Vorsteuerabzug bei zunächst nur hoheitlicher Nutzung

Der EuGH hat in einer aktuellen Entscheidung einer Gemeinde nachträglich den Vorsteuerabzug aus einem zunächst nur hoheitlich genutzten Investitionsgut gestattet. Das Urteil könnte auch für privatwirtschaftliche Unternehmen Bedeutung haben.

Sachverhalt: Zunächst nur hoheitliche, später auch unternehmerische Nutzung eines Investitionsgutes

Bei dem polnischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um den Umfang des Vorsteuerabzugs einer Gemeinde in Bezug auf die Anschaffung eines Investitionsguts, das zunächst nur für hoheitliche Tätigkeiten der Gemeinde genutzt wird und erst später aufgrund einer Nutzungsänderung auch für unternehmerische Zwecke verwendet wird.

In diesem Zusammenhang wollte das Vorlagegericht wissen, ob es für den Umfang des Vorsteuerabzugs von Bedeutung ist, dass die Gemeinde im Zeitpunkt der Herstellung bzw. des Erwerbs des Investitionsguts die Absicht, dieses künftig für steuerpflichtige Umsätze zu nutzen, nicht ausdrücklich zum Ausdruck gebracht hatte, bzw. ob es von Bedeutung ist, dass das Investitionsgut sowohl für steuerpflichtige als auch für hoheitliche Umsätze (zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben) genutzt wird und es nicht möglich ist, die konkreten Investitionsausgaben einer dieser Nutzungsarten objektiv zuzuschreiben.

Die polnische Finanzverwaltung war der Auffassung, dass die von der Gemeinde zu Investitionszwecken – Bau eines Kulturhauses in den Jahren 2009 und 2010, das unentgeltlich dem gemeindlichen Kulturzentrum überlassen werden sollte – bezogenen Leistungen nicht im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit erworben worden seien und die Gemeinde daher nicht als Unternehmer gehandelt habe. Die von der Gemeinde ab 2014 geplante Nutzung des erbauten Kulturhauses für mehrwertsteuerpflichtige Zwecke (steuerpflichtige Vermietung) bedeute nicht, dass die Gemeinde im Zeitpunkt der Errichtung des Gebäudes das Recht zum Vorsteuerabzug erlangt habe. Die Vermietung von Räumen im Kulturhaus berechtige nicht zum Steuerabzug, da dieses Recht zusammen mit dem Anspruch auf die abziehbare Steuer entstehe.

Entscheidung: Gemeinde hat Recht auf Vorsteuerberichtigung

Der EuGH hat entschieden, dass eine Einrichtung des öffentlichen Rechts ein Recht auf Berichtigung des Vorsteuerabzugs zu ihren Gunsten hat, wenn sie eine als Investitionsgut bestimmte Immobilie erwirbt, die zum Zeitpunkt des Erwerbs ihrer Art nach sowohl für besteuerte als auch für nicht besteuerte Tätigkeiten verwendet werden konnte und die Einrichtung ihre Absicht, das Investitionsgut einer besteuerten Tätigkeit zuzuordnen, nicht ausdrücklich bekundet, aber auch nicht ausgeschlossen hatte, dass die Immobilie für eine besteuerte Tätigkeit verwendet werde. Es muss sich aber aus der Prüfung aller tatsächlichen Gegebenheiten ergeben, dass der betreffende Unternehmer zum Zeitpunkt der Investition als Unternehmer gehandelt hat. Die Prüfung, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, muss in jedem Einzelfall anhand eines weiten Verständnisses des Begriffs des Erwerbs "als Steuerpflichtiger" erfolgen. Es ist für sich gesehen ohne Bedeutung, dass der betreffende Gegenstand nicht unmittelbar nach seinem Erwerb für besteuerte Umsätze verwendet worden ist, da die Verwendung des Gegenstands nur den Umfang des Vorsteuerabzugs oder der etwaigen späteren Vorsteuerberichtigung bestimmt, jedoch nicht die Entstehung des Vorsteueranspruchs berührt.

Bisherige Rechtsprechung des EuGH

Der EuGH hatte in ähnlichen Fällen bereits früher entschieden. Art. 184 ff. MwStSystRL regeln die Berichtigung des Vorsteuerabzugs, die grundsätzlich von den Verhältnissen zum Zeitpunkt der erstmaligen Ausübung des Vorsteuerabzugs auszugehen hat. Danach ist ein Vorsteuerabzug nicht zulässig, wenn der Steuerpflichtige den Gegenstand erst später seinem Unternehmen zuführt und zu unternehmerischen Zwecken verwendet. Eine solche Einlage aus dem Privatvermögen in das Unternehmensvermögen erfüllt nicht die Bedingungen für einen Vorsteuerabzug, weil es an der Lieferung eines anderen Steuerpflichtigen fehlt (EuGH, Urteil v. 11.7.1991, C-97/90 (Lennartz), Haufe Index 60604). Im hoheitlichen (nichtunternehmerischen) Bereich einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft angefallene Vorsteuern können ebenfalls nicht nachträglich im unternehmerischen Bereich zum Abzug zugelassen werden, bzw. eine Vorsteuerberichtigung kommt ebenfalls nicht in Betracht (EuGH, Urteil v. 2.6.2005, C-378/02 (Waterschap Zeeuws Vlaanderen), Haufe Index 1376420).

Nach Art. 168a Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL gilt, soweit ein dem Unternehmen zugeordnetes Grundstück vom Steuerpflichtigen sowohl für unternehmerische Zwecke als auch für seinen privaten Bedarf oder den seines Personals oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke verwendet wird, darf bei Ausgaben im Zusammenhang mit diesem Grundstück höchstens der Teil der Mehrwertsteuer nach den Grundsätzen der Art. 167, 168, 169 und 173 MwStSystRL abgezogen werden, der auf die Verwendung des Grundstücks für unternehmerische Zwecke des Steuerpflichtigen entfällt. Damit handelt es sich rechtstechnisch um einen Ausschluss des Vorsteuerabzugs, soweit das dem Unternehmen zugeordnete Grundstück nicht für unternehmerische Zwecke verwendet wird. Die Regelung in Art. 168a Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL setzt damit zunächst eine entsprechende Zuordnungsentscheidung des Unternehmers voraus. Ein Grundstück kann dem Unternehmen zu 100 %, unabhängig von der Verwendung für unternehmerische oder unternehmensfremde Zwecke, zugeordnet werden. Der Vorsteuerabzug jedoch (z. B. auf die Anschaffungskosten) kann nur geltend gemacht werden, soweit das Grundstück für unternehmerische Zwecke genutzt wird. Besteht die nichtunternehmerische Tätigkeit in einer nichtwirtschaftlichen Tätigkeit i. e. S., hat der Unternehmer kein Wahlrecht zur vollständigen Zuordnung (vgl. EuGH, Urteil v. 13.3.2008, C-437/06 (Securenta), Haufe Index 1974647).

Ändert sich der Verwendungsanteil eines Grundstücks nach Art. 168a Abs. 1 Unterabs. 1, so werden diese Änderungen nach Art. 168a Abs. 1 Unterabs. 2 MwStsystRL abweichend von Art. 26 MwStSystRL nach den in dem betreffenden Mitgliedstaat geltenden Vorschriften zur Anwendung der in den Art. 184 - 192 MwStSystRL festgelegten Grundsätze berücksichtigt. Diese Regelung bedeutet, dass bei Änderungen der Nutzungsverhältnisse eines dem Unternehmen zugeordneten Grundstücks (Verringerung oder Erhöhung des Anteils der Nutzung für unternehmerische bzw. unternehmensfremde Zwecke) keine Wertabgabenbesteuerung über die in Art. 26 MwStSystRL geregelte Gleichstellung der Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands mit einer steuerbaren Dienstleistung erfolgt, sondern eine Vorsteuerberichtigung zugunsten oder zuungunsten des Unternehmers nach Maßgabe der Art. 184 - 192 MwStSystRL.

Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung

Nach diesen Grundsätzen hätte der Gemeinde im Ausgangsverfahren eigentlich nicht nachträglich ein anteiliger Vorsteuerabzug zustehen können.

Das Urteil bedeutet prinzipiell eine Abkehr von der bisherigen strengeren Rechtsprechung des EuGH. Dies ist daran erkennbar, dass das Urteil sehr viele Ausführungen dazu enthält, dass der Vorlagefall nicht mit anderen bisher entschiedenen Fällen vergleichbar sei. Im Ergebnis kann eine juristische Person des öffentlichen Rechts durch eine nachträgliche Entscheidung zur Zuordnung eines Wirtschaftsguts zum Unternehmensvermögen zum (nachträglichen) anteiligen Vorsteuerabzug berechtigt sein. Eine entsprechende Vorsteuerberichtigung ist nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil die öffentliche Einrichtung ein Wirtschaftsgut ab dem Zeitpunkt seiner Anschaffung ausschließlich hoheitlich verwendete.

Urteil mit Breitenwirkung

Obwohl das Urteil zur Investitionstätigkeit einer Einrichtung des öffentlichen Rechts ergangen ist, dürfte es angesichts der Breite der Entscheidungsgründe des EuGH nicht beschränkt auf Investitionen durch die öffentliche Hand anwendbar sein, sondern auch auf alle vergleichbaren Investitionen von Einrichtungen anderer Rechtsformen und natürlicher Personen. Zwar ist es grundsätzlich weiterhin erforderlich, im Zeitpunkt der Investition als Unternehmer zu handeln. Wenn sich dies nicht eindeutig feststellen lässt, kann die Art der Investition, d.h., die Möglichkeit, das Investitionsgut für wirtschaftliche Tätigkeiten, die vorsteuerunschädlich sind, verwenden zu können, eine Rolle spielen. Ein Indiz für den Vorsteuerabzug kann auch sein, dass der Betreffende zum Zeitpunkt der Investition für MwSt-Zwecke registriert ist. Im Zeitpunkt der Investition muss nicht zwingend die Absicht bekundet werden, das Investitionsgut dem Unternehmen zuzuordnen, wenn der Betreffende nicht ausgeschlossen hatte, dass es auch für eine vorsteuerunschädliche Tätigkeit verwendet werden könnte.

Beispiel: Kauf eines Pkw durch Einzelunternehmer

Einzelunternehmer A kauft einen Pkw, den er privat seiner Frau verschenken möchte. A trifft keine Entscheidung der Zuordnung des Pkw zu seinem Unternehmen. Es ist im Zeitpunkt des Kaufs nicht ausgeschlossen, dass der Pkw auch im Rahmen des Unternehmens des A genutzt wird. Der Pkw wird im ersten Jahr nur privat von der Ehefrau genutzt. Ab dem 2. Jahr nutzt A den Pkw gelegentlich für sein Unternehmen. Nach den Grundsätzen des vorliegenden Urteils könnte A, anders als nach bisheriger Betrachtungsweise, ab dem 2. Jahr der Pkw-Nutzung grds. einen anteiligen nachträglichen Vorsteuerabzug im Wege einer Vorsteuerberichtigung geltend machen.

EuGH, Urteil v. 25.7.2018, C-140/17 (Gmina Ryjewo), Haufe Index 11881411