§ 8c KStG und Wirkung auf ein Verlustausgleichsvolumen des Vorjahres
Gesetzliche Regelungen und Streifrage
Nach § 8 Abs. 1 KStG i. V. m. § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG sind negative Einkünfte, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte (GdE) nicht ausgeglichen werden, bis zu einem Betrag von 1 Mio. EUR vom GdE des unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraums vorrangig vor anderen Abzugsbeträgen abzuziehen (Verlustrücktrag).
Werden innerhalb von 5 Jahren mittelbar oder unmittelbar mehr als 50 % des gezeichneten Kapitals, der Mitgliedschaftsrechte, der Beteiligungsrechte oder der Stimmrechte an einer Körperschaft an einen Erwerber oder diese nahen stehenden Personen übertragen oder liegt ein vergleichbarer Sachverhalt vor (schädlicher Beteiligungserwerb), sind bis zum schädlichen Beteiligungserwerb nicht ausgeglichene oder abgezogene negative Einkünfte (nicht genutzte Verluste) vollständig nicht mehr abziehbar (§ 8c Abs. 1 Satz 1 KStG).
Der BFH hatte die Frage zu entscheiden, ob ein unterjähriger schädlicher Beteiligungserwerb bei nachfolgender rückwirkender Umwandlung den Verlustrücktrag einschränkt.
Sachverhalt: Klägerin begehrt Berücksichtigung eines Verlusts
- Die Klägerin, eine GmbH, erwarb am 17.10.2018 Anteile im Nennwert von insgesamt 115.000 EUR am 500.000 EUR betragenden Stammkapital der E GmbH (GmbH). Da die übrigen Anteile im Nennwert von 385.000 EUR von der GmbH selbst gehalten wurden, war die Klägerin durch den Anteilserwerb zur alleinigen Gesellschafterin geworden.
- Mit Vertrag vom 31.10.2018 übertrug die GmbH als übertragende Rechtsträgerin ihr Vermögen als Ganzes unter Auflösung ohne Abwicklung im Wege der Verschmelzung auf die Klägerin als übernehmende Rechtsträgerin ohne Gewährung von Gesellschaftsrechten (Verschmelzung durch Aufnahme). Als „Verschmelzungsstichtag“ wurde der 30.9.2018 bestimmt. Die Klägerin sollte das Vermögen der GmbH im Innenverhältnis „mit Wirkung zum Ablauf des 30.9.2018 (ab 1.10.2018, 0.00 Uhr)“ übernehmen. Von diesem Zeitpunkt an sollten die Geschäfte der GmbH als für Rechnung der Klägerin geführt gelten. Die Verschmelzung wurde am 29.11.2018 in das Handelsregister eingetragen.
- Die GmbH hatte im Streitjahr 2017 ein zu versteuerndes Einkommen i. H. v. 1.843.459 EUR erzielt, das sie in ihrer Körperschaftsteuererklärung deklarierte. Sie wurde erklärungsgemäß unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 AO veranlagt.
- Im darauffolgenden Wirtschaftsjahr 2018, das infolge der Verschmelzung der GmbH auf die Klägerin am 30.9.2018 endete, erzielte die GmbH einen Verlust i. H. v. 14.058 EUR, den sie in ihrer Körperschaftsteuererklärung für 2018 deklarierte.
- Mit Bescheid vom 30.9.2019 setzte das Finanzamt (FA) die Körperschaftsteuer für 2018 auf 0 EUR; eine Verlustfeststellung unterblieb. Der Bescheid erging gegenüber der Klägerin als Rechtsnachfolgerin der GmbH. Unter den im Bescheid dargestellten Besteuerungsgrundlagen wies das FA den Verlust als „nach § 8c KStG nicht berücksichtigungsfähigen Verlust des laufenden Veranlagungszeitraums“ aus.
- Die Klägerin beantragte als Rechtsnachfolgerin der GmbH beim FA, den gegenüber der GmbH erlassenen Körperschaftsteuerbescheid für das Streitjahr nach § 164 Abs. 2 AO dahingehend zu ändern, dass das zu versteuernde Einkommen um den bis zum 30.9.2018 erklärten Verlust reduziert werde.
- Dies lehnte das FA ab, weil zum 30.9.2018 sämtliche Anteile an der GmbH übertragen worden seien, so dass der von ihr bis dahin erwirtschaftete Verlust nach § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG vollständig zu kürzen gewesen sei. Die Abzugsbeschränkung sei auf alle nicht ausgeglichenen und nicht abgezogenen negativen Einkünfte (nicht genutzte Verluste) anwendbar und umfasse insbesondere die Verluste nach § 10d EStG.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob die Klägerin Klage, der vom Finanzgericht (FG) stattgegeben wurde.
Entscheidung: § 8c KStG steht Verlustrücktrag nicht entgegen
Der BFH hat die Revision des Finanzamts als unbegründet zurückgewiesen, weil das FG ohne Rechtsfehler dahin erkannt hat, dass der gegenüber der GmbH ergangene Körperschaftsteuerbescheid 2017 auf Antrag der Klägerin nach § 164 Abs. 2 AO in der Weise zu ändern war, dass das zu versteuernde Einkommen im Wege eines Verlustrücktrags um 14.058 EUR reduziert wird.
Verlustrücktrag nicht durch Vorschriften des UmwStG ausgeschlossen
Im Streitfall war der Verlustrücktrag weder durch § 12 Abs. 3 Halbsatz 2 i. V. m. § 4 Abs. 2 Satz 2 UmwStG 2006 noch durch § 2 Abs. 4 UmwStG 2006 ausgeschlossen. Denn es ging vorliegend nicht um die Nutzbarkeit von nach dem steuerlichen Übertragungsstichtag bei der übertragenden GmbH angefallenen Verlusten auf Ebene der übernehmenden Steuerpflichtigen, sondern um den Abzug des bis zu diesem Stichtag von der GmbH erzielten Verlusts von ihrem („eigenen“) GdE des Vorjahres.
§ 8c KStG steht Verlustrücktrag ebenfalls nicht entgegen
Der von der Klägerin begehrte Verlustrücktrag wird – entgegen den Einlassungen des FA und des dem Verfahren beigetretenen BMF – auch nicht durch § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG ausgeschlossen.
- Es steht zwischen den Beteiligten nicht (mehr) im Streit, dass zwar die Verschmelzung der GmbH auf die Klägerin als solche nicht zu einem schädlichen Beteiligungserwerb i. S. d. § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG bezogen auf die Anteile an der GmbH geführt hat, dass allerdings der im steuerlichen Rückwirkungszeitraum erfolgte Erwerb sämtlicher Anteile der GmbH als schädlicher Beteiligungserwerb zu qualifizieren ist.
- Dem angefochtenen Urteil ist zu entnehmen, dass es für die Entscheidung des Streitfalls offenbleiben kann, ob der mit Vertrag vom 17.10.2018 erfolgte Beteiligungserwerb durch die Klägerin aufgrund der rückwirkenden Verschmelzung der GmbH als bereits am 30.9.2018 vollzogen gilt oder wegen der Rückwirkungsfiktion des § 2 Abs. 1 Satz 1 UmwStG (und der Qualifizierung der Aufwärtsverschmelzung als schädlichem Beteiligungserwerb) steuerlich „eliminiert“ wird. Dem ist zuzustimmen. Denn unabhängig davon, wie sich die Rückwirkung der Verschmelzung auf die Zuordnung des Beteiligungserwerbs zum Tatbestand auswirkt, führt die Rechtsfolgenanordnung des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG nicht zu einem Ausschluss des von der Klägerin begehrten Verlustrücktrags.
Verwaltungsauffassung und überwiegende Literaturmeinung
- Die Finanzverwaltung vertritt im BMF-Schreiben vom 28.11.2017 (BStBl 2017 I S. 1645, Tz. 2 und 31 Satz 2 und 3) die Auffassung, § 8c KStG sei auf alle nicht ausgeglichenen und nicht abgezogenen negativen Einkünfte (nicht genutzte Verluste) anwendbar und umfasse insbesondere auch die Verluste nach § 10d EStG. Verluste, die bis zum Zeitpunkt des schädlichen Beteiligungserwerbs entstanden seien, dürften weder mit danach entstandenen Gewinnen ausgeglichen bzw. von ihnen abgezogen noch in vorangegangene Veranlagungszeiträume zurückgetragen werden.
- Dem steht die Rechtsauffassung des FG Münster (Urteil v. 21.7.2016, 9 K 2794/15 K,F, EFG 2016 S. 1546) und auch die überwiegende Meinung in der Literatur gegenüber, wonach negative Einkünfte, die im Wirtschaftsjahr des schädlichen Beteiligungserwerbs dem Zeitraum vor dem Zeitpunkt dieses schädlichen Erwerbs zuzuordnen seien, zwar insoweit der Abzugsbeschränkung nach § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG unterlägen, als sie nicht in die danach folgenden Wirtschaftsjahre vorgetragen werden könnten, es aber § 8c KStG nicht verbiete, die im Wirtschaftsjahr des schädlichen Anteilserwerbs dem Zeitraum vor dem Zeitpunkt dieses Erwerbs zuzuordnenden Verluste in das Wirtschaftsjahr vor der Anteilsübertragung zurückzutragen.
- Was nach den Grundsätzen des Senatsurteils v. 30.11.2011, I R 14/11, BStBl 2012 II S. 360, für einen unterjährigen Gewinn für den Ausgleich mit einem in den Vorjahren erwirtschafteten Verlust(-Vortrag) gilt, müsse konsequenterweise auch auf einen unterjährigen Verlust übertragen werden, da im Falle seines Rücktrags ebenfalls keine Verlustübertragung in den Zeitraum nach dem schädlichen Beteiligungserwerb erfolge.
BFH schließt sich Literatur und Vorinstanz an
Dem Wortlaut des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG, dass im Falle eines schädlichen Beteiligungserwerbs die bis zu diesem Erwerb nicht genutzten Verluste „vollständig nicht mehr abziehbar“ sind, lässt sich ein Ausschluss des Verlustrücktrags nicht eindeutig entnehmen. Die „Nichtabziehbarkeit“ steht aber in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der tatbestandlich gesetzten zeitlichen Zäsur (Zeitpunkt des schädlichen Anteilserwerbs), die die Verlustnutzung in einer Wirtschaftsperiode zeitlich nach diesem Zeitpunkt ausschließen will. Außerdem sprechen die Gesetzeshistorie und das Normtelos für die genannte Auslegung. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs geht es um die Situation, dass sich die wirtschaftliche Identität einer Gesellschaft durch das wirtschaftliche Engagement eines anderen Anteilseigners ändert. Die in früherer Zeit erwirtschafteten Verluste sollen in folgender Zeit unberücksichtigt bleiben, soweit sie auf dieses neue wirtschaftliche Engagement des neuen Anteilseigners entfallen. Fallen die wirtschaftliche Identität und die Erwirtschaftung des Verlusts aber – wie im Streitfall – zusammen, besteht für eine Beschränkung des Verlustabzugs kein Anlass. Danach wird ein Verlustrücktrag (im Wirtschaftsjahr bis zum Zeitpunkt des schädlichen Beteiligungserwerbs erzielter Verlust) ausgehend vom Regelungszweck des § 8c KStG insgesamt nicht berührt, da durch den Verlustrücktrag lediglich diejenigen Anteilseigner den Verlust nutzen, die ihn während ihres eigenen wirtschaftlichen Engagements auch erzielt haben
Hinweis: Auch unterjährig erzielter Verlust kann zurückgetragen werden
Ein im Wirtschaftsjahr des schädlichen Beteiligungserwerbs unterjährig angefallener Verlust stellt dabei auch kein „rein rechnerisches Teiljahresergebnis“ dar, das als solches einem Verlustrücktrag nicht zugänglich wäre. Zwar spricht die Norm von „negativen Einkünften, die bei der Ermittlung des GdE nicht ausgeglichen werden, und auch ein negativer GdE errechnet sich grundsätzlich erst mit Ablauf des dem Kalenderjahr entsprechenden Veranlagungszeitraums. Gleichwohl bezieht sich die Finanzverwaltung im BMF-Schreiben vom 28.11.2017 auf einen „bis zum schädlichen Beteiligungserwerb erwirtschaftete[n] GdE“. Ein solches Verständnis legt auch der Wortlaut des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG nahe, in dem von den „bis zum schädlichen Beteiligungserwerb“ nicht ausgeglichenen oder abgezogenen negativen Einkünften (nicht genutzten Verlusten) die Rede ist, was sich nicht nur auf den Verlustausgleich, sondern auch auf den Abzug von Verlusten einschließlich des Verlustrücktrags nach § 10d Abs. 1 EStG bezieht. Dem Gesetzgeber war insoweit also erkennbar bewusst, dass schädliche Beteiligungserwerbe nicht stets mit dem Kalenderjahresende zusammenfallen.
BFH, Urteil v. 16.7.2025, I R 1/23; veröffentlicht am 6.11.2025
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