BFH

Wohnungswirtschaftliche Verwendung von Altersvorsorgevermögen nach Umwidmung eines Darlehens


Wohnungswirtschaftliche Verwendung von Altersvorsorgevermögen

Ein Darlehen kann auch dann i. S. v. § 92a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 EStG "unmittelbar" für die Anschaffung oder Herstellung einer Wohnung aufgenommen worden sein, wenn es ursprünglich für die Anschaffung oder Herstellung eines Erstobjekts aufgenommen worden war und später für die Anschaffung oder Herstellung eines Zweitobjekts umgewidmet worden ist.

Hintergrund: Tilgung eines Darlehens für begünstigte Wohnung

Nach § 92a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 EStG kann der Zulageberechtigte das in einem Altersvorsorgevertrag gebildete und geförderte Kapital bis zum Beginn der Auszahlungsphase unmittelbar für die Anschaffung oder Herstellung einer Wohnung oder zur Tilgung eines zu diesem Zweck aufgenommenen Darlehens verwenden (sog. Entschuldungsalternative).

Eine in diesem Sinne begünstigte Wohnung ist nach § 92a Abs. 1 Satz 5 Halbsatz 1 EStG eine Wohnung in einem eigenen Haus oder eine eigene Eigentumswohnung oder eine Genossenschaftswohnung einer eingetragenen Genossenschaft, wenn diese Wohnung in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum anwendbar ist, belegen ist und die Hauptwohnung oder den Mittelpunkt der Lebensinteressen des Zulageberechtigten darstellt.

Rechtsfrage

Die Beteiligten streiten darüber, ob eine nach § 92a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 EStG unschädliche wohnungswirtschaftliche Verwendung vorliegt, wenn mit dem durch die Entnahme von Altersvorsorgevermögen abzulösenden Darlehen ursprünglich die Anschaffung einer inzwischen nicht mehr selbst genutzten Wohnung finanziert wurde und der Erlös aus dem Verkauf dieser Wohnung unter Umwidmung des ursprünglichen Darlehens zur Anschaffung der nunmehr genutzten Wohnung verwendet worden ist.

Sachverhalt

  • Die Kläger hatten – den Feststellungen des FG – zufolge im Jahr 1987 ein Eigenheim in A erworben, für das sie einen Kredit bei der örtlichen X Bank aufgenommen hatten. Den Kredit schuldeten sie in den Folgejahren mehrfach um. Im Jahr 2008 bündelten sie ihre Kreditbelastungen durch Aufnahme eines Fremdwährungsdarlehens bei einer luxemburgischen Bank. Die deutsche Y Bank gewährte ihnen in diesem Zusammenhang einen bis zum 30.12.2016 befristeten Avalkredit als Bürgschaft.
  • Im Oktober 2011 verkauften die Kläger – den Feststellungen des FG – ihr Eigenheim in A für 330.000 EUR. Der Kaufpreis war nach dem Kaufvertrag bei Fälligkeit in voller Höhe "ausschließlich zur Lastenfreistellung zu verwenden" und entsprechend einem Treuhandschreiben der Y Bank "mit erfüllender Wirkung ausschließlich" auf das von dieser genannte Konto zu überweisen. Den Erlös setzten die Kläger – wiederum den Feststellungen des FG zufolge – zur Finanzierung ihres im Dezember 2011 gemeinsam, zu gleichen Anteilen, erworbenen Hauses in B ein, das sie von da an selbst bewohnten.
  • Im Dezember 2016 verlängerten die Kläger den Avalkredit und das zugrunde liegende Fremdwährungsdarlehen bei der luxemburgischen Bank. Letzteres führten sie in der Folgezeit auf einen im August 2021 noch offenen Restbetrag von umgerechnet rund 89.390 EUR zurück.
  • Im August 2021 beantragten die Kläger bei der Deutsche Rentenversicherung Bund - Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen (ZfA) nach §§ 92a, 92b EStG die Verwendung des gebildeten Altersvorsorgevermögens für die Ablösung eines nach ihrer Angabe am 12.1.2011 bei der luxemburgischen Bank aufgenommenen Darlehens. Die ZfA lehnte dies mit Bescheiden vom 27.9.2021 ab. Zur Begründung führte die ZfA aus, eine wohnungswirtschaftliche Verwendung des geförderten Altersvorsorgevermögens sei nicht mehr gegeben, wenn mit dem abzulösenden Darlehen Anschaffungs- oder Herstellungskosten einer inzwischen nicht mehr selbst genutzten Wohnung finanziert worden seien und die nunmehr genutzte Wohnung lediglich "im Sinne eines Pfandtausches" als Sicherheit für das abzulösende Darlehen diene.
  • Die Kläger wandten dagegen ein, eine wohnungswirtschaftliche Verwendung i. S. v. § 92a EStG liege auch dann vor, wenn ein "Alt-Darlehen" für die Anschaffung eines selbst genutzten ersten Eigenheims – hier: das Haus in A – nach einem Wechsel der Eigenheim-Wohnstätte auf das neubezogene Wohnobjekt – hier: das Haus in B – "mitgenommen" werde. Zudem hätten sie im April 2014 ein neues Darlehen bei der luxemburgischen Bank aufgenommen, das der Ablösung des bisherigen Darlehens und damit der Finanzierung des Objekts in B gedient habe.
  • Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.

BFH hebt Urteil auf und verweist zurück

Die begründete Revision des Klägers führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der nicht spruchreifen Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.

Unmittelbarkeitserfordernis beim "Auswechseln" einer Wohnung

  • Durch die Senatsrechtsprechung ist geklärt, dass das gesetzliche Unmittelbarkeitserfordernis in § 92a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG nicht nur in Fällen der Verwendung geförderten Altersvorsorgekapitals für die Anschaffung oder Herstellung einer Wohnung gilt, sondern auch im Fall der Tilgung von Anschaffungs- oder Herstellungsdarlehen das geförderte Kapital "unmittelbar" für den jeweils begünstigten wohnungswirtschaftlichen Zweck verwendet werden muss. Zur Begründung hat der Senat darauf verwiesen, dass es ohne eine unmittelbare – also enge – zeitliche Verbindung zwischen der Entnahme des geförderten Kapitals und seiner begünstigten Verwendung in Gestalt der Tilgung des Darlehens i. S. d. § 92a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG allein der Zulageberechtigte in der Hand hätte, wann er das zunächst seinem allgemeinen Vermögen zugeführte Kapital zur Tilgung verwendet.
  • Anknüpfend an diese Rechtsprechung kann ein Darlehen auch dann i. S. v. § 92a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 EStG "unmittelbar" für die Anschaffung oder Herstellung einer Wohnung aufgenommen worden sein, wenn es ursprünglich für die Anschaffung oder Herstellung eines Erstobjekts aufgenommen worden war und später für die Anschaffung oder Herstellung eines Zweitobjekts umgewidmet worden ist.
  • Zutreffend haben die Kläger darauf hingewiesen, dass nach § 92a Abs. 3 Satz 9 Nr. 1 EStG trotz Aufgabe der Selbstnutzung der eigenen Wohnung (§ 92a Abs. 3 Satz 1 und 2 EStG) das Wohnförderkonto u. a. dann nicht nach § 92a Abs. 3 Satz 5 EStG aufgelöst wird, wenn der Zulageberechtigte einen Betrag in Höhe des noch nicht zurückgeführten Betrags im Wohnförderkonto innerhalb eines bestimmten Zeitraums für eine weitere Wohnung i. S. d. § 92a Abs. 1 Satz 5 EStG verwendet. Der Gesetzgeber geht folglich davon aus, dass ein "Auswechseln" der Wohnung unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist.

Gleiches gilt auch bei Darlehensumwidmung

  • Unter Berücksichtigung des Sinn und Zwecks des § 92a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 EStG ist nach Auffassung des erkennenden Senats davon auszugehen, dass das Unmittelbarkeitserfordernis auch im Falle eines umgewidmeten Darlehens erfüllt sein kann.
  • Der Senatsrechtsprechung zufolge wollte der Gesetzgeber mit der alternativ zur Kapitalverwendung für die Anschaffung oder Herstellung des Wohneigentums geschaffenen Begünstigung der Tilgung eines zu diesem Zweck aufgenommenen Darlehens zur Entschuldung des Zulageberechtigten beitragen und durch die Ablösung von Darlehen, die der Finanzierung des Erwerbs von Wohneigentum dienen, einen Beitrag zum "mietfreien Wohnen im Alter" leisten. Dem Zulageberechtigten soll ermöglicht werden, die Zins- und Tilgungskosten aus der selbstgenutzten Wohnimmobilie zu senken.
  • Dementsprechend liegt eine begünstigte Entschuldung auch dann vor, wenn das zu tilgende Darlehen der Umschuldung der ursprünglichen Anschaffungs- bzw. Herstellungsdarlehen dient. Dies gilt auch bei mehrfacher Umschuldung des ursprünglichen Darlehens.
  • Ebenso steht auch die zwischenzeitliche Umwidmung eines Darlehens der Annahme, eine spätere Tilgung aus gefördertem Altersvorsorgekapital sei als unschädliche Verwendung nach § 92a EStG anzusehen, nicht entgegen, wenn das Darlehen ursprünglich für die Anschaffung oder Herstellung einer Wohnung aufgenommen worden war und später der Anschaffung oder Herstellung einer anderen Wohnung gewidmet wird.

Hinweis auf Rechtsprechung zu Schuldzinsen als Werbungskosten

  • Für das Ertragsteuerrecht – konkret für die Frage, ob Schuldzinsen Werbungskosten darstellen – ist durch die höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt, dass nicht stets allein auf den ursprünglich mit der Schuldaufnahme verfolgten Zweck und damit auf die erstmalige Verwendung der Valuta abzustellen ist, sondern dass darüber hinaus auch die Möglichkeit einer „Umwidmung“ des ursprünglichen Darlehenszwecks besteht.
  • Eine solche Umwidmung liegt u. a. vor, wenn der Erlös aus der Veräußerung eines ertragbringenden Wirtschaftsguts aufgrund einer neuen Anlageentscheidung des Steuerpflichtigen zum Erwerb einer anderen Einkunftsquelle (z. B. Festgeld, Leibrentenrecht) eingesetzt wird. Wird z. B. an Stelle der ursprünglichen Kapitalanlage eine andere Kapitalanlage erworben, können die für das fortgeführte Darlehen angefallenen Zinsen als Werbungskosten bei der neuen Kapitalanlage zu berücksichtigen sein. Ein solcher Fall ist gegeben, wenn ein mit Kredit finanziertes Hausgrundstück veräußert und mit Hilfe des Veräußerungserlöses eine andere Kapitalanlage erworben wird. Der wirtschaftliche Zusammenhang zwischen der den Schuldzinsen zugrunde liegenden Verbindlichkeit und der neuen Kapitalanlage wird nur hergestellt, wenn die zu ihrer Anschaffung verwendeten Mittel als darlehensweise zu diesem Zweck überlassen angesehen werden können.
  • An diese Rechtsprechung hatte der erkennende Senat in Bezug auf die einkommensteuerrechtliche Berücksichtigung von Bereitstellungszinsen nach § 10e Abs. 6 EStG angeknüpft. Nach dieser Vorschrift konnten vor Bezug einer eigengenutzten Wohnung entstandene Aufwendungen unter bestimmten weiteren Voraussetzungen als Sonderausgaben abgezogen werden, wenn sie "unmittelbar" mit der Herstellung oder Anschaffung der Wohnung oder der Anschaffung des dazu gehörenden Grund und Bodens zusammenhingen.
  • Einen in diesem Sinne "unmittelbaren Zusammenhang" hat der Senat auch für den Fall einer Umwidmung bejaht, wenn das mit den Darlehensmitteln angeschaffte Wirtschaftsgut veräußert und mit dem Veräußerungserlös unter Aufrechterhaltung des Darlehens ein anderes Wirtschaftsgut angeschafft oder der Darlehenszweck noch vor Verwendung der Darlehensmittel geändert worden ist.

Rückgriff auf die Rechtsprechung zu § 10e EStG

Der Senat hat bereits entschieden, dass bei der Auslegung des § 92a EStG grundsätzlich auf die zu § 10e EStG entwickelten Rechtsgrundsätze zurückgegriffen werden kann. In diesem Sinne gilt ebenso für § 92a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG, dass ein Darlehen auch dann "unmittelbar" für die Anschaffung oder Herstellung einer selbst genutzten Wohnung aufgenommen worden sein kann, wenn die mit den Darlehensmitteln ursprünglich angeschaffte selbst genutzte Wohnung veräußert und mit dem Veräußerungserlös unter Aufrechterhaltung des zu diesem Zweck umgewidmeten Darlehens eine andere – nunmehr – selbst genutzte Wohnung angeschafft worden ist.

Zurückverweisung und "Segelanweisung" für den zweiten Rechtsgang

Ob im Streitfall eine steuerlich anzuerkennende "Darlehensumwidmung" tatsächlich vorliegt, kann mangels entsprechender Feststellungen des FG nicht entschieden werden. Das FG hat nämlich insbesondere keine Feststellungen zu der Frage getroffen, ob bzw. inwieweit es sich bei dem Haus in B um eine nach § 92a Abs. 1 Satz 5 EStG begünstigte Wohnung handelt.

Ob der Kläger Miteigentümer des im Jahr 1987 erworbenen Eigenheims in A gewesen ist und damit die Voraussetzung des § 92a Abs. 1 Satz 5 Halbsatz 1 EStG in Bezug auf das Ausgangsdarlehen überhaupt erfüllt hat, muss im zweiten Rechtsgang ebenfalls noch geprüft werden. Die vom FG im ersten Rechtsgang insoweit getroffenen Feststellungen sind nicht zweifelsfrei.

BFH, Urteil v. 27.11.2024, X R 24/23, veröffentlicht am 31.7.2025

Alle am 31.7.2025 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen


Schlagworte zum Thema:  Darlehen , Wohnungswirtschaft , Altersvorsorge
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