6.1 Zivilrechtliche Haftung

 

Rz. 67

Einer der umstrittensten Punkte i. R. d. Gesetzgebungsverfahrens war die Frage der Einführung einer zivilrechtlichen Schadenersatzhaftung deutscher Unternehmen in Fällen von Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette, selbst wenn diese keinen eigenen kausalen Verursachungsbeitrag geleistet haben, aber ggf. ihre Sorgfaltspflichten nach dem LkSG nicht erfüllt haben. Insbes. die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen wünschte umfassende deliktische Haftungstatbestände zulasten deutscher Unternehmen, einschl. einer Beweislastumkehr. I. R. d. kontroversen politischen Diskussionen wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass auch die OECD-Leitsätze ausschließen, die Verantwortung vom Verursacher eines negativen Effekts auf das Unternehmen zu verlagern, mit dem der Verursacher eine Geschäftsbeziehung hat.[1] Ein weiteres zentrales Argument ist das unkalkulierbare Haftungsrisiko, welches deutsche Unternehmen im Gegensatz zu ihren internationalen Wettbewerbern zu schultern hätten.

 

Rz. 68

Am Ende des Gesetzgebungsverfahrens einigte man sich auf die Aufnahme des § 3 Abs. 3 LkSG, welcher bestimmt, dass die "Verletzung der Pflichten aus diesem Gesetz … keine zivilrechtliche Haftung" begründet. Ferner heißt es klarstellend, dass eine unabhängig von diesem Gesetz begründete zivilrechtliche Haftung unberührt bleibt.

Nach der Gesetzesbegründung sollen durch das LkSG keine "zusätzlichen zivilrechtlichen Haftungsrisiken für Unternehmen" geschaffen werden. Die Sorgfaltspflichten sollen vielmehr in Verwaltungsverfahren und mit Mitteln des OWiG durchgesetzt werden. Die Gesetzesbegründung scheint sodann – wenn auch sprachlich missglückt – dem LkSG den Charakter eines Schutzgesetzes i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB explizit absprechen zu wollen.

 

Rz. 69

Abzuwarten bleibt, wie sich die abzeichnende NGO-Klageindustrie mit diesen Aussagen arrangieren wird und ob ggf. Zivilgerichte gleichwohl Wege finden (wollen), eine zivilrechtliche Unternehmenshaftung zu begründen. Einzelne juristische Stimmen argumentieren bereits für die (faktische) Anwendbarkeit des LkSG i. R. d. § 823 Abs. 1 BGB bzw. für eine gleichwohl bestehende Sorgfaltspflichthaftung.[2]

[1] Vgl. Stöbener de Mora/Noll, NZG 2021, S. 1285.
[2] Vgl. Ehmann/Berg, GWR 2021, S. 291; Wagner/Ruttloff, NJW 2021, S. 2150.

6.2 Besondere Prozessstandschaft für Gewerkschaften und NGOs

 

Rz. 70

Mit § 11 LkSG wurde eine Norm in das LkSG integriert, deren praktischer Nutzen sich auf den ersten Blick nicht erschließt, die aber vermutlich geeignet sein wird, substanzielle Prozess- und Reputationsrisiken für deutsche Unternehmen zu begründen. In § 11 Abs. 1 LkSG wurde bestimmt, dass derjenige, der geltend macht, in einer überragend wichtigen geschützten Rechtsposition aus § 2 Abs. 1 LkSG verletzt zu sein, zur gerichtlichen Geltendmachung seiner Rechte einer inländischen Gewerkschaft oder NGO die Ermächtigung zur Prozessführung erteilen kann.

Eindeutig ist damit zunächst nur, dass deutsche Zivilgerichte für Klagen zuständig sind, die von NGOs bzw. Gewerkschaften in Prozessstandschaft für die angeblich Geschädigten gegen in Deutschland ansässige Unternehmen betrieben werden.

 

Rz. 71

Nach dem an sich eindeutigen Wortlaut des § 3 Abs. 3 LkSG begründet eine Verletzung der Pflichten aus dem LkSG keine zivilrechtliche Haftung. Welche Ansprüche sollen dann über § 11 LkSG geltend gemacht werden?

Das Gesetz dürfte v.a. solche Fälle vor Augen haben, wo in Nicht-EU-Ländern Arbeitnehmer von dortigen Zuliefererunternehmen Opfer von Menschenrechtsverletzungen werden. Verantwortlich für die Verletzungen ist regelmäßig das lokale Unternehmen. Ein kausaler Tatbeitrag des deutschen Unternehmens wird im Regelfall nicht vorliegen. Nach den allgemeinen zivilrechtlichen Regeln haftet ein deutsches Unternehmen nicht für Verstöße seiner Zulieferer im Ausland.[1]

 

Rz. 72

Denkbar ist in solchen Fällen eine Haftung des lokalen Arbeitgebers gegenüber seinen Mitarbeitern, die allerdings ausschl. auf Basis des lokalen Haftungsrechts begründet werden kann. Deutsches Deliktsrecht ist auf diese Konstellationen nicht anwendbar, wie § 4 Abs. 1 der Rom-II-Verordnung unzweifelhaft klarstellt. Das Recht des Erfolgsorts ist maßgeblich für deliktische Ansprüche.[2]

Das Gesetz hat somit eine "Vertretungsregelung" (Prozessstandschaft) vorgesehen für eine Situation, "in der regelmäßig das materiellrechtliche Haftungsäquivalent fehlt"[3].

 

Rz. 73

Nun hat der Gesetzgeber aber diese besondere Prozessstandschaft für NGOs und Gewerkschaften geschaffen; diese werden besagtes Instrument aus Eigeninteresse nutzen. Im Ergebnis wird es dazu kommen, dass Unternehmen in Prozesse gezogen werden, die sie in den meisten Fällen (mangels kausalen Beitrags zu der Menschenrechtsverletzung) letztlich gewinnen dürften. Allerdings darf nicht unterschätzt werden, dass NGOs hochprofessionelle Kommunikationsexperten sind, die Mediendruck aufbauen können, der bei den Verbrauchern zu einem negativen Image des betroffenen Unternehmens führen kann, was u. U. dazu führt, dass Unternehmen sich lieber im Vorfeld eines Prozesses geräuscharm ...

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