschließlich das fertige Produkt. Der wichtigste Ansatz für die Entwicklung von End-to-End-Prozessen besteht daher darin, den Kontext zur Abteilung „im Controlling“ außer Acht zu lassen und eine völlig neue Perspektive einzunehmen.

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Warum (fast) jeder von End-to-End-Prozessen redet, sie aber fast niemand hat

Es herrscht nahezu in allen Unternehmen und Funktionen Einigkeit über den Nutzen und die Notwendigkeit von End-to-End-Prozessen. Trotz der breiten Zustimmung findet eine echte Umsetzung jedoch (noch) nicht annähernd in dem erwarteten Maße statt, wie es die große Zustimmung erwarten lassen würde. Die Gründe dafür sind vielschichtig und können je nach individueller Situation variieren, dennoch kann hier ein immer wiederkehrendes Muster erkannt werden:

Abteilungs- und „Silo-“Denken: Die aktuellen Organisationsstrukturen stehen der End-to-End-Denkweise im Status Quo entgegen, da Verantwortlichkeiten nach Abteilungen verteilt sind und nicht nach Prozessen. Eine echte abteilungsübergreifende Prozessdenke kann das Gefühl von Kontrollverlust hervorrufen. Auch wenn die Begeisterung für den End-to-End-Gedanken in der Theorie begrüßt wird, schwindet sie, sobald der Gedanke aufkommt, dass durch eine Umstellung Kontrolle „verloren“ gehen könnte.

Fehlende IT-Readiness: Die Implementierung von End-to-End-Prozessen erfordert oft eine robuste IT-Infrastruktur und integrierte Systeme, die eine nahtlose Datenübertragung und -verarbeitung ermöglichen. Viele Unternehmen verfügen nicht über die notwendigen Technologien oder haben veraltete Systeme, die eine fließende Kommunikation erschweren.

Mangel an Fachwissen: Der Punkt mag banal erscheinen, aber beim Thema Prozessmanagement und End-to-End-Prozessen zeigt sich in hohem Maß, dass in der Eigenwahrnehmung häufig davon ausgegangen wird, man wisse, was End-to-End-Prozesse sind. In der Umsetzung oder Strukturierung des Themas zeigen sich dann die entscheidenden Faktoren, bei denen doch spezifische Kompetenz notwendig gewesen wäre.

Widerstand gegen Veränderungen: Der Klassiker bei einer jeden Transformation. Jede Veränderung – egal wie sinnvoll sie ist – stößt auf Widerstände. Ohne eine durchdachte Begegnung mit diesem Widerstand wird die Veränderung nicht geschehen.

3 Erfolgskriterien, mit denen die Prozesstransformation (trotzdem) gelingen kann

Trotz gewisser Hürden ist die Transformation hin zu einer End-to-End-Prozessstruktur häufig sehr sinnvoll und kann einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil bedeuten. Damit dies gelingen kann, sind drei Dinge unbedingt zu beachten:

1. Unverrückbare Unterstützung der Geschäftsführung:

End-to-End-Prozesse sind abteilungs- oder teamübergreifend. Es wird also immer jemanden geben, der oder die gegen die Veränderung ist. Die oberste Unternehmensführung muss daher unverrückbar zur Entscheidung und Umsetzung der neuen Struktur stehen. Selbst geringste Zweifel daran können das Risiko erhöhen, dass es zu Verzögerungen oder im schlimmsten Fall zur Verhinderung der Veränderung kommt.

2. Festlegung der Prozessverantwortung:

Die Denkweise hin zu End-to-End-Prozessen schafft eine völlig neue Betrachtungsweise auf die Organisation. Der Fokus liegt nicht mehr auf Verbesserungen und Optimierungen innerhalb von Abteilungen, sondern eben auf dem Prozess, unabhängig davon, durch wie viele Abteilungen dieser läuft. Es muss daher eine verantwortliche Person geben, die unabhängig von den Abteilungshierarchien für den gesamten Prozess verantwortlich ist. Der Grund hierfür ist, dass diese Rolle im Rahmen des Soll-Designs sowie bei Prozessverbesserung in die Hoheitsgebiete von unterschiedlichen Abteilungen eingreift. Demnach muss diese Person gestärkt sein und darf nicht in einer Doppelrolle sein, bei der sie gleichzeitig eine der Abteilungen leitet, durch die der Prozess läuft.

3. Akzeptanz von Aufgaben- und/oder Personalveränderungen:

Wenn die gleichen Personen die gleichen Dinge machen und für die gleichen Dinge verantwortlich sind, kann keine Veränderung stattfinden. Natürlich kann trotzdem eine neue End-to-End-Prozesslandschaft auf dem Papier entstehen, aber sich entfalten wird sie sich nicht. Es ist daher wichtig mutig und offen für Veränderungen zu sein. Es erfordert Mut, Tätigkeiten umzuverteilen und Offenheit, Personen Dinge zuzutrauen, die sie bisher noch nie gemacht haben.

Wenn das Controlling als erstes diese Schritte durchführt und die ganze Organisation dies nicht nur erfährt, sondern an einer gesteigerten Leistungserbringung wirklich spürt, steht einer Transformation der gesamten Organisation nichts mehr im Wege.