Nachhaltigkeit im Vertrieb

Der Vertrieb ist – nach der Produktion – einer der emissionsträchtigsten Unternehmensbereiche. Umso wichtiger sind Nachhaltigkeitsbestrebungen. Zumal der Vertrieb auch stark von einer konsequenten Nachhaltigkeitstransformation profitieren kann, wie Christina Riess zeigt.

Fakt ist, das Thema Nachhaltigkeit ist gekommen, um zu bleiben: Die Etablierung einer nachhaltigen Gesellschaft und Wirtschaft ist die Grundlage, um den menschengemachten Klimawandel aufzuhalten. Dazu gehört auch der notwendige regulatorische Druck, der sicherstellt, dass eine der Lage angemessene, schnelle Umsetzung erfolgt.

Für einige mag das grundsätzlich eine Zumutung sein; viele andere kritisieren eine überbordende und schwer praktikable Bürokratie der gesetzlichen Anforderungen. Da eine nachhaltige Ausrichtung unter den gegebenen klimatischen Bedingungen jedoch alternativlos ist und die letzten Jahrzehnte in dieser Richtung zu wenig unternommen wurde, verhält es sich in dieser Situation wie so oft: für den, der zu lange wartet, wird es unangenehm und teuer.

Folglich ist es unabdingbar, alle erforderlichen Maßnahmen konsequent in allen Unternehmensbereichen umzusetzen. In der Industrie ist grundsätzlich die Produktion der größte Treiber von Emissionen. Darauf folgt jedoch bei den meisten Unternehmen schon der Vertrieb, angetrieben durch häufige Dienstreisen und eine entsprechend große Fahrzeugflotte - denn 60 Prozent der in Europa verkauften Fahrzeuge sind Firmenfahrzeuge, davon sind 87 Prozent Benzin- und Dieselfahrzeuge.

Welche Vertriebsbereiche sind von Fragestellungen rund um Nachhaltigkeit betroffen?

Vertrieb ist dabei mehr als nur Außendienst, der zu den hohen Emissionen beiträgt. Vielmehr tragen sowohl Kundenservice / After Sales, als auch projektgetriebene Vertriebsbereiche, wie  Key Account Management und Projekt-Abwicklung, Produktentwicklung, Sales Consulting, Vertragsanbahnung und -abschluss hierzu bei.

Andere Vertriebsbereiche wie Innendienst, Telesales, Vertriebscontrolling, Customer Relationship Management & Loyalty Management, Pricing, etc. fokussieren weniger auf eine Präsenz außerhalb des Büros, bieten aber ebenfalls viel Einsparungspotential in punkto Energie und Emissionen – Stichwort: mobiles Arbeiten oder Home Office.

Folglich sind alle Vertriebsbereiche betroffen, denn in allen Bereichen gehört der ständige Kontakt mit den Kunden zum Tagesgeschäft. Vor der Pandemie galt der Kundentermin in Präsenz als alternativlos – sowohl zur Geschäftsanbahnung als auch zur Beziehungspflege und Bestandskundensicherung. 

Doch die Pandemie hat bereits in der Methodik viel verändert: Teams & Co. haben plötzlich virtuelle Gespräche am eigenen Laptop ermöglicht, die vorher nur mit einem teuren und aufwändigen Video-Konferenzsystem möglich waren.

Der Agilität und Flexibilität unserer Vertriebsorganisationen ist es auch zu verdanken, dass sie sich an diese neuen Gegebenheiten sehr schnell angepasst und virtuellen Vertrieb sehr erfolgreich eingesetzt haben.

Dabei darf man allerdings nicht vernachlässigen, dass virtueller Vertrieb neue Herausforderungen an die Fähigkeiten der Vertriebler stellt. So sind Feedbacks und Emotionen wesentlich schwerer zu erfassen bzw. zu transportieren; und auch der übliche Small-Talk zur Beziehungspflege gestaltet sich schwieriger. Ebenfalls nicht zu vergessen ist der Vereinsamungsfaktor, fehlende Umgebungswechsel und das persönliche Treffen anderer Menschen. Insbesondere für extrovertierte Menschen – wie sie häufig im Vertrieb zu finden sind – gehört Abwechslung, aktive Kommunikation und Interaktion zum Leben, wie die Luft zum Atmen.

Die dafür notwendigen Schulungen sind in der Pandemie sehr häufig auf der Strecke geblieben bzw. ist virtueller Vertrieb in vielen Unternehmen nur als Not- oder Zwischenlösung angesehen worden, um danach wieder das „altbewährte“ System zu nutzen.

Daher verwundert es nicht, dass die aktuelle Zeit schonungslos aufdeckt, wie wenig gerade deutsche Unternehmen in die Überarbeitung und Modernisierung ihrer Systeme, Prozesse und Organisationen investiert haben. Die Beispiele reichen von einer schleppend vorangehenden Automatisierung und Digitalisierung, über häufige Dienstreisen, konventionell angetriebene Fahrzeugflotten, bis hin zum Festhalten am traditionellen Modell des Firmenwagens als Bestandteil der Vergütung.

Ist Nachhaltigkeit wirklich etwas Positives für den Vertrieb?

Für die meisten Führungskräfte und Unternehmensführungen kommt das Thema Nachhaltigkeit im Vertrieb zur Unzeit, denn der Vertrieb muss die größte Transformation seiner Geschichte vollziehen. Dabei ist eine Transformation des Vertriebs unter nachhaltigen Gesichtspunkten derzeit der einzig richtige Weg, um die Unternehmen für die Zukunft zu wappnen. Denn Nachhaltigkeit bedeutet für den Vertrieb Resilienz und Flexibilität in einem Umfeld, welches leider keine Planbarkeit mehr bietet, und in dem daher schnelle Alternativen gefunden werden müssen. Das bezieht sich nicht nur auf die Weltwirtschaftslage, sondern auch auf die immer höheren gesetzlichen Anforderungen – wie z.B. der Nachhaltigkeitsberichterstattung, EU-Taxonomie und dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) – indirekten Anforderungen durch Hersteller, Wettbewerber oder den Kunden selbst.

Diese Regelungen betreffen nicht nur Konzerne oder Unternehmen der Finanzindustrie – spätestens 2025 sind die meisten Unternehmen direkt oder indirekt betroffen: Konzern, Mittelstand, KMU.

Der Vertrieb profitiert am meisten von einer nachhaltigen und konsequenten Transformation:

  1. Den Vertrieb trifft der Fachkräftemangel härter als andere Unternehmensbereiche, da Vertrieb immer noch der Bereich mit der schlechtesten Work-Life-Balance ist, bzw. es keine klassische Vertriebsausbildung und Karrierewege gibt
  2. Kunden, deren Anforderungen in puncto Nachhaltigkeit nicht erfüllt werden, müssen und werden sich anderen Produkten, Dienstleistern, Lieferanten zuwenden
  3. Wettbewerbsvorteil als First Mover mit nachhaltigem Produkt bzw. Dienstleistung im Bestandsmarkt oder einem neuen Markt
  4. Emissions- und Zeiteinsparungen wirken sich direkt auf die Verfügbarkeit knapper und teurer Ressourcen aus – das betrifft Energie und Mitarbeitende gleichermaßen.

Die Handlungsfelder für Nachhaltigkeit im Vertrieb

In Abstimmung mit der strategischen Analyse des gesamten Unternehmens, muss auch der Vertrieb seine eigene (doppelte) Wesentlichkeitsanalyse, Bericht zu Nachhaltigkeitskennzahlen, Gap-Assessment, Risiko-Analyse, und vieles mehr durchführen.

Die grundsätzlichen Handlungsfelder in Vertriebsbereichen unterschiedlicher Branchen und Unternehmensgrößen sind sich jedoch relativ ähnlich:

  1. Automatisierung und Digitalisierung von internen Vertriebsprozessen sowie der Customer Journey – insbesondere auch unter Berücksichtigung des möglichen (späteren) Einsatzes von Künstlicher Intelligenz
  2. Regelungen zu Dienstreisen, Fahrzeugflotten-Management, Messeauftritten, nachhaltigen Bewirtungen und Kundengeschenken
  3. Neue Incentivierungs- und Vergütungssysteme im Vertrieb.

Diese Handlungsfelder erfordern ein Umdenken, Überdenken und Anpassen von tradierten Denkmustern und Prozessen – es handelt sich um eine Transformation, die ein exzellentes Change Management voraussetzt.

In den beiden folgenden Kapiteln fokussiere ich mich auf zwei Bereiche: zum einen auf die Potenziale, die mit Dienstreisen und Pendelzeiten im Zusammenhang stehen. Zum anderen darauf, wie die Incentivierungs- und Vergütungssysteme im Vertrieb Nachhaltigkeit begünstigen können.