Verlängerung der Nachbehaltensfrist bei Übergang eines Grundstücks

Hintergrund: Gesetzliche Regelung
§ 6 Abs. 3 Satz 2 GrEStG a. F. wurde durch Art. 1 Nr. 3 Buchst. a des Gesetzes zur Änderung des Grunderwerbsteuergesetzes v. 12.5.2021, BGBl 2021 I S. 986, dahingehend geändert, dass in der ab dem 1.7.2021 geltenden Fassung die fünfjährige Nachbehaltensfrist bei dem Übergang eines Grundstücks von einer auf eine andere Gesamthand auf zehn Jahre verlängert wurde. Danach ist gemäß § 6 Abs. 3 Satz 2 GrEStG in der ab dem 1.7.2021 geltenden Fassung § 6 Abs. 1 Satz 1 GrEStG insoweit nicht entsprechend anzuwenden, als sich der Anteil des Gesamthänders am Vermögen der erwerbenden Gesamthand innerhalb von zehn Jahren nach dem Übergang des Grundstücks von der einen auf die andere Gesamthand vermindert, mit der Folge, dass die Voraussetzungen für die Nichterhebung der Steuer rückwirkend i. S. d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 AO entfallen. § 23 Abs. 18 und 24 GrEStG sehen für die Anwendung des § 6 Abs. 3 Satz 2 GrEStG Übergangsregelungen vor.
Sachverhalt: Grunderwerbsteuerbefreiung bei Grundstücksübertragung auf personengleiche Gesamthand
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt verhielt sich folgendermaßen:
- Die Antragstellerin, eine GmbH, entstand durch Formwechsel im Jahr 2023 aus einer im Jahr 2015 gegründeten OHG. Gesellschafter der Antragstellerin waren A, B und C.
- Mit notariell beurkundetem Vertrag aus dem Jahr 2018 verpflichtete sich eine ebenfalls aus den Gesellschaftern A, B und C bestehende KG zur Einbringung zweier Grundstücke in die Antragstellerin, damals in ihrer Rechtsform einer OHG.
- Der Antragsgegner – das Finanzamt (FA) – sah den Rechtsvorgang aus dem Jahr 2018 als nach § 6 Abs. 3 Satz 1 GrEStG a. F. von der Steuer befreit an und erließ am 15.2.2018 einen entsprechenden Grunderwerbsteuerbescheid, in dem er die Grunderwerbsteuer auf 0 EUR festsetzte. In den Erläuterungen des Bescheids wurde darauf hingewiesen, dass die gewährte Steuerbefreiung mit Wirkung für die Vergangenheit entfalle, wenn sich der Anteil des Gesamthänders am Vermögen der erwerbenden Gesellschaft innerhalb von fünf Jahren nach dem Übergang des Grundstücks auf die andere Gesamthand vermindere (§ 6 Abs. 3 Satz 2 GrEStG a. F.).
- Im September 2021 wies das FA die Antragstellerin darauf hin, dass der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Änderung des Grunderwerbsteuergesetzes vom 12.5.2021 die fünfjährige Nachbehaltensfrist des § 6 Abs. 3 Satz 2 GrEStG a. F. mit Wirkung ab dem 1.7.2021 auf zehn Jahre verlängert habe (§ 6 Abs. 3 Satz 2 GrEStG). Diese Verlängerung gelte für alle Sachverhalte, für die die bisherige fünfjährige Frist – wie bei der Antragstellerin – vor dem Stichtag 1.7.2021 noch nicht abgelaufen sei (§ 23 Abs. 18 und 24 GrEStG).
- Den Formwechsel im Jahr 2023 sah das FA als rückwirkendes Ereignis an und setzte mit Änderungsbescheid vom 22.11.2023 Grunderwerbsteuer fest.
Über den mit Schreiben vom 14.12.2023 eingelegten Einspruch hat das FA noch nicht entschieden. Den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) lehnte das FA mit Schreiben vom 21.12.2023 ab. Am 9.1.2024 zahlte die Antragstellerin die festgesetzte Grunderwerbsteuer.
Dem am 1.7.2024 beim FG gestellten Antrag auf AdV gab das FG statt. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass bei summarischer Prüfung Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids bestehen würden, da die zehnjährige Nachbehaltensfrist in § 6 Abs. 3 Satz 2 GrEStG nach den einfachgesetzlichen Anwendungsvorschriften des § 23 Abs. 18 und 24 GrEStG auf den Erwerbsvorgang aus dem Jahr 2018 keine Anwendung finde.
Entscheidung: Vollziehung zu Recht aufgehoben
Der BFH entscheidet, dass das FG zu Recht die Vollziehung des angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheids vom 22.11.2023 aufgehoben hat. Bei summarischer Prüfung bestehen ernsthafte Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit.
Aus den Übergangsregelungen des § 23 Abs. 18 und 24 GrEStG ist nicht eindeutig zu entnehmen, dass die durch Art. 1 Nr. 3 Buchst. a des Gesetzes zur Änderung des Grunderwerbsteuergesetzes auf zehn Jahre verlängerte Nachbehaltensfrist des § 6 Abs. 3 Satz 2 GrEStG auf den streitigen Rechtsvorgang aus dem Jahr 2018 anzuwenden ist.
§ 23 Abs. 18 GrEStG sieht als Übergangsregelung vor, dass § 6 Abs. 3 Satz 2 GrEStG – d. h. mit einer Nachbehaltensfrist von zehn Jahren – erstmals auf Erwerbsvorgänge anzuwenden ist, die nach dem 30.6.2021 verwirklicht werden. Danach findet die Verlängerung der Nachbehaltensfrist auf zehn Jahre im vorliegenden Fall keine Anwendung.
Begriff des Erwerbsvorgangs
Als Erwerbsvorgang i. S. d. § 23 Abs. 18 GrEStG ist der grundsätzlich begünstigte Rechtsvorgang anzusehen und nicht das Ereignis, das die Minderung des Anteils des Gesamthänders an der erwerbenden Gesamthand zur Folge hat. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Norm, der mit dem Begriff „Erwerbsvorgänge“ auf § 1 GrEStG und dessen amtliche Überschrift „Erwerbsvorgänge“ Bezug nimmt. Für diese Auslegung sprechen auch die Gesetzesmaterialien. Diese führen im Hinblick auf den als § 23 Abs. 18 GrEStG erlassenen Entwurf eines Abs. 17 aus, dass die verlängerten Fristen „erstmalig für Erwerbsvorgänge i. S. d. § 1 GrEStG anzuwenden [sind], die nach Ablauf des 31.12.2019 verwirklicht werden“ (BT-Drs. 19/13437, S. 15). § 23 Abs. 18 GrEStG verweist zudem auf § 6 Abs. 3 Satz 2 (i. V. m. § 6 Abs. 3 Satz 1) GrEStG. Letztere Vorschrift ist anwendbar auf den Übergang eines Grundstücks von einer Gesamthand auf eine andere Gesamthand und somit auf einen Erwerbsvorgang i. S. d. § 1 Abs. 1 GrEStG.
Fünfjährige Nachbehaltensfrist bereits abgelaufen
Erwerbsvorgang i. S. d. § 23 Abs. 18 GrEStG war im vorliegenden Fall somit der Rechtsvorgang aus dem Jahr 2018, die Einbringung zweier Grundstücke in die Antragstellerin in ihrer damaligen Rechtsform als OHG. Danach kann die Verlängerung der Nachbehaltensfrist des § 6 Abs. 3 Satz 2 GrEStG auf zehn Jahre nach § 23 Abs. 18 GrEStG keine Anwendung finden, da der Erwerbsvorgang vor dem 1.7.2021 stattfand.
Bei Geltung der fünfjährigen Nachbehaltensfrist war die Steuerbegünstigung des § 6 Abs. 3 Satz 1 GrEStG nicht wegen des Formwechsels im Jahr 2023 rückgängig zu machen. Die fünfjährige Nachbehaltensfrist nach § 6 Abs. 3 Satz 2 GrEStG a. F., die mit dem Einbringungsvorgang im Jahr 2018 zu laufen begann, war zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen.
Rückgängigmachung der Steuerbegünstigung nach § 23 Abs. 24 GrEStG?
Nach der Übergangsregelung des § 23 Abs. 24 GrEStG ist § 6 Abs. 3 Satz 2 GrEStG nicht anzuwenden, wenn die in § 6 Abs. 3 Satz 2 a. F. geregelte Frist vor dem 1.7.2021 abgelaufen war. Nach dieser Regelung könnte die Verlängerung der Nachbehaltensfrist auf zehn Jahre im vorliegenden Fall in Betracht kommen. Die Finanzverwaltung schließt aus § 23 Abs. 24 GrEStG, dass die zehnjährige Nachbehaltensfrist in § 6 Abs. 3 Satz 2 GrEStG auch dann gilt, wenn der Erwerbsvorgang vor dem 1.7.2021 verwirklicht worden ist und bei Inkrafttreten der Änderungsvorschrift die fünfjährige Nachbehaltensfrist des § 6 Abs. 3 Satz 2 GrEStG a. F. noch nicht abgelaufen war.
Dies war vorliegend der Fall, da die fünfjährige Frist des § 6 Abs. 3 Satz 2 GrEStG a. F. mit dem Rechtsvorgang aus dem Jahr 2018 zu laufen begann und am 1.7.2021 noch nicht abgelaufen war. Findet danach die zehnjährige Nachbehaltensfrist Anwendung, war die Frist beim Formwechsel der Klägerin Im Jahr 2023 noch nicht abgelaufen. Dies hätte zur Folge, dass die Steuerbefreiung des § 6 Abs. 1 Satz 1 GrEStG rückwirkend entfiele.
Regelungen des GrEStG widersprüchlich
Die Übergangsregelung des § 23 Abs. 24 GrEStG steht offensichtlich im Widerspruch zur Anwendungsregelung des § 23 Abs. 18 GrEStG, die die Verlängerung der Nachbehaltensfrist von fünf auf zehn Jahre bei Erwerbsvorgängen, die – wie vorliegend – vor dem 1.7.2021 stattgefunden haben, ausschließt. Wie sich § 23 Abs. 24 GrEStG zu § 23 Abs. 18 GrEStG verhält, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Aus diesem Grund bestehen ernstliche Zweifel, ob die Verlängerung der Nachbehaltensfrist auf zehn Jahre auf den im Jahr 2018 verwirklichten Einbringungsvorgang anwendbar ist und der Grunderwerbsteuerbescheid vom 22.11.2023 rechtmäßig ist. Dies hat zur Folge, dass der Vollzug der Grunderwerbsteuerfestsetzung aufzuheben war.
BFH, Beschluss v. 10.4.2025, II B 54/24 (AdV); veröffentlicht am 2.5.2025
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