BGM in die ISO 45001 integrieren?

Die Gestaltung eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) auf Basis einer Managementnorm oder -spezifikation ist eine Herausforderung, sichert aber einen stabilen und nachhaltigen Aufbau und die nachhaltige Verankerung im Unternehmen. Die Frage ist allerdings, ob das BGM in ein Managementsystem nach der neuen DIN ISO 45001 aufgenommen werden sollte und wie eine Integration gelingen kann.

BGM wird nach der DIN SPEC 91020 definiert als systematische sowie nachhaltige Schaffung und Gestaltung von gesundheitsförderlichen Strukturen und Prozessen einschließlich der Befähigung der Organisationsmitglieder zu einem eigenverantwortlichen, gesundheitsbewussten Verhalten. Dabei wird deutlich, dass es einerseits um Rahmenbedingungen geht und andererseits um das Gesundheitsverhalten der Beschäftigten.

Keine Blaupause für das BGM

Die Bandbreite der Rahmenbedingungen, welche einen Einfluss auf die Gesundheit im Hinblick auf die physische, psychische und soziale Ebene haben, kann sehr eng, aber auch sehr weit gefasst werden. Insofern kann es nicht das eine BGM geben, welches als Blueprint für alle Unternehmen dient.

Jedes Unternehmen, das ein BGM einführen oder die vorhandene Gesundheitsförderung zu einem BGM weiterentwickeln möchte, muss seinen eigenen Bedarf und mögliche Risiken prüfen sowie daraus resultierende BGM-Ziele ableiten. Diese ersten Schritte sind bereits Teil des BGM-Prozesses, zu dem auch die Strukturbildung und nach einer Projektphase auch die Verankerung des BGM als System im Unternehmen gehören.

BGM ist also weit mehr als die Durchführung vereinzelter Maßnahmen.

Checklisten und Leitfäden

Da es keine gesetzliche Verpflichtung für das BGM gibt, gibt es auch keine verpflichtend einzuhaltende Vorgehensweise und Ausgestaltung. Ausgehend von der 1997 erstmals erstellten Luxemburger Deklaration zur Betrieblichen Gesundheitsförderung wurden im Laufe der Zeit zahlreiche Checklisten und Leitfäden erstellt, die einen guten Hinweis für den Prozess, die Erfolgskriterien, Strukturen und Maßnahmen geben. Hierzu zählen z. B.:

  •  Luxemburger Deklaration,
  • BGF-Kriterienliste des EWHP,
  • GKV-Leitfaden Prävention,
  • Qualitätskriterien im Präventionsfeld "Gesundheit im Betrieb" der gesetzlichen Unfallversicherungsträger und der DGUV,
  • Anforderungen für ein Gesundheitsmanagementsystem auf Basis des DGUV-Grundsatzes 311-002,
  • DIN SPEC 91020 Betriebliches Gesundheitsmanagement,
  • Antrags-/Qualifizierungsbögen von Awards (z. B. Corporate Health Award, Deutsches Unternehmenssiegel Gesundheit).

Häufig sind gleiche Kriterien in vielen Checklisten vertreten, z. B. "Einbezug der Belegschaft" oder "Prozessorientierte Vorgehensweise nach dem PDCA-Zyklus". Die Entstehung dieser Kriterien geht zum Teil auf wissenschaftliche Erkenntnisse zur erfolgreichen Gestaltung eines BGM zurück, zum anderen basieren sie auf Praxiserfahrung. Für Unternehmen bieten sie einen Überblick, welche Aspekte in einem BGM relevant sein können, wobei nicht klar daraus hervorgeht, ob nun alle Kriterien relevant sind oder auch nur eine Auswahl getroffen werden kann.

Einige Checklisten sind sehr umfangreich und stellen die Bandbreite der möglichen BGF-Angebote dar, auch wenn, je nach Unternehmensbedarf, nur die ein oder andere Maßnahme relevant ist. Daher gilt grundsätzlich, dass nicht die Erfüllung aller Kriterien einer Checkliste als Kennzeichen eines guten BGM dient, sondern nur die derjenigen, die für die Bedürfnisse eines Unternehmens relevant sind.

High Level Structure

Während die Mehrzahl der Kriterien-/Checklisten eine individuelle Sammlung von Aspekten/Kriterien der Autoren darstellt, handelt es sich bei der DIN SPEC 91020 um ein zertifizierbares Managementsystem. Dieses reiht sich ein in die Gruppe der anderen bekannten Systeme, wie ISO 9001 (Qualität), ISO 14001 (Umwelt) und BS OHSAS 18001 (Arbeitsschutz). Letztere wurde 2018 durch die DIN ISO 45001 "Managementsysteme für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit" abgelöst. Die Gruppe kennzeichnet sich durch die High Level Structure, eine einheitliche Grundstruktur für Managementsystemnormen.

Auch die DIN SPEC 91020 besitzt diese Struktur, obwohl es sich bei ihr nicht um eine ISO-Norm, sondern lediglich um eine öffentlich verfügbare Spezifikation (Publicly Available Specification [PAS]) handelt, welche aber durch das Deutsche Institut für Normung e. V. (DIN) veröffentlicht wurde.

BGM-Prozess nach dem PDCA-Zyklus

Für den Aufbau und die Gestaltung eines BGM nach dieser Spezifikation sieht die DIN SPEC 91020 im Gegensatz zu den sonstigen Kriterien-/Checklisten keine losgelösten Einzelkriterien vor, sondern einen BGM-Prozess nach dem PDCA-Zyklus und definiert hierzu Anforderungen. So muss im Vorfeld der Planung des BGM der Kontext der Organisation dargestellt werden. Hierzu gehören Informationen zu Herausforderungen, zur Sichtweise der interessierten Parteien (z. B. Handlungsansätze für ein BGM aus Sicht der Geschäftsleitung) sowie ein Bekenntnis zur Vorgehensweise nach dem PDCA-Zyklus.

In Kap. 5 werden die Anforderungen an das Führungsverhalten definiert. Die Kap. 6 (Planung), 7 (Betrieb), 8 (Evaluation der Leistung) und 9 (Verbesserung) kennzeichnen die Kernelemente des PDCA-Zyklus. In Summe zeigt sich in dieser Vorgehensweise ein am Bedarf orientiertes Handeln unter Einbezug des Managements sowie einer regelmäßigen Überprüfung der Zielerreichung und der Anforderung nach einer kontinuierlichen Verbesserung.

Die DIN SPEC 91020 macht keine Angaben zu konkreten Maßnahmen der Verhaltens- oder Verhältnisprävention sowie zu erfolgreichen Praxisprogrammen. Sie definiert einen abgesicherten Weg hin zu einem nachhaltigen und erfolgreichen BGM.

DIN ISO 45001: Arbeitsschutz immer noch im Vordergrund

Seit Frühjahr 2018 ist die neue Norm DIN ISO 45001 als Nachfolgerin zur BS OHSAS 18001 Arbeitsschutzmanagementsystem auf dem Markt. Für Unternehmen, die nach der BS OHSAS 18001 zertifiziert sind, bedeutet das zwangsläufig einen Wechsel auf die neue DIN ISO 45001, sobald das bisherige Zertifikat ausläuft.

Mit dem Umstieg ergeben sich aber auch Neuerungen, da die neue Norm eben nicht mehr ausschließlich auf den Arbeitsschutz abzielt, sondern auf Managementsysteme für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit. Beim Durchlesen der Norm und der Interpretation der Formulierung wird man feststellen, dass nach wie vor die Risikobetrachtung und der Arbeitsschutz im Vordergrund stehen.

Dem steht aber auch die Forderung gegenüber, neben den Risiken nun auch die Chancen zu bewerten und auch die Umformulierung von der Entwurfs- zur finalen Version macht deutlich, dass Gesundheit deutlicher zu betrachten ist. Zudem müssen laut Kap. 6.2 Ziele für die Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit festgelegt werden, die sich aus der zuvor durchgeführten Bewertung von Risiken und Chancen ableiten lassen. In diesem Zusammenhang wird die Nähe zur DIN SPEC 91020 deutlich, die in Kap. 6.2 ebenfalls fordert, betriebliche Gesundheitsziele zu definieren.

Hier stellt sich nun die Frage, ob mit der DIN ISO 45001 die DIN SPEC 91020 abgelöst wird. Ein solcher Schritt wäre durchaus vorstellbar, aber auch die Koexistenz beider Standards. Der Vorteil der DIN SPEC 91020 liegt eindeutig in deren tiefergehendem fachlichen Bezug zum BGM, bei der DIN ISO 45001 gelingt der Einbezug des BGM nur durch die Risiken- und Chancenbewertung sowie die daraus abgeleiteten Gesundheitsziele.

BGM in die DIN ISO 45001 integrieren

Die DIN SPEC 91020 hat sich nie richtig durchgesetzt. Zum einen ist der Anspruch sehr hoch, weshalb sich Unternehmen nicht trauen in diese Tiefe des BGM einzusteigen, zum anderen wurde der Nutzen einer Zertifizierung nicht gesehen. Dies hat sich in der jüngsten Vergangenheit verändert, da die DIN SPEC 91020 als idealer Leitfaden für den qualitätsorientierten Aufbau eines nachhaltigen BGM gilt.

Für Unternehmen, die von der BS OHSAS 18001 auf die DIN ISO 45001 umsteigen müssen, stellt sich nun die Frage, wie denn Risiken und Chancen zur Gesundheit bei der Arbeit analysiert und bewertet und daraus Gesundheitsziele abgleitet werden können. Insofern bietet sich nun die Chance, die DIN SPEC 91020 BGM als Leitfaden für den Aufbau eines BGM zu verwenden und dabei auch BGM-Ziele zu definieren, die gleichzeitig auch als SGA-Ziele nach der DIN ISO 45001 betrachtet werden können.

Oftmals identifizierte BGM-Ziele sind:

  • leistungsfähige und -bereite Mitarbeiter,
  • Demografiefestigkeit,
  • Arbeitsfähigkeit bis zur Rente,
  • werteorientierte Führung/gesund Führen,
  • hohe Arbeitgeberattraktivität,
  • sichere und gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen.

Überschneidungen zwischen BGM und Arbeitsschutz

Aus dieser Auflistung wird deutlich, dass es insbesondere in den Bereichen Demografie, Führung, Arbeitsfähigkeit und Arbeitsbedingungen Überschneidungen zwischen dem BGM und dem Arbeitsschutz gibt. Dies ist auch nicht verwunderlich, da das Verständnis eines BGM die freiwillig durchzuführende Betriebliche Gesundheitsförderung sowie die gesetzliche Verpflichtung im Arbeitsschutz und zum Angebot eines Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) einschließt.

Daher ist es im Sinne einer Koexistenz der beiden Managementsysteme vorstellbar,

  • eigene BGM-Ziele, eigene SGA-Ziele sowie gemeinsame Ziele zu definieren,
  • aber auch das BGM der DIN ISO 45001 strukturell unterzuordnen und
  • trotzdem noch ergänzende BGM-Ziele außerhalb der Norm/des Managementsystems zu definieren.

Die Koexistenz der DIN SPEC 91020 bietet die Möglichkeit, BGM-Ziele exakt auf den Bedarf des Unternehmens angepasst zu definieren. Hierbei können gemeinsame Ziele auch auf die Ebene von strategischen Handlungsfeldern reduziert werden, so z. B. auf die gesetzlich verpflichtend durchzuführende Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen, das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) und die Ergonomie.

Separate Ziele, gemeinsame Ziele

BGM in die DIN ISO 45001 zu integrieren ist durchaus vorstellbar, jedoch ist dies je Unternehmen spezifisch zu diskutieren. Es besteht die Gefahr, dass die differenzierte Betrachtung von BGM-Zielen gemäß der DIN SPEC 91020 in der DIN ISO 45001 untergeht oder verwässert wird. Die DIN ISO 45001 ist nach wie vor arbeitsschutzlastig, weshalb das Modell, für BGM und Arbeitsschutz jeweils separate, aber auch gemeinsame Ziele zu definieren, sicherlich realistisch erscheint. Aber auch weitere Modelle sind unternehmensspezifisch zu diskutieren.

BGM mit der DIN ISO 45001 in irgendeiner Form zu verbinden, bringt den entscheidenden Vorteil, es strukturell stabiler zu verankern. Gelingt dies, gilt es nachgeordnet, die definierten BGM-/SGA-Ziele mit Zielindikatoren und den Erfordernissen der Norm in den Kapiteln 6 bis 10 auszuarbeiten.

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