Nachhaltigkeit im Handel und in der Konsumgüterindustrie

Nie zuvor waren die Herausforderungen in Sachen Nachhaltigkeit so anspruchsvoll wie aktuell. Corona und die Ukraine-Krise haben das Thema auf der Agenda der Unternehmenslenker oft nach hinten rücken lassen. Doch mittlerweile hat es für sie wieder hohe Priorität – insbesondere in der Konsumgüter- und Handelsbranche. Warum das so ist, erläutert dieser Beitrag.

Die immer noch hohe Inflation beschert vielen Unternehmen zwar Umsatzwachstum, jedoch ist der Absatz meist rückläufig und die Profitabilität sinkt. Hohe Energie- und Rohstoffkosten treiben die Verbraucherpreise und können in vielen Fällen nicht zu 100 Prozent an den Handel bzw. an den Verbraucher weitergegeben werden. Unternehmen, die nicht frühzeitig auf die ESG-Faktoren – also die Bereiche Umwelt („E“ Environmental“), Soziales („S“ Social) und verantwortungsvolle Unternehmensführung („G“ Governance) gesetzt und sowohl in nachhaltige Innovationen als auch in Digitalisierung investiert haben, riskieren den Anschluss zu verlieren – wenn sie nicht jetzt handeln.

Denn nicht zuletzt zunehmende rechtliche Vorgaben wie etwa das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) – das für deutsche Unternehmen mit mehr als 3000 Mitarbeitern schon seit dem 1.1.2023 gilt und ab 1.1.2024 für Unternehmen mit mindestens 1000 Mitarbeitern in Kraft tritt – stellen Unternehmen vor große Herausforderungen. Durch die CSDD (Corporate Sustainability Due Diligence – der europäische Rahmen des deutschen LkSG) wächst bei europäischen Unternehmen der Druck, Abläufe und Unternehmensprozesse nachhaltiger zu gestalten.

Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz stellt Unternehmen vor große Herausforderungen, wenn Datenverfügbarkeit, -Qualität und -Zugänglichkeit nicht ausreichen

Mit dem deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz will die Bundesregierung über die Lieferketten von in Deutschland tätigen Unternehmen Menschenrechte und Umwelt schützen. Unternehmen, die seit Jahrzehnten ein nachhaltiges Geschäftsmodell betreiben, das im Einklang mit Natur und Mensch ist, haben hier die wenigsten Probleme in der Umsetzung. Doch viele Unternehmen haben erst in den letzten Jahren angefangen, Nachhaltigkeit als strategisches Unternehmensziel zu verankern. Nachhaltigkeit ist auch immer ein Prozess, der auf ein langfristiges Umdenken ausgerichtet ist.

Was ist wichtig und welche Erkenntnisse gibt es bereits?

Das Wissen darüber, wo und in welchem Rahmen etwas produziert wird – beispielsweise unter fairen Bedingungen und mit einer angemessenen Entlohnung – ist heutzutage von hoher Bedeutung. Vielen Unternehmen fehlt jedoch die Transparenz ihrer kompletten Wertschöpfungskette. Denn die komplette Wertschöpfungskette schließt sowohl die vorgelagerte Lieferkette – das heißt, indirekte Geschäftsbeziehungen wie Lieferanten – als auch die nachgelagerte Lieferkette – das heißt, indirekte Geschäftsbeziehung wie die des Endkunden – mit ein. Es gilt am Ende, den CO2-Ausstoß in der gesamten Lieferkette zu verringern.

Daher müssen Unternehmen ihre Bemühungen um Digitalisierung und Automatisierung entlang der Liefer- und Wertschöpfungskette vorantreiben, um ihren Sorgfaltspflichten nachzukommen. Vor allem für global agierende Unternehmen sind die Herausforderungen aufgrund von komplexen Produktionsbedingungen und weltweit verzahnten wirtschaftlichen Aktivitäten hoch. Abgesehen von den erforderlichen Umstellungen im Einkauf und der notwendigen Vertragsanpassung bei den Lieferanten, müssen Audits und idealerweise Lieferantenbesuche aufgesetzt werden, um sicher zu sein, mit nachhaltigen Lieferanten zusammenzuarbeiten. Für eine nachhaltige Transformation ist vor allem die Digitalisierung eines der Kernelemente und der Enabler – das heißt, der Möglichmacher – für Nachhaltigkeit. Die End-to-End-Sichtbarkeit und Planbarkeit ist sehr wichtig. Es müssen sowohl die IT bzw. Dateninfrastruktur aufgebaut als auch die Planungssysteme entsprechend abgebildet werden. Echtzeit-Datenmanagement spielt in der gesamten Lieferkette eine wichtige Rolle. Die Transparenz der Daten zeigt auf, welchen CO2-Ausstoß die Produkte generieren und was dann für den Kunden auf dem Produkt ausgewiesen wird.

Wie gelingt der Weg zur Klimaneutralität und was ist für viele Unternehmen noch eine Black Box?

Die fünf Schritte im Klimaschutz beginnen mit der Berechnung der Emissionen für das eigene Unternehmen oder der hergestellten Produkte. Für die CO2-Bilanz eines Unternehmens, den sogenannten Corporate Carbon Footprint (CCF), werden Emissionsquellen nach Scope 1, 2 und 3 erfasst.

Die eigene klimaneutrale Produktion auch mittels Einkauf von grüner Energie ist für Unternehmen schon heute machbar – das heißt, Klimaneutralität nach Scope 1 (direkte Freisetzung klimaschädlicher Gase im eigenen Unternehmen) und Scope 2 (indirekter Freisetzung klimaschädlicher Gase durch Energielieferanten wie Strom). Doch bedarf es hierzu Investitionen in neue Anlagen mit weniger Energieverbrauch sowie Umstellung auf Wärmepumpen bzw. auf den Verbrauch von erneuerbaren Energien. Die Dekarbonisierung der eigenen Prozesse ist von großer Relevanz. Den eigenen Strombedarf durch erneuerbare Energien wie eigene Solaranlagen und Windenergieanlagen größtenteils zu decken, ist dabei ein möglicher Weg. Nachhaltig ausgerichtete Unternehmen könnten so bald 50 Prozent ihres Strombedarfs abdecken.

Die größte Herausforderung stellt allerdings der Scope 3 dar. Dieser umfasst die indirekte Freisetzung von klimaschädlichen Gasen in der vor- und nachgelagerten Wertschöpfungskette. Das sind für viele Hersteller in der Konsumgüterindustrie die Rohmaterialien und die Verpackung, die oft über 90 Prozent des CO2-Ausstoßes ausmachen. Dies hat zur Folge, dass die nachhaltige Transformation nicht nur die Änderung der eigenen Produktionsprozesse umfasst, sondern auch die der Verpackung, die Änderung der Formulierung des Inhaltes bzw. der Rezeptur. Hier ist das richtige Zusammenspiel zwischen dem Herstellungsprozess, der Verpackung und dem Produktinhalt entscheidend.

Nachhaltig ausgerichtete Unternehmen setzen sich das Ziel, bis zum Jahr 2030 nach Scope 3 komplett klimaneutral zu sein (direkte und indirekte Emissionen). Eine der größten Herausforderungen hierbei ist es, die entsprechenden Lieferketten vor- und nachgelagert in der gesamten Supply Chain mit den jeweiligen Geschäftspartnern aufzubauen. Hier setzt die Kreislaufwirtschaft an. Denn Innovation bedeutet in diesem Kontext, dass Unternehmen es schaffen, die Produkte die sie herstellen auch selbst wieder zu recyclen und zudem den CO2-Verbrauch beim Transport zu reduzieren. Bei Kunststoff-Einwegflaschen ist das heute schon möglich.

Zuerst geht es immer um Öko-Effektivität und die Frage: Was ist das Richtige?

Für die Neuentwicklung und Optimierung wird von nachhaltig ausgerichteten Herstellern das Prinzip der 4R‘s angewandt: Reuse, Reduce, Recycle, Replace. Jedoch geht es im ersten Schritt nach dem Cradle-to-Cradle Prinzip (ein Ansatz für eine durchgängige und konsequente Kreislaufwirtschaft) immer um Öko-Effektivität und die Frage: Was ist das Richtige?

Bei der strategischen Produktentwicklung muss die Kreislaufwirtschaft von Anfang an eingeplant werden und nicht erst am Ende, wenn das Produkt bereits entworfen und hergestellt ist. Die Einbindung im gesamten Unternehmensprozess ist entscheidend. Vor allem die Bereiche Marketing und Forschung & Entwicklung zusammen mit dem Lieferketten-Management sind hier verantwortlich, den Innovationsprozess konsumentenzentriert nachhaltig im Unternehmen zu führen. Als Beispiel sind Produkte zu nennen, deren Kunststoffverpackung – wie zum Beispiel bei einem Duschgel die Verpackung inklusive Verschluss – aus 100 Prozent recyceltem Material besteht und auch die Rezeptur biologisch abbaubar ist. Hier spricht man auch von einem klimaneutralen Produkt. Viele Kunststoffverpackungen können nicht überall gut recycelt werden, das heißt, sie werden aufgrund mangelnder Recyclingsysteme verbrannt.

Ein gutes Beispiel ist daher, alternativ auf 100 Prozent papierbasierte Verpackungen oder Verpackungen aus nachwachsenden Rohstoffen zu setzen, wenn der Produktinhalt damit ausreichend geschützt wird. Ein weiteres Beispiel sind Nachfüllpackungen für Haushaltsreiniger oder Shampoo. Damit lassen sich rund 70 Prozent Plastik einsparen. Die Original Kunststoff-Flasche kann wiederverwertet werden und der Nachfüllpack braucht viel weniger Plastik.

Zum Teil gibt es auch schon Angebote, Flaschen in den Geschäften nachzufüllen oder Konzentrate mit Wasser aufzufüllen. Bisher zeigen allerdings Verkäufe und Markttests, dass Konsumenten diese Produktangebote je nach Produktkategorie nicht ausreichend nachfragen. Mit der Konsequenz, dass auch das Angebot hierzu noch nicht allzu groß ist.

Ein weiterer nicht zu vernachlässigender Aspekt ist, dass Endkunden bzw. Konsumenten aufgrund der aktuell angespannten Marktsituation wenig Bereitschaft zeigen, für nachhaltige Produkte auch mehr Geld auszugeben. Denn in vielen Fällen sind nun mal Investitionen in Nachhaltigkeit notwendig. Abgesehen von den Umstellungskosten, in der Produktion auf neue technische Anlagen und auf erneuerbare Energien zu gehen, die weniger Abfall und Emissionen verursachen, sind nachhaltige Rohstoffe oft teurer. Darüber hinaus auch die Logistik, wenn sie klimaneutral wie etwa mit E-Mobilität ausgestattet sein soll. So kosten beispielsweise aus Rezyklat hergestellte Produkte mehr als jene, die nur aus neuem Kunststoff bestehen. Doch Recycling-Kunststoff verursacht nur ein Zehntel der Treibhausgasemissionen von sogenanntem Virgin Material, das heißt neu hergestelltem Kunststoff. Dies ist auch der Grund, weshalb nachhaltig ausgerichtete Markenhersteller mit Sorge auf das zunehmende Wachstum von preiswerten Eigenmarken des Handels schauen bzw. auf die hohe Nachfrage von Produkten, die nicht den Nachhaltigkeitsansprüchen genügen. Denn die wenigsten Konsumenten sind leider bereit, für Nachhaltigkeit mehr zu bezahlen.

Erfolgreiche Unternehmen setzen trotz angespannter Marktlage auf Nachhaltigkeit, denn es gibt kein Weg zurück

Die aktuelle Kosteninflation erschwert es vielen Unternehmen an ihrer Nachhaltigkeitsagenda festzuhalten. Umso wichtiger ist es, die Kosten an Handel und Konsument weiterzugeben. Wer im Vertrieb nicht das richtige Management hat, die anspruchsvollen Gespräche und Verhandlungen im Handel dafür zu führen, läuft in eine Sackgasse. Auch die Glaubwürdigkeit gegenüber den eigenen Mitarbeitern wird aufs Spiel gesetzt, wenn Nachhaltigkeit nicht oben auf der CEO-Agenda steht. Ein gewisser Anteil von Investitionen muss daher immer auf Nachhaltigkeit ausgerichtet sein. Nachhaltigkeitsprojekte sind gut und richtig, doch kommt es darauf an, Nachhaltigkeit in die Geschäftsprozesse und in die Unternehmenskultur zu verankern. Denn nur auf eine nachhaltige Zukunft ausgerichtete Unternehmen haben es am Ende leichter, neue Mitarbeiter und Talente zu gewinnen. Dies gilt sowohl für mittelständische Unternehmen wie auch für Unternehmen, die am Kapitalmarkt orientiert sind.