Nudging macht sich Erkenntnisse aus der Verhaltensökonomie und der psychologischen Entscheidungsforschung zunutze, weshalb ein Exkurs über menschliches Entscheidungsverhalten zum besseren Verständnis der Nudging-Philosophie folgt.

Wie Menschen theoretisch handeln

Menschen handeln rational, vernünftig, vorausschauend und nutzenmaximierend auf der Basis vollständiger Informationen. Diese Parameter bestimmen, wie ein Mensch sich für oder gegen eine Verhaltensalternative entscheidet und in Konsequenz entsprechend verhält.

Das Bild des Homo oeconomicus, welches bis Mitte des 20. Jahrhunderts die Denkrichtung der Verhaltensökonomie als Teilgebiet der Wirtschaftswissenschaften über menschliches Entscheidungsverhalten beherrschte, ließ sich jedoch nicht halten.

Wie Menschen praktisch handeln

Menschen verhalten sich keineswegs immer so, dass sie die beste Option bei verschiedenen Verhaltensalternativen für sich wählen. Sie verhalten sich oft irrational, unvernünftig und dem eigenen Wohlergehen zuwiderhandelnd. Dafür gibt es viele Beispiele:

  • Der Mensch raucht.
  • Der Mensch ernährt sich ungesund.
  • Der Mensch bewegt sich zu wenig.
  • Der Mensch konsumiert berauschende Substanzen.
  • Der Mensch liebt schnelles Fahren.
  • Der Mensch mag Risikosportarten.
  • Der Mensch arbeitet nicht immer sicherheitskonform.

Auch mit den begrenzten Ressourcen der Umwelt geht er nicht pflegsam um. Die aktuelle Klimadebatte ist ein deutliches Beispiel dafür.

Diese gesundheitsgefährdenden und umweltschädigenden Verhaltensweisen treffen natürlich nicht auf alle Menschen zu, doch auf so viele, dass sich die Verhaltenswissenschaften mit der Paradoxie des menschlichen Verhaltens intensiver beschäftigten. Sie suchen und haben Faktoren gefunden, die jenseits eines rationalen Kosten-Nutzen-Kalküls Einfluss auf Entscheidungen haben. Auch das menschliche Denken trägt dazu bei, dass oft reflexhaft, ohne großes Nachdenken entschieden und gehandelt wird.

3.1 Denken in Systemen

Daniel Kahneman, ein Kognitionspsychologe, der menschliches Urteils-und Entscheidungsverhalten erforscht hat, unterscheidet zwei unterschiedliche Arten des Denkens und ordnet beiden Denkarten Systeme zu:

  • System 1: Das automatische System erlaubt schnelles und intuitives Denken, geschieht mühelos und automatisch, ist affektgesteuert und wird meist in Alltagssituationen angewendet. Wir entscheiden und handeln oft auf der Grundlage unvollständiger und widersprüchlicher Informationen und kommen dadurch schnell zu einem Urteil.
  • System 2: Das reflektierte System erlaubt durchdachte und bewusste Entscheidungen. Es ist ein langsames Denken, das dann geschieht, wenn wir keine unmittelbare Antwort auf ein Problem haben und nachdenken müssen. Damit System 2 aktiviert wird, müssen wir uns willentlich dazu entscheiden.
 
Praxis-Beispiel

Denken in System 1 und 2

Nehmen wir den berühmten Säbelzahntiger, der vor zwei Höhlenmenschen auftaucht. Während jener, der in Millisekunden reagiert und flieht, wahrscheinlich derjenige ist, der überlebt, wird der andere, der reflektiert, was nun geschehen könnte, das wahrscheinlich nicht tun.

Oder: Berechnen Sie 2+2 (System 1) und 15x53 (System 2).

Dieses schnelle, reflexhafte Denken im System 1, was wir ja fast ausschließlich tun, ist subjektiv und fehleranfällig: wir verlassen uns auf Instinkte, Gewohnheiten und Emotionen. Der Nachteil ist, dass solche Entscheidungen auch zu unguten und suboptimalen Entscheidungen führen können.

3.2 Verhaltenstendenzen

Neben diesen Denkautomatismen gibt es weitere Erklärungen, warum Menschen sich nicht rational, vorausschauend und vernünftig verhalten. Einflussfaktoren, die menschliches Verhalten steuern, sind

  • Gewohnheiten,
  • Trägheit,
  • Wahrnehmungsverzerrungen,
  • soziale Einflüsse und
  • Normen.

3.2.1 Gewohnheiten, Trägheit

Menschen neigen aus Gründen der Bequemlichkeit und aus Gewohnheiten dazu, einen bestimmten Zustand aufrechtzuerhalten. Das nennt man Status-quo-Effekt: Entscheidungen werden gerne aufgeschoben, gute Vorsätze und Absichten werden nicht umgesetzt oder verpuffen. Eine Verhaltensänderung findet selbst dann nicht statt, wenn die Kosten der Alternative geringer sind und der Nutzen größer ist.

 
Praxis-Beispiel

Beispiele Gewohnheiten und Trägheiten

  • Treppen werden nicht benutzt, wenn Aufzüge vorhanden sind, obwohl Treppensteigen gesünder ist.
  • Verträge werden nicht gekündigt, obwohl die Frist-Möglichkeit dazu bestünde. Folge: der Vertrag verlängert sich mit dem ungünstigen Tarif automatisch.
  • Oder ganz aktuell die Diskussion der Widerspruchslösung um das Thema Organspende: spricht sich jemand nicht explizit gegen eine Organspende aus, wird er automatisch Organspender nach seinem Tode.

3.2.2 Wahrnehmungsverzerrungen

Wahrnehmungsverzerrungen, sind vereinfachte Denklogiken, die zu schnellen und ökonomischen Entscheidungen führen, aber nicht immer den Tatsachen entsprechen. Diese Vereinfachungen im Wahrnehmen, Denken und Urteilen (sogenannte Urteilsheuristiken) reduzieren die Komplexität der Entscheidungssituation, sind zeit- und ressourcensparend und erlauben schnelle Urteile (Denken in System 1). Beispielsweise werden Tatsachen in ihrer Auftretenswahrscheinl...

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