Dekarbonisierung: Schritte zum klimaneutralen Unternehmen

Bis 2050 soll die Welt gemäß dem Klimaziel der Vereinten Nationen „klimaneutral“ sein. Dekarbonisierung wird für Unternehmen immer wichtiger –nicht zuletzt auch aus Kostengründen. Dr. Alexandra Hildebrandt stellt in diesem Beitrag zwei konkrete Praxisbeispiele für Schritte auf dem Weg zum klimaneutralen Unternehmen vor.

Die Europäische Union hat sich zum Ziel gesetzt, Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen. Das Klimaschutzgesetz in Deutschland schreibt eine Treibhausgasneutralität bis 2045 vor. Damit dieses Ziel erreicht werden kann, werden innerhalb der nächsten Jahre weitreichende Maßnahmen und grundlegende Veränderungen im Wirtschaftsleben benötigt. Der zentrale Begriff im aktuellen Nachhaltigkeitsdiskurs ist daher Klimaneutralität. Die Zeitpläne und Schritte dahin weichen zwischen den Branchen und den einzelnen Unternehmen stark voneinander ab. Die Bemühungen müssen deshalb für jedes Unternehmen einzeln analysiert und bewertet werden.

Derzeit befinden sich viele Unternehmen noch am Anfang. CO2-Kompensation wird häufig als einziges Mittel verwendet, um damit einen klimaneutralen Zustand zu erreichen. Doch Kompensationsmaßnahmen können Net-Zero-Strategien lediglich ergänzen und verbessern. Sie gelten aber nicht als Ersatz für wissenschaftlich fundierte Emissionsreduktionspfade. Daher sollten sie nur zusätzlich in der Übergangsphase bis zur Zielerreichung eingesetzt werden, um Restemissionen auszugleichen. Grundsätzlich gilt für Klimaschutzmaßnahmen entsprechend dem internationalen Standard PAS 2060 die Reihenfolge: vermeiden, verringern und erst dann kompensieren.

„Ohne Frage ist das Erreichen von Klimaneutralität eine wichtige Maßnahme, um die Auswirkungen des Klimawandels noch halbwegs in den Griff zu bekommen. Dabei aber vorwiegend auf Kompensation zu setzen, wird in eine Sackgasse führen. Und Kompensation darf kein Freibrief für bewusst klimaschädliches Handeln von Unternehmen sein.“ Lothar Hartmann, Nachhaltigkeitsmanager bei der memo AG

Greenwashing vs. Greenhushing

Der europäische Green Deal enthält die Zusage, gegen falsche Umweltaussagen vorzugehen. Die EU-Kommission reagierte auf die zunehmende Bedeutung und Anwendung nachhaltigkeitsbezogener Produktkommunikation und deren Auslegungsmöglichkeiten mit einem neuen Richtlinienentwurf. Am 22. März 2023 stellte sie einen angepassten Entwurf für eine „Green Claims Directive“ vor. Bei Verstößen gegen die Richtlinie können Sanktionen verhängt werden. Die Höhe der Bußgelder hängt unter anderem von der Schwere des Verstoßes und der Unternehmensgröße ab. Die maximale Geldstrafe kann bis zu zehn Prozent des weltweiten Jahresumsatzes des Unternehmens betragen. Deshalb agieren einige Unternehmen derzeit vorsichtiger bei ihrer öffentlichkeitswirksamen Selbstdarstellung – oder gar nicht. Es handelt sich hier um das Gegenteil von Greenwashing: Greenhushing (grünes Schweigen).

Vorausschauende Unternehmensführer:innen wissen allerdings, dass eine Verzögerung von Maßnahmen zur Emissionsreduzierung kostspielig sein wird, da die Kosten für die Bekämpfung des Klimawandels mit jedem verstrichenen Jahr nur weiter ansteigen. Für einen effektiven Klimaschutz und den Nachweis der Klimaneutralität ist Messen eine Grundvoraussetzung: um zu steuern, um zu berichten und zur Wirkungskontrolle.

Dazu sollte festgelegt werden:

  • welche klimarelevanten Aspekte gemessen werden sollen
  • wie Ziele formuliert und Maßnahmen ausgestaltet sein sollen
  • wie dies mit der vorhandenen Messarchitektur zu verbinden ist beziehungsweise welche Ergänzungen erforderlich sind.

Praxisbeispiel 1: "Klima-Canvas" bei Mader

Kleine Unternehmen können schnell klimaneutral werden, denn die wichtigsten Emissionsquellen sind einfach und wirkungsvoll umzusetzen. Das zeigt das Beispiel der Mader GmbH & Co. KG: Bereits 2009 erkannte die Unternehmensleitung, dass sich das Unternehmen neu aufstellen muss, um seine Zukunft zu sichern. Im Fokus sollte der gesamte Druckluftprozess stehen. Zu Beginn waren energieeffiziente Dienstleistungen, die schrittweise entwickelt wurden, bei vielen Kunden noch nicht gefragt. Ein erster Wandel folgte dem Reaktorunfall in Fukushima und dem damit verbundenen Beschluss der damaligen Bundesregierung, aus der Kernkraft auszusteigen. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung und stetig steigender Energiepreise konnte ein deutlicher „Klimawandel“ in den Unternehmen beobachtet werden. Ihren Weg zu einem klimaneutralen Unternehmen skizzieren sie in Form des „Klima-Canvas“:

  • Mehrwert der Klimaneutralität
  • Infrastruktur und Rahmenbedingungen, um den angestrebten Mehrwert zu generieren
  • Stakeholder
  • Finanzen

„Der Entschluss, sich auf den Weg zur Klimaneutralität zu machen, ist hier auf oberster Entscheidungsebene gefallen – dies geschah auf struktureller, strategischer als auch auf operativer Ebene“, bemerken Stefanie Kästle (Mitglied der Geschäftsführung), Ulrike Böhm (Changemanagement) und Julia Sulzberger (Personalleiterin) bei Mader.

„Kern einer Klimastrategie sollte es immer sein, CO2-Emissionen zu vermeiden und zu reduzieren. Erst danach sollten Ersatzmaßnahmen oder Kompensationen, die sich nicht vermeiden lassen, erfolgen.“ Stefanie Kästle, Mitglied der Geschäftsführung Mader GmbH & Co. KG

In kleineren Unternehmen gibt es meist keine hochkomplexen Wertschöpfungsketten. Bei Großunternehmen sind das CO2-Minderungspotenzial und der Handlungsdruck weitaus höher – allerdings ist die Aufgabe auch viel komplizierter.

Praxisbeispiel 2: Komplexe Lieferketten bei Metro

Gerade bei einem Handelsunternehmen wie Metro, das die Handelsware, Food und Nonfood, lokal, regional, national, international und teilweise weltweit auch von vielen kleineren Produzenten einkauft, ist der CO2-Fußabdruck der Handelsware größer als der eigene Fußabdruck durch den Handelsbetrieb. Durch die Komplexität der Produktionsketten und Distribution durch die Lieferantenpartner ist er nur mittelbar zu beeinflussen. Das Unternehmen hat sich das Ziel gesetzt: Null Emissionen im eigenen Geschäftsbetrieb bis 31.12.2040.

„Ein solches strategisches und langfristiges Klimaschutzziel wird nicht zufällig gesetzt, sondern in vielen Gesprächen, Diskussionen, Berechnungen, Meetings und Abstimmungen entwickelt“, sagt Olaf Schulze, Director Energy Management/Real Estate Sustainability Metro Properties Holding GmbH. „Getragen von dem Gedanken, unsere eigenen CO2-Emissionen vor allem dort, wo wir die End-to-end-Verantwortung haben, auf null zu reduzieren, haben wir 2022 beschlossen, die Emissionen aus der eigenen Logistik, und zwar sowohl Verteillogistik mit schweren LKW als auch die Zustelllogistik zu unseren Kunden, die Food Service Distribution (FSD), bis 2040 zu eliminieren. Als 2021 das Klimaziel 2040 beschlossen und veröffentlicht wurde, hatten wir die Green Logistic noch in der Analyse.“

Die Bedeutung der Lieferkette

Um Emissionen zu verringern, ist vor allem die Lieferkette von Bedeutung. Sie muss deshalb zum elementaren Teil der eigenen Dekarbonisierungsstrategie gemacht werden, indem auch lokale Wertschöpfungsketten wieder gestärkt werden. Vor allem aber ist für viele Unternehmen eine Erneuerung ihrer Prozesse unumgänglich, denn etliche Lieferkettenstrategien sind heute nicht mehr geeignet für die aktuellen und künftigen Anforderungen. Unternehmen müssen den Überblick über die gesamte Wertschöpfungskette bis zur Rohstoffgewinnung erhalten, definieren, wo wesentliche Nachhaltigkeitsthemen und Handlungsfelder liegen, und ob und wie ein Unternehmen auch die eigenen Lieferanten zu mehr Nachhaltigkeit in ihren Produktionsprozessen bewegen kann. Folgende Schritte können dabei hilfreich sein:

  • Beurteilung des Ist-Zustands
  • Definition des Zielbilds, einer Roadmap sowie der zukünftigen Logistikprozesse
  • Wissensaufbau über die Möglichkeiten, Einschränkungen und Risiken, die mit der Implementierung verschiedener fortschrittlicher Logistiksysteme verbunden sind
  • Investitionen in klimaneutrale Technologien und Auswahl der Technologie- und Implementierungspartner
  • Ergebnisverfolgung und kontinuierliche Optimierung.
  • Kommunikation und Sensibilisierung der Lieferanten.

Großunternehmen benötigen deshalb auch mehr Zeit, um sich klimaneutral aufzustellen.

Ein Großteil der Ursachen für CO2-Emissionen entsteht nicht in Scope 1 und Scope 2, sondern nachweislich fallen bis zu 90 Prozent der Emissionen eines Unternehmens auf Scope 3.

Scope 1 umfasst alle direkten THG-Emissionen, die aus der eigenen Geschäftstätigkeit eines Unternehmens resultieren.

Scope 2 umfasst die indirekten THG-Emissionen, die aus der Erzeugung der von einem Unternehmen beschafften Energie resultieren, die leitungsgebunden sind.

Scope 3 umfasst alle sonstigen indirekten THG-Emissionen, die aus vor- und nachgelagerten Unternehmenstätigkeiten resultieren (erworbene Produkte und Dienstleistungen Dritter entlang der gesamten Wertschöpfungskette). Unternehmen können die CO2-Emissionmeen von Scope 3 nicht vollständig selbst reduzieren.

Empfehlungen:

  1. Unternehmen sollten sich zunächst einen Überblick über den Weg zur eigenen Klimaschutzstrategie verschaffen. Dazu werden zahlreiche Hintergrundinformationen benötigt (gestaffelte Vorgehensweise).
  2. Um rasch voranzukommen und die Methodik der Datenerfassung im Unternehmen zu erarbeiten, empfiehlt es sich, zunächst an einem Standort oder mit einer gesellschaftsrechtlichen Einheit zu starten. Anschließend sollte über den Umfang der Datenerhebung entschieden werden.
  3. Alle Kategorien aus Scope 1, 2 und 3 des Greenhouse Gas Protocols sollten ermittelt werden.
  4. Konsequente Umsetzung möglicher Energieeffizienzmaßnahmen. Erarbeitung der Vermeidungs- und Reduktionsstrategie: Empfehlenswert ist die Anwendung der Methodik der Science Based Targets Initiative (SBTi). Berücksichtigt werden ausschließlich Maßnahmen, die zu einer Vermeidung oder Reduktion von Treibhausgasemissionen beitragen.
Schlagworte zum Thema:  Klimaschutz, Emission