Weniger Dienstreisen im Vertrieb – mehr Nachhaltigkeit


Weniger Dienstreisen im Vertrieb - mehr Nachhaltigkeit

Dienstreisen sind der größte Emissionstreiber im Vertrieb. In diesem Kapitel des Topthemas „Nachhaltigkeit im Vertrieb“ zeigt Christina Riess, welche Potenziale Hybrid Selling bietet und wie Unternehmen, Mitarbeitende und Umwelt davon profitieren können.

Die Pandemie hat gezeigt, dass es auch ohne Präsenztreffen möglich ist, erfolgreich Vertrieb zu machen. Dabei schätzen die Kunden auch heute noch, wenn Präsenztreffen durch digitale Lösungen oder virtuelle Meetings ersetzt werden, weil dies zu wesentlichen Effizienzsteigerung geführt hat.

Dieser Trend im B2B-Einkauf wird sich auch nicht mehr ändern, denn immer weniger Einkäufer wollen noch persönliche Einzelgespräche vor Ort mit Vertrieblern führen, weil sie schlichtweg zu zeitaufwändig für zu wenige zusätzliche Informationen sind. Hinzukommt: durch mobiles Arbeiten sind immer weniger interdisziplinär arbeitende Mitarbeitende zur gleichen Zeit im Büro – was dazu führt, dass beim Kundenbesuch nicht mehr alle Entscheider oder Ansprechpartner der Fachbereiche gleichzeitig anzutreffen sind. Das bedeutet zwar nicht das vollständige „Aus“ von Dienstreisen, jedoch eine wesentliche Reduzierung durch Fokussierung.

Hybrid ist das neue Präsenz!

Bislang ist allerdings zu beobachten, dass sich viele Unternehmen nur zwischen virtuell und Präsenz entscheiden möchten bzw. wenn alle Stricke reißen, auf Altbewährtes zurückgreifen: Präsenz. Aber: die beste Lösung liegt – wie so häufig – dazwischen: hybrider Vertrieb ist die Antwort. Die Vorteile des hybriden Vertriebs lassen sich mit Zahlen eindeutig belegen, wie die beiden Studien zu Hybrid Selling zeigen, die 2021 und 2022 als Kooperation vom Sales Management Department der Ruhr Universität Bochum und von Mercuri International durchgeführt wurden.

Grundsätzlich hängen die Digitalisierung im Vertrieb und die effiziente Nutzung von Dienstreisen unmittelbar zusammen, wenn man Innovation, Nachhaltigkeit und Effizienz im Vertrieb erreichen will.

Denn Digitalisierung im Vertrieb bedeutet neben der Digitalisierung von internen Prozessen und Abläufen auch die Gestaltung der Customer Experience und Customer Journey, wie zum Beispiel den verstärkten Einsatz von Online-Shops im B2B-Vertrieb und hybrider Vertrieb. Prof. Dr. Jan Wieseke, Lehrstuhlinhaber des Sales Management Departments fasst dies mit den Worten zusammen: „Unternehmen mit einem digitalen B2B-Vertrieb sind profitabler und wachsen schneller als der weniger digitalisierte Wettbewerb!“ (Impulsvortrag zum Neujahrsempfang 2023“ des Bundesverbandes der Vertriebsmanager e.V.; präsentiert von Dr. Matthias Huckemann, Geschäftsführer Mercuri International Deutschland am 25.01.2023)

Ist Hybrid Selling somit Teil der Antwort, um Vertrieb zu digitalisieren? Die Antwort liefert Dr. Matthias Huckemann, der Hybrid Selling wie folgt definiert: Vertriebsbereiche, wie zum Beispiel der Außendienst stehen mit dem (potenziellen) Kunden telefonisch, virtuell und in Präsenz im Kontakt – wobei jedes dieser drei Kontaktarten gleichwertig unter die aktive Verkaufszeit fällt.

Die Studie Sales Leadership 2022 (Schmitz/Huckemann (2022), Sales Leadership 2022: Stellhebel für mehr Vertriebsproduktivität und Umsetzung nach über zwei Jahren Pandemie) kommt entsprechend zu dem Ergebnis, dass die wertvollste Ressource „Zeit für den Kunden“ viel effizienter verwendet werden kann: insgesamt steht mehr Zeit für jeden Kunden zur Verfügung – insbesondere strategisch relevante Kunden profitieren hier überdurchschnittlich; sowie weniger Stress und mehr Flexibilität für die Mitarbeitenden - und nicht zu vergessen, weniger Kosten und Emissionen für Dienstreisen.

Nutzung von Nachhaltigkeitspotenzialen lässt noch zu wünschen übrig

Die Studie zeigt auch, dass nur 30 Prozent der B2B-Unternehmen nach der Pandemie ihre Besuchsplanung hybrid gestalten.

Wir sehen, auch die Pandemie hat im Grunde wenig geändert: die Umsetzung nachhaltiger Maßnahmen hinkt im Vertrieb – im Vergleich zum Beispiel zur Produktion – wesentlich hinterher. Dabei könnte Hybrid Selling und Hybrid Work nicht nur zu erheblichen Emissionseinsparungen führen, es würde auch die Effizienz und die Abschlussrate im Vertrieb steigern, wie eben diese beiden wissenschaftlichen Studien (Hybrid Selling, Sales Leadership 2022) des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesverbandes der Vertriebsmanager e.V. belegen.

Problematisch ist bei vielen Unternehmen die Umsetzung – aus vielerlei Gründen:

  1. Der Einsatz von virtuellen Besuchen erfordert gleichzeitig auch verstärkt virtuelles Führen und virtuellen Austausch der Mitarbeitenden untereinander – hierfür müssten alle Beteiligten geschult werden
  2. Die fehlende Automatisierung und Digitalisierung erfordert zwar vergleichsweise geringe monetäre Investitionen, aber dafür umso mehr Ressourcen, die aufgrund des Fachkräftemangels im Vertrieb immer schwieriger umzusetzen sind
  3. Die Umgestaltung des Travel Managements scheitert häufig an (vermeintlichen) Hürden der Umsetzung: die Einführung emissionsarmer Fahrzeugflotten wird erschwert durch fehlende Ladeinfrastruktur, lange Ladezeiten, längere Lieferzeiten der Fahrzeuge wegen Lieferproblemen. Die Nutzung alternativer Verkehrsmittel besteht im Praxistest oft nicht wegen Unzuverlässigkeit der Bahn oder längerer Reisezeiten
  4. Das Ersetzen der Komponente Firmenfahrzeug als Bestandteil der Vergütung scheitert meist an Alternativ-Angeboten der Arbeitgeber bzw. ganz grundsätzlich an der Struktur des Vergütungssystems selbst.

 Auf Punkt 4 gehe ich im nächsten Kapitel im Detail ein.

Folgen und Einsparpotentiale des hybriden Vertriebs für die gesamte Organisation

Bleiben wir daher bei den Vorteilen des hybriden Vertriebs und wie dieser gestaltet wird. Es gilt Standards zu setzen, wie von Matthias Huckemann treffend zusammengefasst: die Buying Journey des Kunden definiert den internen Verkaufsprozess, wobei hier die individuellen Präferenzen des Kunden berücksichtigt werden müssen; das funktioniert nur, wenn der Kunde mit eingebunden wird. Schlussendlich müssen Planung und Reporting um diese neue Art des Vertriebs ergänzt werden.

Diese Anpassung hat eine direkte Auswirkung auf die Anforderung, wie oft und wie lange Mitarbeitende im Büro anwesend sein müssen, denn telefonische und virtuelle Termine können ortsunabhängig stattfinden und die dafür notwendige, virtuelle Führung der Mitarbeitenden ermöglicht ebenfalls mobiles Arbeiten. Gleichzeitig schafft dies die Voraussetzung dafür, dass Mitarbeitende nicht zwangsläufig in direkter Nähe zum Arbeitgeber wohnen müssen – was das Portfolio für die Suche nach neuen Mitarbeitenden erheblich erweitert; in Zeiten von Fachkräftemangel ist das ein essenzieller Vorteil.

Daraus resultieren unmittelbar weniger Pendelaufwand und eine geringere Anzahl von Dienstreisen.

Inwiefern hängen Pendeln und Dienstreise miteinander zusammen?

In der Zukunft von New Work, Hybrid Work bzw. dem mobilen Arbeiten stellt sich für Arbeitgeber zwangsläufig ein Zusammenhang von Pendeln und Dienstreisen: Denn hierfür ist entscheidend, ob bei häufiger Remote-Arbeit überhaupt noch eine erste Arbeitsstätte vorliegt. (Steuer-) rechtlich ist dieses Thema noch nicht abschließend geklärt, aber es wird in diesem Bereich eine Anpassung geben müssen.

Warum? Wenn einem Mitarbeitenden eine erste Arbeitsstätte zugewiesen ist, dann gilt auch die – nur gelegentliche – Fahrt zum Firmensitz als Pendeln und ist somit als private An- und Abreise eingestuft; die Wahl des Verkehrsmittels obliegt dem Arbeitnehmenden und der Arbeitgeber übernimmt keine Kosten. Gleichzeitig hat der Arbeitgeber keinen Einfluss auf die daraus entstehenden Emissionen dieser Reise. Anders verhält es sich bei einer Dienstreise – dies wäre ähnlich dem Fall, wenn keine Arbeitsstätte zugeordnet wäre: hier zahlt der Arbeitgeber die Kosten für die Reise und entscheidet, mit welchen Verkehrsmitteln gereist wird.  Im Rahmen der künftig stärker ausgeweiteten Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung wird die Anpassung dieser Regelung daher an Bedeutung gewinnen: in Scope 3 werden die indirekten CO2-Emissionen, wie zum Beispiel für Geschäftsreisen, erfasst und im Nachhaltigkeitsbericht ausgewiesen; daher ist es für Unternehmen von erheblicher Bedeutung, den CO2-Fußabdruck zu beeinflussen und ausweisen zu können.

Vertrieb und Kundendienst nutzen zudem häufig firmeneigene Fuhrparks für die Besuche beim Kunden. In einigen Fällen werden auch persönliche Dienstfahrzeuge genutzt. Auf die persönlichen Dienstfahrzeuge werde ich im nächsten Kapitel eingehen, da dieses Modell Bestandteil der Vergütungssysteme im Vertrieb ist.

Bei Fahrzeugflotten gilt es zu beachten, dass die Fahrzeuge selbst und die Flotte nicht zu groß dimensioniert sind bzw. um On-Demand-Angebote, wie Mietwagen oder Zug ergänzt wird. Diese Dimensionierung ist maßgeblich davon abhängig, wo und in welcher infrastrukturellen Anbindung sich das Unternehmen befindet – zum Beispiel können Fahrzeuge, die sich in einem gewissen Umkreis bewegen und täglich wieder aufs Firmengelände kommen über eine E-Flotte abgedeckt werden; geladen über Ökostrom. Dies verbessert gleichzeitig den ökologischen Fußabdruck für Scope 1 (Geschäftsfahrzeuge) und Scope 2 (zugekaufter Strom für den Eigenbedarf).

Sobald diese Grundlagen geklärt sind, empfiehlt sich der Einsatz einer geeigneten Software, um für jede Dienstreise den CO2-Fußabdruck zu bestimmen – unter Berücksichtigung des am besten geeigneten Verkehrsmittels, verfügbaren Verbindungen, Dauer und Länge von Aufenthalten in Einklang mit den Arbeitszeitverordnungen.

Die Berechnung ist natürlich alles andere als trivial – immerhin stehen die dafür notwendigen Daten noch nicht flächendeckend zur Verfügung, da wir uns erst am Beginn der Erfassung befinden. Aber auch hier gilt: wer jetzt nicht anfängt, wird an der Transformation scheitern, da hierfür ein Kulturwechsel im Unternehmen – und insbesondere im Vertrieb – notwendig ist.