Innovationen, Lieferketten und ungewöhnliche Zweiräder
Im aktuellen E-Bike-Boom spielt Riese & Müller eine große Rolle. Haben Sie Ihren Erfolg dem gesellschaftlichen Umdenken hinsichtlich Mobilität zu verdanken?
Wir kommen ursprünglich vom klassischen Fahrrad. Alltagsmobilität war daher schon immer Teil unserer DNA. Über viele Jahre war es unsere Motivation und Mission, auch zusammen mit Verbänden, Menschen aufs Fahrrad zu bringen. Allerdings wollten die Menschen nicht einfach vom Auto zum Fahrrad wechseln. Das hat erst mit dem E-Bike funktioniert. Die Menschen merken, dass das Fahrrad vor allem auf kürzeren Strecken die bessere Mobilität ist.
Früher galten Sie eher als Nischenhersteller für spezielle Fahrradmodelle. Was war das für ein Markt vor zehn, zwanzig Jahren?
Um einen Wasserkasten mit einem normalen Fahrrad zu transportieren, muss man schon ein Freak sein. Wir waren unserer Zeit häufig voraus, etwa mit dem Modell Gemini mit zwei Kindersitzen. Doch vor zehn Jahren war es mit zwei Kindern keine Option das Fahrrad zu nutzen. Man nahm eben das Auto, bequem und mit Kofferraum. Das Produkt funktionierte nicht. Wir hatten auch früh ein E-Bike mit einem langen Gepäckträger und zwei Kindersitzen. Auch das klappte nicht, weil die Leute noch nicht so weit waren, auf das Auto zu verzichten sowie Kinder und Lasten mit dem Fahrrad zu transportieren. Wir gingen immer ein Stück voraus, ruderten manchmal wieder zurück und kamen später mit einem ähnlichen Produkt zurück auf den Markt.
Wir gingen immer ein Stück voraus, ruderten manchmal wieder zurück und kamen später mit einem ähnlichen Produkt zurück auf den Markt.
In einer Podiumsdiskussion sagten Sie, nachhaltige Mobilität müsse die bessere und bequemere Variante der Mobilität sein. Wie steht es um die Mobilitätswende in Deutschland?
Es bewegt sich etwas. Wir haben Fahrradstraßen, Fahrradwege, Schnellwege. Es gibt eine Diskussion über einen Mobilitätsmix, über E-Scooter. Wenn ich aber in die Niederlande oder nach Dänemark fahre, sehe ich dort eine ganz andere Welt. Wie Infrastruktur geplant wird, in welchem Zustand Radschnellwege sind, wie selbstverständlich bestimmte Mobilitätsformen sind. Im Vergleich dazu sind wir in Deutschland noch nicht so weit. Ideen aus der Zeit der Coronapandemie wie Pop-Up-Bike-Lanes, werden wieder zurückgenommen. Manche Dinge haben sich manifestiert, andere leider nicht.
In Deutschland lebt die Hälfte der Menschen auf dem Land. Die Mobilitätswende wird auch dort diskutiert. Kann die Fahrradbranche Lösungen für Langstrecken entwickeln?
Das Fahrrad für die Langstrecke ist klar das schnelle E-Bike, mit dem man auch dreißig Kilometer oder mehr zurücklegen kann. Das scheitert im Moment stark an der Politik, an Investitionen, aber auch an Geschwindigkeitsbegrenzungen oder Zulassungen. Schnelle E-Bikes sind in Deutschland noch nicht populär und die Radschnellwege sind darauf nicht ausgerichtet. Aber genauso, wie es Autobahnen gibt, um über Land gut und schnell voranzukommen, brauchen wir auch Radschnellwege, die das ermöglichen. Das Fahrrad kann auch im ländlichen Raum einen Beitrag leisten.
Nachhaltiges Wirtschaften: Von Lieferketten und Kreisläufen
Das Fahrrad verursacht durch Logistik und Herstellung große Emissionen, der Ressourcenverbrauch ist hoch. Was können Unternehmen tun, um effizienter und besser zu werden?
Im ersten Schritt müssen wir das Dilemma zwischen einem umweltfreundlichen Produkt, mit dem wir Menschen zu einem nachhaltigen Lebensstil befähigen, und der Produktion akzeptieren, die ähnlich ist zu jedem anderen Produkt mit einer globalen Lieferkette. Wenn wir uns nicht darauf ausruhen, dass unser Produkt bereits grün ist, dann ist der erste Schritt gemacht. Im zweiten Schritt schauen wir uns Materialitäten an. Ein E-Bike ist natürlich kritischer als ein Bio-Bike, denn es hat eine Batterie, die mit kritischen Materialien besetzt ist. Wir fragen, was wir an den Lieferketten verbessern können. Da geht es um Transportwege, aber auch um die Herkunft von Produkten. Ein wichtiger Hebel wäre, das Assembling, also die Montage bei uns vor Ort.
Ein Fokusthema in Ihrem Verantwortungsbericht ist die Nachhaltigkeit in Lieferketten. Wie können Unternehmen ihre Transparenz erhöhen?
Die Fahrradbranche ist mit etwa 120 Zulieferern und sechzig Kernkomponenten sehr komplex. Vor zwei Jahren begannen wir uns Schritt für Schritt näher mit der Lieferkette auseinanderzusetzen. Zuerst geht es um unsere direkten Zulieferer, dann um Vorlieferanten. Es ist ein mühsamer Weg, immer weiter zum Ursprung der Produkte zu kommen, aber wir arbeiten uns vor. Wir erkennen dann Themen wie das Material Aluminium, aus dem alle unsere Rahmen gefertigt sind. Wie können wir besser an die Sublieferanten herankommen und wie können wir so eine Kreislaufwirtschaft optimieren? Das alles wird eine gewisse Zeit dauern und wir werden auch Rückschritte erleben.
Es ist ein mühsamer Weg, immer weiter zum Ursprung der Produkte zu kommen, aber wir arbeiten uns vor.
Wie lassen sich Materialien erneut einem Kreislauf zuführen?
Bleiben wir beim Beispiel Aluminium: Wir arbeiten stark daran, recyceltes Aluminium und recyclefähiges Aluminium zu verwenden. Unter mehreren Rahmenlieferanten fokussieren wir uns erst einmal auf einen, der zertifiziert werden und der das Material einkaufen muss. Ganz allgemein beschäftigt sich die Branche mit der Recyclingfähigkeit von Batterien. Also mit der Frage, was mit diesen ganzen Akkus passiert, wenn sie wieder in den Kreislauf zurückkommen.
Der Wille zum nachhaltigen Unternehmen schützt vor Disruption
„Wir gingen immer ein Stück voraus“, sagten Sie zu Beginn des Gesprächs. Zeichnen sich innovative Unternehmen genau dadurch aus, auch mal früh dran zu sein?
Wir sind sehr risikofreundlich. Wenn wir von einem Konzept überzeugt sind, gehen wir davon aus, der Markt müsste das auch schon sein. Doch manchmal ist es einfach zu früh. Wir schauen auch als Unternehmen immer wieder darauf, zu welchem Zeitpunkt wir uns etwas erlauben können und wann es vielleicht zu innovativ ist.
Nach und nach werden die klassischen Fahrräder von E-Bikes verdrängt. Die Entwicklung kann aber auch noch weiter gehen. Wie schützen Sie Ihr Geschäftsmodell vor Disruptionen?
Ein Schutz vor Disruption ist die Haltung, ein nachhaltiges Unternehmen führen zu wollen. Unsere Kundinnen und Kunden fordern das ein. Aber auch die Digitalisierung und Data Management verändern den Fahrradmarkt. Fahrräder bleiben nicht mehr nur Fahrräder oder E-Bikes. Viele Neugründungen bezeichnen sich selbst eher als Softwareunternehmen, weniger als Fahrradhersteller. Wir beobachten, wohin der Markt geht, wägen aber auch ab, was nicht in unserer DNA liegt und was wir als Unternehmen mit unseren Produkten leisten können.
Wir beobachten, wohin der Markt geht, wägen aber auch ab, was nicht in unserer DNA liegt und was wir als Unternehmen mit unseren Produkten leisten können.
Was hat Nachhaltigkeit mit Innovation und ökonomischem Erfolg zu tun?
Das alles hängt sehr stark miteinander zusammen. Oft ist es nicht damit getan, ein recyceltes Aluminium statt eines nichtrecycelten zu nehmen. Manchmal muss man neu in die Innovation einsteigen, weil es dann ein anderes Materialverhalten als vorher erfordert.
Müssen Sie dann ihre Produktionsabläufe anpassen?
Ein Loch in meinem T-Shirt aus Bio-Baumwolle ist blöd, aber es wird mich nicht umbringen. Unser Produkt lebt allerdings maximal von Sicherheit. Wenn ein Fahrradrahmen zu brechen droht, weil das Material noch nicht ausreichend erforscht ist, dann kann ich das Risiko nicht eingehen und muss weiter forschen. Manchmal müssen wir uns zwischen Nachhaltigkeit und Sicherheit entscheiden. Ein nicht-nachhaltiges Material ist dann vielleicht sicherer für die Person, die unser Fahrrad fährt. Nachhaltigkeit schenkt uns die permanente Innovation, neu zu entwickeln, was schon sehr gut ist.
Welche nachhaltigen Projekte haben in der Vergangenheit nicht geklappt?
Eigentlich wünschen wir uns, dass unsere Produkte PVC-frei sind. Allerdings haben unsere Lastenräder Kinderverdecke mit Fenstern, die aus diesem Stoff bestehen. Wir sind noch in der Entwicklung und im Austausch mit Zulieferern, aber es gibt kein vergleichbares Material, das nicht schnell vergilbt, brüchig wird und nach kurzer Zeit nicht mehr funktioniert. Manchmal müssen wir einen Schritt zurückgehen und unsere Lieferanten dazu pushen, in die Entwicklung zu gehen. Viele Dinge kaufen wir nur ein, wir entwickeln sie nicht selbst. Das macht uns abhängig von der Innovationsfähigkeit unserer Lieferanten.
Nachhaltigkeit: Fehlerkultur und Technologie
Müssen Unternehmen hundertprozentig perfekt sein?
Was viele Unternehmen davon abhält, sich mit Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen, ist die Angst, Fehler zu machen und dafür bestraft zu werden. Doch wir dürfen und müssen Fehler machen. Die wird es nämlich geben. Und wir können nicht perfekt sein. Nachhaltigkeit ist eine große Transformation. Wir dürfen neue Dinge ausprobieren sowie uns und anderen Fehler zugestehen.
Nachhaltigkeit ist eine große Transformation. Wir dürfen neue Dinge ausprobieren sowie uns und anderen Fehler zugestehen.
Im Bundesverband nachhaltige Wirtschaft sind Sie seit 2021 als Vorstandsmitglied aktiv. Wie überzeugen Sie Unternehmen inmitten multipler Krisen davon, nachhaltig zu agieren?
Alle wollen besser aus einer Krise hervorgehen als sie hineingegangen sind. Vielen ist bewusst, dass es so, wie es vorher war, nicht weitergehen kann. Es ist daher umso wichtiger, dass wir auch in einer schwierigen Zeit an Nachhaltigkeit festhalten. Was jetzt getan wird, um die Wirtschaft zu fördern oder die Krise zu bewältigen, sollte sich auch darum drehen, wie sich nachhaltige Prozesse fördern und unterstützen lassen. Bei hohen Zinsen werden viele nicht mehr in neue Technologien investieren, weil die Investitionskosten zu hoch sind. Wenn wir nachhaltige Technologien für unser dauerhaftes Überleben brauchen, müssen wir sie auch in Krisenzeiten fördern.
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