Das Wort Resilienz wird für gewöhnlich mit „Widerstandsfähigkeit“ übersetzt und meint die Fähigkeit, mit Krisen, Belastungen oder Veränderungen so umzugehen, dass es nicht zu einem Kollabieren des Systems kommt, sondern dass die Tragfähigkeit des betroffenen Systems durch eine Anpassungsleistung erhalten bleibt. In der Ökologie prägte der kanadische Professor für Ökologie Crawford Stanley Holling den Begriff der Resilienz, als er im Jahr 1973 am Institute of Resource Ecology an der University of British Columbia einen Fachartikel mit dem Titel „ Resilience and Stability of Ecological Systems“ veröffentlichte. Colling sieht Resilienz als dynamischen Prozess der Anpassung und versteht die Widerstandsfähigkeit als das Ergebnis eines Transformationsprozesses, nach dem das System nach einer Krise nicht wieder in den ursprünglichen Zustand zurückkehrt, sondern es in einen neuen Zustand kommt, in dem wieder Gleichgewichtszustände erreicht werden.
Unterschiedliche Wissenschaftler wie der Dr. Emanuele Bevacqua und seine Kollegen Carl-Friedrich Schleussner und Jakob Zscheischler vom Helmholz Zentrum für Umweltforschung sowie Alex Cannon von der University of British Columbia haben ausgerechnet, dass eine Einhaltung des 1,5 Grad Ziels nach dem Pariser Klimaschutzabkommen gegebenenfalls nicht mehr eingehalten werden kann. Im Jahr 2024 lag die Temperatur laut Copernicus, dem Erdbeobachtungsprogramm der Europäischen Union, im gesamten Kalenderjahr erstmals 1,6 Grad über dem vorindustriellen Niveau (1850-1900). Klimaforscher betonen zwar, dass das Pariser Klimaziel erst dann überschritten sei, wenn die Temperaturüberschreitung mindestens 20 Jahre am Stück anhalte, allerdings zeigt der Trend bereits eine konstante Temperaturerhöhung auf Grund des anthropogenen Klimawandels über die letzten Jahrzehnte, weswegen das Pariser Klimaziel zwar noch nicht offenbar als verfehlt gilt, aber ohne drastische Treibhausreduktionsmaßnahmen wohl in weite Ferne rückt.
Die Konsequenzen dessen spüren wir schon heute. Das Abschmelzen der Gletscher, die Versauerung der Ozeane sowie die Zunahme von Extremwetterereignissen wie Stürme, Überschwemmungen und Hitzewellen sind nur einige Ereignisse, die bereits eingetreten sind, und ein fundamentales Risiko für die Lebensgrundlage der Menschen darstellen.
Im Zuge dessen sollten sich auch Unternehmen intensiv mit den Risiken des Klimawandels hinsichtlich ihrer Geschäftsmodelle auseinandersetzen, da die Klimawandelfolgen zunehmend materielle, rechtliche und strategische Auswirkungen haben können. So können klimawandelbedingte Ereignisse wie Stürme, Waldbrände oder Hochwasser zu Produktionsausfällen, Versorgungsengpässen in der Lieferkette und hohen Kosten für den Wiederaufbau der betroffenen Standorte führen. Eine zunehmende CO2-Bepreisung, strengere Auflagen bei der Berichterstattung und veränderte Kunden- und Investorenanforderungen können die Kosten von CO2-intensiven Prozessen in die Höhe treiben oder beispielsweise zu einem Werteverlust einzelner Vermögenswerte führen. Immer häufiger auftretende Klima-Klagen gegen Unternehmen machen diese haftbar, sodass es zukünftig vermehrt zu Schadensersatzforderungen kommen kann.
Vielen Unternehmen fällt es aktuell noch schwer, einzuschätzen, wie hoch die Risiken sind, denen sie gegenüberstehen. Viele sind sich außerdem unsicher, welche Notwendigkeiten sich daraus bezüglich einer Anpassung ihres Produkt- bzw. ihres Dienstleistungsportfolios ergeben. Die in diesem Artikel vorgestellte Klimarisikoanalyse hilft, diese Risiken frühzeitig zu erkennen, um somit bessere Investitionsentscheidungen zu treffen und letztendlich eine unternehmensrelevante Resilienz zu entwickeln als Grundlage für eine robuste und flexible Zukunftsperspektive.
Wie erstelle ich eine Klimarisikoanalyse?
Die Klimarisikoanalyse umfasst folgende Schritte, die unter anderem in der CSRD-Berichterstattung im ESRS E1 Klimawandel-Standard in der jeweiligen Abgabepflicht gefordert werden:
- Klimarisiken und -chancen identifizieren (ESRS 2 IRO-1)
- Potenzielle finanzielle Auswirkungen bewerten (ESRS E1-9)
Auf die Klimarisikoanalyse folgt idealerweise die Entwicklung folgender Schritte:
- Konzepte und Maßnahmen zur Emissionsreduktion und zur Klimaanpassung entwickeln (ESRS E1-2 und E1-3)
- Resilienz des Geschäftsmodells bewerten (ESRS 2 SBM-3)
Schritt 1: Klimarisiken und -chancen identifizieren
Im ersten Schritt werden die wesentlichen klimabedingten Chancen und Risiken identifiziert, die die Geschäftstätigkeit des Unternehmens entlang der Wertschöpfungskette beeinflussen können. Hierfür kann die Doppelte Wesentlichkeitsanalyse der ESRS-Berichterstattung bereits eine gute Grundlage liefern. Wichtig ist, dass sowohl physische als auch transitorische Risiken berücksichtigt werden und auch an deren Wechselwirkungen gedacht wird. Physische Risiken unterteilt man nochmal in akute versus chronische Risiken. Akute physische Risiken können aus dem Klimawandel ereignisgetrieben resultieren, wie zum Beispiel eine zunehmende Frequenz von Extremwetterereignissen, die eigene Standorte oder beispielsweise die Lieferkette betreffen können. Chronische Risiken betreffen grundlegende Veränderungen klimatischer Bedingungen wie höhere Temperaturen, die zum Beispiel zu einem höheren Hitzestress bei den eigenen Mitarbeitenden führen können oder ein verändertes Niederschlagsmuster, das negative Auswirkungen auf den Betrieb, die Lieferkette oder die Logisitk haben kann.
Transitorische Risiken ergeben sich für Unternehmen im Zusammenhang mit dem Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft. Bei den transitorischen Risiken kann man eine Unterscheidung in politische, rechtliche und technologische Risiken sowie Marktpreis- und Reputationsrisiken treffen.
Politische Risiken können zum Beispiel die CO2-Bepreisung, steuerliche Regelungen oder Klimaberichterstattungsverpflichtungen betreffen. Rechtliche Risiken können sich beispielsweise auf Klimaklagen oder den Verstoß gegen politische Vorgaben beziehen. Technologische Risiken können sich auf die Substitution bestehender Produkte und Dienstleistungen durch emissionsarme Alternativen beziehen. Marktrisiken können sich zum Beispiel auf steigende oder volatile Rohstoffkosten, ein verändertes Kundenverhalten oder eine Verschiebung von Angebot und Nachfrage beziehen. Reputationsrisiken schließen beispielsweise einen Nachfrageeinbruch durch eine gestiegende Konsumentensensibilität oder negatives Feedback von externen Stakeholdern ein.
Chancen können nach den Kategorien Ressourceneffizienz, Energiequellen, Produkte und Dienstleistungen, Märkte und Resilienz eingeteilt werden. Effizientere Transportmittel, mehr Recycling oder ein reduzierter Wasserverbrauch zahlen auf eine Reduktion der Betriebskosten und eine verbesserte Ressourceneffizienz ein. Emissionsarme Energiequellen oder die Teilnahme an Kohlenstoffmärkten kann einem Kostenvorteile im Bereich von alternativen Energiequellen bringen und ausbleibende negative Effekte durch eine zunehmende CO2-Bepreisung. Eine Diversifizierung des Geschäftsmodells oder innovative kohlenstoffarme Produkte können zu einer Differenzierung im Wettbewerb führen.
Die klimabedingten Chancen und Risiken werden unter Berücksichtigung verschiedener Szenarien ermittelt und bewertet. Der Klimastandard ESRS E1 gibt vor, dass Unternehmen bei der Analyse von Klimarisiken und -chancen ein 1,5°C Szenario sowie ein Szenario mit hohem Temperaturanstieg verwenden sollen.
Szenariobetrachtung in der Klimarisikoanalyse
Eine Szenarioanalyse ist ein strategisches Instrument zur Bewertung potenzieller zukünftiger Entwicklungen des Klimas und dessen Auswirkungen auf Organisationen, Sektoren und Regionen. Es wird vorwiegend im Bereich des Risikomanagements, in der Steuerung von Klimawandelanpassungsmaßnahmen sowie in der Nachhaltigkeitsberichterstattung eingesetzt. Szenarioanalysen im Bereich Klima helfen Unternehmen, zu verstehen, welche Risiken und Chancen mit verschiedenen globalen Entwicklungen des Klimas einhergehen, sodass sie daraufhin ihre Strategie anpassen können, um dann je nach Szenario wirtschaftlich effizient zu handeln. Ein Szenario ist ein Konstrukt, das einen möglichen Entwicklungspfad beschreibt, der zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft zu einem spezifischen Zustand führt. Auf der Basis verschiedener Szenarien kann eine Analyse der potenziell eintretenden Chancen und Risiken vorgenommen werden. Die verschiedenen Narrative hängen von den Treibhausgasen ab, die weltweit ausgestoßen werden. Je mehr Emissionen ausgestoßen werden, desto höher ist der zukünftig erwartbare Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur. Die folgende Grafik vom UN Global Compact Netzwerk zeigt schematisch vier Szenarien mit unterschiedlichen Steigerungen der globalen Durchschnittstemperatur:
Bei der Auswahl der Zukunftsszenarien kann auf öffentlich verfügbare Szenarien zurückgegriffen werden. Diese Szenarien konzentrieren sich meistens vor allem entweder auf physische Risiken wie zum Beispiel Überschwemmungen, Waldbrände und Stürme oder auf transitorische Risiken wie regulatorische oder technologische Entwicklungen. Um die eigene Risikoanalyse zu vervollständigen, ist es empfehlenswert, seine Szenarien auf beide Risikokategorien hin abzustimmen. Für Szenarien mit transitorischen Klimaszenarien eignen sich beispielsweise Szenarien der Internationalen Energieagentur (IEA), die im jährlich erscheinenden Bericht namens World Energy Outlook (WEO) veröffentlicht werden. Auch das Network for Greening the Financial System (NGFS) veröffentlicht zweijährlich aktualisierte Szenarien auf seinem NGFS Scenarios Portal. Für Szenarien, die einen Fokus auf physische Klimaszenarien legen, kann man sich an den Representative Concentration Pathways (RCP) oder an den Shared Socioeconomic Pathways (SSP), die jeweils in dem Sachstandsbericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen vom Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) ca. alle 5-7 Jahre veröffentlicht werden. Zusätzlich zu den bestehenden Szenarien gibt es kommerzielle sowie nicht-kommerzielle Tools, die einem bei der Analyse von physischen und transitorischen Risiken helfen. Tools wie der Climate Impact Explorer von Climate Analytics, CLIMADA von der ETH Zürich und die Climate Adaptation Knowledge Exchange (CAKE) von der Non-Profit-Organisation EcoAdapt sind frei zugänglich und können kostenlos genutzt werden.
Es gilt in jedem Fall, den Reifegrad der Klimarisikoanalyse und die Offenlegungen schrittweise zu steigern. So kann man sich anfangs erst einmal auf die Geschäftseinheiten konzentrieren, die den größten Umsatzanteil erwirtschaften, oder man konzentriert sich auf die Produkte der relevantesten Kundenmärkte. Danach kann man dann seinen Scope sukzessive im Rahmen der Szenarioanalyse ausbauen. Allerdings sollte bei dieser Vorgehensweise geprüft werden, ob bei den erstmalig ausgeschlossenen Aspekten eine besonders hohe Risiko- oder Chancenexposition zu erwarten ist, damit blinde Flecken möglichst früh erkannt werden. Zudem kann man sich sich bei der Szenarioanalyse zunächst auch auf qualitative Ansätze stützen, um dann über die Jahre fortlaufend die Szenarioanalyse hin zu quantitativ detaillierteren Ansätzen zu entwickeln. Insgesamt gilt: Je stärker ein Unternehmen von physischen und transitorischen Risiken betroffen ist, desto mehr Aufwand sollte in eine Szenarioanalyse gesteckt werden.
Schritt 2: Potenzielle finanzielle Auswirkungen bewerten
Im zweiten Schritt werden die identifizierten Chancen und Risiken finanziell bewertet. Gemäß ESRS E1-9 können Unternehmen in den ersten drei Jahren der Erstellung der Nachhaltigkeitserklärung auch ausschließlich qualitative Angaben machen. Im Rahmen verschiedener Zeiträume (zum Beispiel kurz- mittel- und langfristig) werden die Auswirkungen hinsichtlich der zukünftigen Finanzlage analysiert, zum Beispiel im Rahmen der Gewinn- und Verlustrechnung, der Unternehmensbilanz und der Kapitalflussrechnung. Sowohl die Einnahmen, als auch die Ausgaben sowie die Änderungen der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten sollten hierbei betrachtet werden.
Klimabezogene Chancen und Risiken können eine erhebliche Änderung auf die Finanzierungsstruktur eines Unternehmens nach sich ziehen. Betroffen sind prinzipiell alle Wirtschaftssektoren, aber die (potentiellen) finanziellen Folgen richten sich jeweils nach Art und Höhe des Risikos sowie der jeweiligen Branche und Geschäftstätigkeit. Für die finanzielle Bewertung eignet sich eine Analyse der gängigen Finanzkennzahlen eines Unternehmens wie Umsatz, EBIT, Kapitalbindung, CAPEX und OPEX. Methoden wie das DCF-Verfahren, die Sensitivitätsanalyse und sogenannte Stresstests ergänzen die Finanzanalyse sinnvoll. Verschiedene Netzwerke wie TCFD, PCAF und MSCI geben weitere Hinweise zur Integration von ESG-Aspekten in die Finanzberechnung.
Schritt 3: Konzepte und Maßnahmen zur Emissionsreduktion und zur Klimaanpassung entwickeln
Im dritten Schritt wird ein Konzept mit Maßnahmen aufgestellt, um sowohl die Emissionen zu reduzieren als auch Klimawandelanpassungsmaßnahmen vorzunehmen. Im Artikel Der Transitionsplan – die Routenführung der CO2-Reduktion finden Sie wertvolle Informationen zur Entwicklung eines Transitionsplans.
Schritt 4: Resilienz des Geschäftsmodells bewerten
Im vierten Schritt führt man eine Bewertung der Gesamtrisiken durch und bewertet somit die Resilienz des Geschäftsmodells. Dabei werden die identifizierten Chancen und Risiken unter der Berücksichtigung der erarbeiteten Maßnahmen zur Mitigation und Anpassung an diese Chancen und Risiken bewertet. Man spricht hier auch von dem Nettorisiko des Unternehmens. Dabei ist es unerlässlich, sowohl die Eintrittswahrscheinlichkeit des Risikos zu bewerten als auch das Maß, mit dem dann eine Anpassung an das Risiko benötigt wird. Potenzielle Frequenzsteigerungen sowie eine Erhöhung der Stärke der Risiken sollte in zukünftige Kalkulationen mit eingeplant werden. Die Analyse der signifikanten Nettorisiken dient als Grundlage zur Anpassung der zukünftigen Geschäftsstrategie. Folgen können eine Änderung des Geschäftsmodells sein, eine Änderung der Produktzusammensetzung oder Investitionen in neue Technologien.
Fazit
Für die Durchführung einer Klimarisikoanalyse ist es empfehlenswert, dass die entsprechenden Verantwortlichen aus der Nachhaltigkeitsabteilung mit den Verantwortlichen aus dem Risikomanagement direkt zusammenarbeiten. Da die finanziellen Auswirkungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette betrachtet werden, sind auch Einbindungen aus Abteilungen wie dem Einkauf, produktbezogenen Geschäftsbereichen und der Betriebsabwicklung sinnvoll. Sowohl der Vorstand als auch der Aufsichtsrat sollten dann bei der Bewertung des Ergebnisses und den strategischen Ableitungen mit eingebunden werden.
Warum ist eine Anpassungsfähigkeit an klimabedingte Veränderungen notwendig?
Der beschriebene Prozess sorgt einerseits für ein Verständnis, mit welchen Risiken und Chancen ein Unternehmen im Rahmen verschiedener globaler Entwicklungen des Klimawandels rechnen muss. Andererseits fordern aber auch diverse gesetzliche Regularien wie die CSRD, die EU-Taxonomie, die TCFD sowie das ISSB die Durchführung von Klimarisikoanalysen. Im Rahmen der Taxonomiekonformität beispielsweise müssen bezüglich der „Do No Significant Harm“-Kriterien achtundzwanzig verschiedene physische Klimarisiken analysiert werden. Für jedes identifizierte Risiko muss zusätzlich ein entsprechender Adaptionsplan zur Minimierung des Risikos vorliegen. Die Praxis zeigt, dass die meisten Unternehmen aktuell keine umfassende Analyse durchgeführt haben. Oft werden nur die Risiken bezüglich der bestehenden Produkte oder Dienstleistungen bzw. des aktuellen Geschäftsmodells untersucht, nicht aber strukturiert mittel- und langfristige klimabezogene Chancen und Risiken mit einbezogen. Die Auswirkungen werden trotz vorhandener wissenschaftlicher Prognosen immer noch unterschätzt. Neben der aktiven Reduktion von zukünftigen Folgekosten verbessert eine Auseinandersetzung mit den eigenen Chancen und Risiken den Zugang zu Finanzmitteln, steigert den Marktwert und schafft neue Einnahmequellen durch Markterweiterung.
Am Ende des Tages ist Nachhaltigkeitsmanagement Risikomanagement. Die Unternehmen, die es schaffen, nicht nur in reaktiver Form robust gegenüber den Veränderungen zu sein, sondern die sich auch proaktiv im Umgang mit Unsicherheiten aufstellen, werden eine größere Chance haben, den zukünftigen Herausforderungen zu begegnen,