Seit der Jahrtausendwende verschiebt die Volksrepublik China langsam ihren Fokus – von „Wachstum um jeden Preis“ hin zu einem nachhaltigeren, ESG-orientierten Ansatz. Die Zentralregierung reagiert damit auf die hohen direkten und indirekten Kosten für die Beseitigung von Luft-, Wasser- und Bodenverschmutzung sowie den wachsenden Unmut über umweltbedingte Erkrankungen. Inzwischen hat sie einer nachhaltigeren Entwicklung Vorrang eingeräumt und wichtige praktische und rechtliche Schritte unternommen, um Umwelt-, Sozial- und Unternehmensführungsziele (Environmental, Social and Governance, ESG) zu erreichen.
Seit 2013 befassen sich die Arbeitsberichte der Zentralregierung mit ESG-Themen. 2015 erklärte das 18. Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) auf seiner 5. Plenartagung eine nachhaltige Entwicklung Chinas zum nationalen Ziel. 2020 folgte das Bekenntnis Chinas zu Nachhaltigkeit – festgeschrieben im 14. Fünfjahresplan. Während einige europäischen Staaten über eine Verschiebung ihrer CO₂-Ziele diskutieren, bekräftigte Xi Jinping vor einem Kreis globaler Führungspersönlichkeiten im April 2025 Chinas Zeitplan für CO₂-Reduzierung. Bis 2035 will die Regierung ihre ESG-Bemühungen verstärken und eine „grüne Produktion“ aufbauen, die Kohlenstoffemissionen weiter senken und den Umweltschutz verstärken.
Angesicht dieser ehrgeizigen ESG-Ziele ist in naher Zukunft mit verschärften regulatorischen Anforderungen zu rechnen. In China tätige Unternehmen, auch mit ausländischer Beteiligung, sollten regulatorische Entwicklungen und ESG-Trends aufmerksam verfolgen, um rechtzeitig Maßnahmen ergreifen und ihre ESG-Compliance sicherstellen zu können.
Aktueller ESG-Rechtsrahmen in China
Aus rechtlicher Sicht bedeutet ESG-Compliance die Einhaltung verbindlicher Rechtsnormen in den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Diese Normen finden sich unter anderem in Gesetzen, Verordnungen und nationalen Standards. Bei Verstößen drohen Sanktionen.
Beispiele für allgemeine ESG-Bestimmungen auf nationaler Gesetzesebene: Das Umweltschutzgesetz verpflichtet Unternehmen, dem Umweltschutz Priorität einzuräumen und Umweltverschmutzung zu vermeiden. Das Arbeitsgesetz verlangt Arbeitssysteme, mit denen Unternehmen unter anderem Legalität und Gleichberechtigung in der Organisation gewährleisten. Auch das Verbraucherschutzgesetz und das Werbegesetz enthalten ESG-Vorgaben, die sogenanntes Greenwashing mit Sanktionen belegen.
Erstmals in Chinas Geschichte wurden ESG-Bestimmungen im novellierten Gesellschaftsgesetz aufgenommen, das am 1. Juli 2024 in Kraft getreten ist. Demnach sollen Unternehmen bei ihrer Betriebstätigkeit auch die Interessen von Mitarbeitenden, Verbrauchern und anderen Stakeholdern sowie den Umweltschutz berücksichtigen – und soziale Verantwortung übernehmen. Das neue Gesellschaftsgesetz sieht außerdem vor, Unternehmen zur Veröffentlichung von Berichten über ihre soziale Verantwortung zu ermuntern.
Chinesische EHS-Vorschriften
Kern der ESG-Compliance ist das sogenannte EHS-Regime (Environment, Health, and Safety). Es umfasst Vorschriften zu Umweltschutz, Sicherheit am Arbeitsplatz und öffentlicher Gesundheit. Zu den grundlegenden EHS-Vorschriften zählen das Umweltschutzgesetz, das Wasserverschmutzungsschutzgesetz, das Arbeitssicherheitsgesetz und das Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Berufskrankheiten. Ergänzt werden sie durch spezifische ESG- und EHS-Anforderungen sind darüber hinaus in spezifischen ESG- und EHS-Anforderungen in zahlreichen Durchführungsverordnungen und nationalen Standards.
ESG-bezogene Strategien von Behörden, Branchenverbänden und Selbstregulierungsorganisationen bestehen hauptsächlich aus Leitlinien, Anreizsystemen und buchstäblich Hunderten von nationalen Standards – mit Schwerpunkt auf Umweltschutz, Energieverbrauch und Treibhausgasberichterstattung. So gibt etwa die Leitlinie zur sozialen Verantwortung (GB/T 36000) Unternehmen Hinweise, wie Praktiken der sozialen Verantwortung zu fördern und umzusetzen sind. Die Leitlinie für Compliance-Management-Systeme (GB/T 35770) befasst sich mit Compliance-Management, Risikomanagement und anderen Fragen der Unternehmensführung.
Offenlegungs- und Berichtspflichten in China
Ein weiterer Aspekt der ESG-Compliance sind die Offenlegungs- und Berichtspflichten. China verfügt zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels (noch) über keinen umfassenden rechtlichen Rahmen für die ESG-Berichterstattung. Berichtspflichten gelten bislang nur für bestimmte Branchen, etwa die Finanz- und Versicherungsbranche sowie börsennotierte Unternehmen.
Für nicht-börsennotierte Unternehmen – darunter die große Mehrheit der ausländisch-investierten klein- und mittelständischen Unternehmen (KMU) in China – ist die ESG-Offenlegung grundsätzlich freiwillig. Sie wird vor allem durch sogenannte „Green Investments“ und andere marktbasierte Maßnahmen gefördert. Bestimmte Unternehmen müssen laut den „Maßnahmen zur Offenlegung von Umweltinformationen“ jedoch zwingend Umweltinformationen offenlegen. Diese Unternehmen umfassen:
- Große Schadstoffemittenten (In den jeweiligen Listen aufgeführte Unternehmen, zum Beispiel 2023 Shanghai List of Key Units for Environmental Supervision),
- Unternehmen, die sich im Rahmen der Maßnahmen zur Überprüfung der umweltfreundlichen Produktion (Clean Production Audit Measures) obligatorischen Audits unterziehen müssen (das sind Unternehmen, (1) deren Schadstoffemissionen die nationalen oder lokalen Emissionsnormen überschreiten oder die zwar die nationalen oder lokalen Emissionsnormen nicht überschreiten, aber die Kontrollindikatoren für die Emissionen der wichtigsten Schadstoffe überschreiten; (2) deren Energieverbrauch pro Produkteinheit die Energieverbrauchsnormen überschreitet und die als Unternehmen mit hohem Energieverbrauch eingestuft werden; (3) die giftige und gefährliche Rohstoffe für die Produktion verwenden oder bei der Produktion giftige und gefährliche Stoffe ausstoßen) und
- börsennotierte Unternehmen, einschließlich derer Tochtergesellschaften und Unternehmen, die Anleihen ausgeben, sofern diese im Vorjahr wegen Umweltverstößen sanktioniert worden sind.
Da es aktuell keine einheitlichen nationalen Offenlegungsstandards gibt, greifen KMU in China oft auf internationale Standards zurück. Dies erschwert jedoch die behördliche Überprüfung, Bewertung und Regulierung der ESG-Informationen. Die Folge: uneinheitliche Behördenpraxis, eingeschränkte Vergleichbarkeit und begrenzte Aussagekraft der ESG-Rankings und Ratings.
Die Nachfrage nach ESG-Informationen wächst – insbesondere von Stakeholdern der betroffenen Unternehmen wie Investoren, Banken, Kunden und Regulierungsbehörden. Auch der Ruf nach einheitlichen und vergleichbaren ESG-Berichtsstandard in China wird immer lauter.
Um die ESG-Offenlegungspraktiken in China zu vereinheitlichen und Unternehmen einen klaren Rahmen für nachhaltigkeitsbezogene Berichte zu geben, veröffentlichte das chinesische Finanzministerium am 17. Dezember 2024 in Zusammenarbeit mit acht weiteren Behörden die „Grundlegenden Standards für die Offenlegung der Informationen über Unternehmensnachhaltigkeit“ (hier nun „Standards“ genannt).
Die Standards basieren einerseits auf internationalen ESG-Rahmenwerken – etwa dem ISSB IFRS S1 – und integrieren praktische Erfahrungen mit deren Anwendung. Andererseits verfolgen sie einen „China-zentrierten“ Ansatz: Internationalen ESG-Standards werden an die wirtschaftlichen, rechtlichen und institutionellen Gegebenheiten Chinas angepasst.
Gemäß den Standards müssen ESG-Informationen grundsätzlich folgende Kernelemente enthalten:
- Governance: Strukturen, Kontrollmaßnahmen und Verfahren zur Verwaltung und Überwachung von ESG-bezogenen Risiken und Chancen,
- Strategie: Planungen, Strategien und Methoden des Unternehmens zur Verwaltung von ESG-bezogenen Risiken und Chancen,
- Management: Prozesse zur Identifizierung, Bewertung, Priorisierung und Überwachung von ESG-bezogenen Risiken und Chancen,
- Indikatoren und Ziele: Kennzahlen zur Messung der ESG-Leistung des Managements sowie unternehmenseigene und gesetzliche vorgegebene ESG-Ziele.
Das Finanzministerium hat angekündigt, bis 2027 weitere grundlegende Standards zu erlassen und bis 2030 ein einheitliches System für die ESG-Berichterstattung zu etablieren. Dieses ESG-Ökosystem soll aus Grundstandards, spezifischen Fachstandards sowie allgemeinen und branchenspezifischen Anwendungsleitlinien bestehen.
Die Einführung der ESG-Offenlegungspflichten soll schrittweise erfolgen – von börsennotierten Unternehmen zu nicht börsennotierten Unternehmen, von Großunternehmen zu KMU, von qualitativen zu quantitativen Anforderungen und von freiwilliger zu obligatorischer Berichterstattung. Ab 2030 ist mit einer landesweit verpflichtenden ESG-Berichterstattung zu rechnen.