Wo sitzen Beschäftigte mehr - im Unternehmen oder im Homeoffice?
Das Sitzen während der Arbeitszeit ist eines der großen gesundheitlichen Risiken für die Beschäftigten. Dies erklärt sich aus evolutionären Gründen: Der menschliche Körper ist auf Mobilität ausgerichtet, nicht auf sitzendes Verhalten. Dementsprechend führt langes Sitzen zu einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und muskuloskelettale Beschwerden. Das moderne Arbeitsleben erfordert aber in vielen Fällen langes Sitzen, zumindest bei der Büroarbeit bzw. an Bildschirmarbeitsplätzen. Wo aber sitzen die Beschäftigten in der zunehmend hybriden Arbeitswelt mehr? Im Unternehmen des Arbeitgebers oder außerhalb des Unternehmens, im Homeoffice?
Forschungslage unklar
Bislang haben Studien zur körperlichen Aktivität und Sitzdauer bei Büroarbeit keine eindeutige Antwort auf diese Fragen gebracht. Einige Untersuchungen berichteten über längere Gesamt- und ununterbrochene Sitzzeiten in flexiblen oder mobilen Arbeitsumgebungen. Andere fanden gemischte Befunde im Vergleich zwischen betrieblichen Büroarbeitsplätzen und alternativen Arbeitsorten. In einer neuen Studie haben Forscher des. IPA daher das Bewegungsverhalten von Beschäftigten an Bildschirmarbeitsplätzen im Homeoffice und im Unternehmensbüro miteinander verglichen. Dabei haben sie neben der reinen Arbeitszeit auch zusätzlich die gesamte Wachzeit (jegliche Zeit im Wachzustand) der Beschäftigten betrachtet.
IPA-Studie
Insgesamt nahmen 52 Arbeitnehmer, davon 29 weiblich und 23 männlich, an der Studie teil, die im Durchschnitt 41,1 Jahre alt waren. Die Auswertung der reinen Arbeitszeit basiert auf diesen 52 Personen, die Auswertung der Wachzeit auf 46 Personen. Das Bewegungsverhalten der an der Studie teilnehmenden Beschäftigten wurde mit einem am Oberschenkel getragenen Sensor gemessen. Dabei wurden sowohl die Aktivität vor, während und nach der Arbeitszeit als auch die Gestaltung der Pausen, der Arbeitsweg und Freizeitaktivitäten erfasst, darunter Schrittzahl, Körperhaltungen und Haltungswechsel, Fortbewegungsaktivitäten sowie der Energieverbrauch bei der Bewegung.
Ergebnisse
Extremwerte wurden vor allem innerhalb der reinen Arbeitszeit festgestellt. Einzelne Teilnehmende saßen dabei deutlich mehr als 80 % ihrer Arbeitszeit, manche sogar fast ausschließlich. Die Werte relativierten sich, wenn die Wachzeit mitberücksichtigt wurde. Allerdings überwog das Sitzen auch dann deutlich. Im Vergleich der Arbeitsorte Homeoffice und Büro gab es einen auf den ersten Blick widersprüchlichen Befund: Das Sitzen war im Homeoffice deutlich ausgeprägter bei der reinen Arbeitszeit. Über die gesamte Wachzeit war die Bewegungsaktivität wiederum leicht höher als bei Beschäftigten am Regelarbeitsplatz. Auch die Häufigkeit des Wechsels von sitzendem Verhalten zum nicht sitzenden verhalten war im Homeoffice über den gesamten Betrachtungszeitraum erhöht. Die Studienteilnehmenden im Homeoffice verbrachten 46,2 % der Zeit in Sitzintervallen von 30 Minuten und länger. Bei den Studienteilnehmenden im Unternehmensbüro waren es lediglich 38,9 %.
Dekra-Umfragen: Defizite beim Arbeitsschutz
Die vergleichsweise etwas höheren gesundheitlichen Risiken der Homeofficearbeit wurden in den vergangenen Jahren auch durch die Arbeitsschutzreporte der internationalen Prüfgesellschaft Dekra bestätigt. Laut einer vom forsa-Institut durchgeführten Umfrage berichteten 36 % der Befragten, aufgrund eines mangelhaften Arbeitsplatzes im Homeoffice von Verspannungen, Rücken- oder Kopfschmerzen. Ein ergonomisch unzureichend ausgestatteter Arbeitsplatz, mangelnde Bewegung und längere Arbeitszeiten waren ihnen zufolge die Gründe hierfür. Im aktuellen Report für 2025 meinten 20 % der befragten Homeofficebeschäftigten, durch die Arbeit im Homeoffice längere Arbeitszeiten zu haben als im Unternehmensbüro.
Konzept gegen Sitzen: Bewegtes Lernen
Eventuell könnten Arbeitnehmer von einem neuen pädagogischen Konzept profitieren, das zunehmend in Schulen, Universitäten und anderen Bildungseinrichtungen Verbreitung findet: das „Bewegte Lernen“. Beim Bewegten Lernen wird Bewegungsaktivität in den Unterricht oder in das Lernen integriert. Dabei wird der Körper als zusätzlicher „Sinneskanal“ genutzt, um Lerninhalte besser zu verinnerlichen. Statt stundenlang still zu sitzen, können die Schüler und Studierenden durch Bewegung ihre Konzentration steigern und den Lernstoff auf „sportliche“ Weise erfassen – und das nach ersten Umfragen effektiver als im Sitzen.
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Konstantin Wechsler
05.11.2025 09:34 Uhr
Hallo,
danke für das Verbreiten unserer Studienergebnisse - es freut uns wenn diese Anklang finden und auf Interesse stoßen!
Wären Sie so nett, einen Tippfehler zu korrigieren? Die Studie wurde am IFA (Institut für Arbeitsschutz, Standort Sankt Augustin) durchgeführt. Im Artikel wird aber das IPA (unser Schwesterinstitut in Bochum) genannt.
VG und danke