Antikorruptionskurs bei Siemens hat sich bewährt

Ist in einem Unternehmen ein Compliance-Defizit erst einmal eingesickert, ist es mühsam, die Missstände wirklich mit Stumpf und Stiel zu beseitigen. Doch es ist möglich. Ein Beispiel gibt der deutsche Vorzeigekonzern Siemens. Der Konzern hat kräftig aufgeräumt und sich eines der strengsten Compliance-Regelwerke verordnet. Das Motto des Konzerns: “Only clean business is Siemens-Business".


Angesichts der vielen Negativbeispiele für nicht gelungene Comliance von VW bis zur Deutschen Bank dürfen positive Beispiele für eine - zumindest dem äußeren Anschein nach -  gelungene Compliance nicht übersehen werden. Siemens ist so ein Beispiel. Aus tiefen Verstrickungen in Korruption und Filz scheint sich der Konzern inzwischen komplett befreit zu haben.

Die Stunde Null

 Herbst 2006: Götterdämmerung für das Vorzeigeunternehmen der deutschen Industrie. Polizei und Staatsanwaltschaft beherrschten die Szene in der Siemens-Zentrale in München. Berge von Unterlagen wurden beschlagnahmt, Manager verhaftet, darunter der Siemens-Vorstand Johannes Feldmayer. Resultat der Aktion: Weit über 1 Milliarde Euro waren über dubiose Kanäle an Beraterfirmen im Ausland geflossen. Schmiergelder, die nur dem einen Zweck dienten, dem Unternehmen Aufträge zuzuführen.

Der Preis für die Korruption war hoch

Die Vorstandsmitglieder von Siemens hatten geduldet, dass sich im Konzern ein regelrechtes Paralleluniversum etabliert hatte. Über 4.000 illegale Einzelzahlungen waren geflossen, mindestens 330 unseriöse Projekte ins Leben gerufen worden. Die früheren Vorstände um Heinrich von Pierer überwiesen schließlich mit Billigung der Hauptversammlung an die 5 Millionen Euro Entschädigungsleistungen an den Konzern. Der wiederum musste berappen, wie kein deutsches Unternehmen zuvor: 1,6 Milliarden Strafzahlungen an deutsche und US-amerikanische Behörden. Darüber hinaus knapp 1 Milliarde an Nachsteuern und zusätzlichen Honoraren für Anwälte und Wirtschaftsprüfer.

Ein Konzern rappelt sich auf

Was folgte, war ein einziges Großreinemachen, wie es die deutsche Industrie bisher nicht gesehen hatte. „Nur noch saubere Geschäfte“ war das Credo des neuen Vorstandsvorsitzenden Peter Löscher. Als „Chief-Compliance-Officer“ setzte er Josef Winter ein, ihm unterstellt 614 Rechtsanwälte, Referenten und interne Ermittler, die jedes rechtswidrige Verhalten im Konzern erbarmungslos aufzudecken hatten.

Keine Freigabe eines Geschäfts bei erhöhtem Korruptionsrisiko

Tatsächlich bescheinigte die in Korruptionsfragen hochkritische Organisation „ Transparency-International“ dem Unternehmen, korrupte Strukturen zerschlagen und eines der schärfsten Kontrollinstrumentarien der Industrie weltweit eingeführt zu haben.

  • Zu diesen Kontrollinstrumenten gehört zweifellos die zur Korruptionsbekämpfung bei Siemens eingeführte Software „Business-Partner-Compliance-Due-Diligegence“.
  • Diese verlangt von einem Unternehmensmitarbeiter, der ein Geschäft avisiert, detaillierte Angaben zur Identität des Geschäftspartners, zur Zahlungsweise, zu auffälligen Namensänderungen und ähnliche Angaben.
  • Daraus errechnet die Software das Korruptionsrisiko.
  • Je höher das Risiko, umso mehr weitere Angaben sind erforderlich, damit ein Geschäftsabschluss freigegeben wird. 

Mitarbeiter fühlten sich bevormundet und gebremst

Unter Mitarbeitern war diese Software zunächst zur umstritten. Sie sahen sie als Bremse für gewinnträchtige Geschäftsabschlüsse. Zum Teil ist die Bürokratie bei Siemens tatsächlich etwas übers Ziel hinaus geschossen, weshalb zur Zeit Entbürokratisierungsbemühungen als überflüssig erkannte bürokratische Hemmnisse wieder beseitigen sollen. So wurde die in den Compliance-Richtlinien vorgesehene Verpflichtung, vor einem Geschäftsabschluss Beurteilungen örtlicher Behörden einzuholen, die meist wenig ergiebig waren, wieder abgeschafft. Die Vorgaben für kleinere Einladungen von Geschäftsfreunden im Haus wurden wieder etwas gelockert.

Insgesamt positives Resümee

Trotz auch kleiner kleinerer Fehlentwicklungen ist der bei Siemens erreichte Stand ein Beispiel dafür, dass Großreinemachen in der Industrie durch Implementierung einer umfangreichen Compliance im Unternehmen und in den Köpfen der Mitarbeiter gelingen kann. Das Null-Toleranz-Konzept bei Siemens ist aufgegangen. Skeptiker behaupten allerdings teilweise noch heute, in vielen Ländern sei ohne Schmiergeld ein guter Geschäftsabschluss objektiv nicht möglich.

In einem Interview im Handelsblatt hatte der Rohrleitungsbauer Eginhard Vietz in diesem Zusammenhang die Anti-Korruptions-Bemühungen bei Siemens als Heuchelei bezeichnet und erklärt, in Ländern wie Algerien, Ägypten oder Nigeria, gebe es definitiv keinen Geschäftsabschluss ohne Schmiergeldzahlungen.

Ruf der Korruptionsresistenz belebt das Geschäft

Die Praxis von Siemens scheint diese Meinung zu widerlegen. Unmittelbar nach Einführung der neuen Anti-Korruptions-Compliance stiegen die Auftragseingänge bei Siemens im zweistelligen Prozentbereich. Eine Studie in den USA geht in die gleiche Richtung. Sie belegt, dass als korruptionsresistent geltende Unternehmen in der Regel wirtschaftlich deutlich besser dastehen als solche, die als korruptionsanfällig gelten. Keine schlechten Argumente also für einen Antikorruptionskurs.


Vgl. zu dem Thema auch:

Compliance Regelung für Geschenke und Einladungen

Kritische Auseinandersetzung mit dem Siemens-Urteil

Schlagworte zum Thema:  Compliance, Vorstand, Haftung