USt-Organschaft: Eingliederung einer Personengesellschaft

Der EuGH hat in der Rechtssache "M-GmbH" (C-868/19) zu den Voraussetzungen der Eingliederung einer Personengesellschaft in einen Organkreis entschieden. Das Urteil steht im Widerspruch zur Verwaltungsmeinung und der darin übernommenen Aufassung des V. Senats des BFH.

Vorabentscheidungsersuchen des FG Berlin-Brandenburg

Bei dem Vorabentscheidungsersuchen des FG Berlin-Brandenburg (Beschluss v. 21.11.2019, 5 K 5044/19), ging es um die Organschaft und zwar um die Frage einer möglichen finanziellen Eingliederung von Personengesellschaften, bei der neben dem Organträger nicht nur Personen Gesellschafter sind, die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind.

Das FG hielt es für ernstlich zweifelhaft, dass die finanzielle Eingliederung einer Personengesellschaft (GmbH & Co. KG), an der auch Personen (hier: natürliche Personen) beteiligt sind, die nicht nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert sind, grundsätzlich ausscheidet. Das FG lehnte diesbezüglich die engere Auffassung des V. Senats im BFH-Urteil vom 2.12.2015 (V R 25/13) ab.

Wirtschaftliche und die organisatorische Eingliederung unstrittig

Die Klägerin ist Gesamtrechtsnachfolgerin einer GmbH & Co. KG (KG) als streitige Organgesellschaft. Gesellschafter der KG waren im Streitjahr eine Komplementär-GmbH (A) sowie als Kommanditisten eine GbR (B), 3 natürliche Personen sowie eine GmbH (C) als möglicher Organträger. Laut Gesellschaftsvertrag besaß jeder Gesellschafter, unabhängig von der Höhe der Pflichteinlagen, jeweils eine Stimme. Hiervon abweichend besaß die C 6 Stimmen. Beschlüsse der Gesellschaft wurden grundsätzlich mit einfacher Mehrheit gefasst. Hiervon ausgenommen waren Beschlüsse über den Ausschluss und die Aufnahme von Gesellschaftern sowie über eine Änderung des Gesellschaftsvertrages. A und C handelten im Streitjahr durch denselben Geschäftsführer. Darüber hinaus bestanden umfangreiche Leistungsbeziehungen zwischen der KG und C. Die wirtschaftliche und die organisatorische Eingliederung wurden als unstrittig beurteilt.

Finanzielle Eingliederung fraglich

Die KG war im Streitzeitraum weder eine juristische Person i. S. d. der Organschaftsregelung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG, noch eine einer juristischen Person gleichzustellende Personengesellschaft nach Sichtweise des BFH im o. g. Urteil vom 2.12.2015. Die finanzielle Eingliederung erfordert, dass der Organträger seinen Willen durch Mehrheitsbeschlüsse in der Organgesellschaft durchsetzen kann.

Das FG hielt dies im Streitfall für gegeben, da der Organträger die Stimmenmehrheit für Beschlussfassungen besessen habe (6 von 11 Stimmen) und damit seinen Willen habe durchsetzen können. Dass vereinzelte Beschlussfassungen über Fragen des Gesellschafterbestands sowie über Änderungen des Gesellschaftervertrages dem Einstimmigkeitsprinzip unterlagen, sei insoweit unerheblich. Entscheidend für die Beherrschungsmöglichkeit i.S. einer finanziellen Eingliederung sei allein, ob eine solche bei Entstehung der Steuer nach der aktuellen Fassung des Gesellschaftsvertrages und dem aktuellen Gesellschafterbestand gegeben ist, sodass es auf besondere Mehrheitsverhältnisse hinsichtlich dieser Fragen nicht ankommen könne.

Personeller Anwendungsbereich des Art. 11 Abs. 1 MwStSystR

Aus den Entscheidungsgründen des EuGH in der Rs. Larentia + Minerva (Urteil vom 16.07.2015 - C-108/14, C-109/14) war nach Auffassung des FG zu folgern, dass eine Einschränkung der tatbestandlichen Vorgaben des Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL durch die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung in nationales Recht nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 11 Abs. 2 MwStSystRL oder insoweit zulässig ist, wie der EuGH den Mitgliedstaaten eine Präzisierungsbefugnis eingeräumt hat (wie es bei der Voraussetzung der engen Verbundenheit durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen der Fall ist).

insichtlich des personellen Anwendungsbereichs ("Personen") hat der EuGH nach Auffassung des FG den Mitgliedstaaten eine solche Präzisierungsbefugnis indes nicht eingeräumt. Hieraus war nach Auffassung des FG zu folgern, dass eine Einschränkung des personellen Anwendungsbereichs des Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL außer in den Fällen des Art. 11 Abs. 2 MwStSystRL schlechthin nicht möglich sei.

Grundsatz der Rechtssicherheit

Das FG meinte auch, der vom V. Senat des BFH angenommene Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit im Fall von Personengesellschaften liege nicht vor. Hierbei sei zum einen zu berücksichtigen, dass der unionsrechtliche Grundsatz der Rechtssicherheit nicht die Verwaltung bei der Anwendung von Rechtsnormen schützen dürfte, sondern vielmehr den durch die Norm belasteten Steuerpflichtigen. Der Grundsatz der Rechtssicherheit verlange nach ständiger Rechtsprechung des EuGH, dass die dem Einzelnen durch das Unionsrecht verliehenen Rechte hinreichend präzise, klar und vorhersehbar umgesetzt werden, damit die Betroffenen ihre Rechte und Pflichten genau kennen, sich darauf einstellen können und sie ggf. vor nationalen Gerichten geltend machen können.

Ob die Voraussetzungen der finanziellen Eingliederung bei Personengesellschaften vorliegen, sei dem Steuerpflichtigen indes bekannt. Es bestehe für ihn keine Rechtsunsicherheit, da er die Stimmrechtsverhältnisse – auch wenn diese mündlich vereinbart wurden – kenne. Ob für die Verwaltung bei der Nachprüfung des umsatzsteuerrechtlich erheblichen Sachverhalts Ermittlungsprobleme bestehen, dürfte den Grundsatz der Rechtssicherheit demgegenüber nicht tangieren.

Die gebotene Rechtssicherheit könne in Fällen mündlicher Abreden auch dadurch Geltung verschafft werden, dass die Finanzbehörde und nachfolgend das Gericht im Wege der Amtsermittlung den entscheidungserheblichen Sachverhalt festzustellen haben. Im Rahmen einer solchen Amtsermittlung könnten durch entsprechende Beweiserhebungen auch mündliche Abreden rechtssicher aufgeklärt werden. Sollten im Anschluss daran gleichwohl Zweifel am zugrunde liegenden Sachverhalt verbleiben, habe eine Entscheidung anhand der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu erfolgen, die wiederum klaren Regeln folgt und damit dem Grundsatz der Rechtssicherheit genügen dürfte.

Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Neutralität

Die zweite Vorlagefrage des FG bezog sich auf die Auslegung dieses Vorbehalts. Es sollte durch den EuGH geklärt werden, ob der unionsrechtliche Neutralitätsgrundsatz dahingehend auszulegen ist, dass er der hier streitigen Rechtsformbeschränkung für Organgesellschaften und damit zugleich einer Rechtfertigung nach Art. 11 Abs. 2 MwStSystRL entgegensteht.

Das FG hielt es unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des V. Senats zwar für nicht schlechthin ausgeschlossen, dass die Beschränkung von Organgesellschaften auf juristische Personen und Personengesellschaften, bei denen Gesellschafter neben dem Organträger nur Personen sind, die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind, eine Maßnahme zur Vorbeugung von Steuerhinterziehung und -umgehung i. S. d. Art. 11 Abs. 2 MwStSystRL darstellen könnte, weil eine erschwerte Nachprüfbarkeit von Angaben des Steuerpflichtigen latent die Gefahr von Falschangaben und Manipulationen mit sich bringt.

Die vom V. Senat des BFH aufgestellten Anforderungen könnten indes gegen die unionsrechtlichen Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Neutralität verstoßen. Der Neutralitätsgrundsatz verbietet es insbesondere, dass Wirtschaftsteilnehmer, die gleichartige Umsätze tätigen, bei der Erhebung der Mehrwertsteuer unterschiedlich behandelt werden. Hinsichtlich der Tätigung von Umsätzen bestünden zwischen Personengesellschaften, bei denen Gesellschafter neben dem Organträger nur Personen sind, die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind, einerseits und Personengesellschaften, bei denen dies nicht der Fall ist andererseits, bestünden keine umsatzsteuerrechtlichen Unterschiede. Beide stünden zudem bei Tätigung gleichartiger Umsätze in einem unmittelbaren Wettbewerb zueinander.

Die Beschränkung des Tatbestandsmerkmals "Organgesellschaft" in § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG auf juristische Personen und Personengesellschaften, bei denen Gesellschafter neben dem Organträger nur Personen sind, die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind, führe mithin dazu, dass Wirtschaftsteilnehmer, die gleichartige Umsätze tätigen, bei der Erhebung der MwSt unterschiedlich behandelt werden.

Darüber hinaus hatte das FG erhebliche Zweifel daran, ob eine mitgliedstaatliche Maßnahme i. S. d. Art. 11 Abs. 2 MwStSystRL, die zu einem generellen Ausschluss von Personengesellschaften, bei denen Gesellschafter neben dem Organträger nicht nur Personen sind, die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind, von der Organschaft führt, nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des Zieles der Vorbeugung von Steuerhinterziehungen und -umgehungen erforderlich ist. Es erscheine nicht ausgeschlossen, dass mildere gesetzgeberische Mittel vorhanden sind, die zugleich in gleich geeigneter Weise einen Schutz vor Steuerhinterziehungen und -umgehungen bieten.

Entscheidung des EuGH

Der EuGH hat (mit Blick auf seine bisherige Organschaftsrechtsprechung nicht überraschend) entschieden, Art. 11 MwStSystRL steht einer nationalen Regelung wie der des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG entgegen, die die Möglichkeit für eine Personengesellschaft, zusammen mit dem Unternehmen des Organträgers eine Organschaft zu bilden, davon abhängig macht, dass Gesellschafter der Personengesellschaft neben dem Organträger nur Personen sind, die in dieses Unternehmen finanziell eingegliedert sind.

Praxishinweise

Die Frage, ob das Bestehen einer engen Verbindung durch finanzielle Beziehungen i. S. v. Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL im Fall einer Personengesellschaft verlangt, dass deren Gesellschafter neben dem Organträger zwangsläufig in finanzieller Hinsicht in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert sind hat der EuGH verneint. Die Voraussetzung des Vorliegens einer engen Verbindung durch finanzielle Beziehungen darf nicht restriktiv ausgelegt werden. Der Organträger konnte nach Auffassung des EuGH seinen Willen bei der KG durch mehrheitlich gefasste Beschlüsse durchzusetzen, sodass das Bestehen enger Verbindungen durch finanzielle Beziehungen vermutet werden könne. Der bloße Umstand, dass die Gesellschafter von der KG theoretisch mittels mündlicher Vereinbarungen den Gesellschaftsvertrag so ändern konnten, dass Beschlüsse künftig einstimmig zu fassen waren, reiche nicht aus, um diese Vermutung zu entkräften.

Das Urteil widerspricht der Auslegung von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG durch Abschn. 2.8 Abs. 5a UStAE und der darin übernommenen Auffassung des V. Senats des BFH. Nach dem EuGH-Urteil kann sich die finanzielle Eingliederung einer Personengesellschaft aus der Möglichkeit der Willensdurchsetzung des Organträgers bei der Personengesellschaft ergeben; damit kann die finanzielle Eingliederung quasi Annex der organisatorischen Eingliederung sein.

Der EuGH hat die Rechtsauffassung des FG bestätigt, dass der vom V. Senat des BFH angenommene Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit im Fall von Personengesellschaften nicht vorliegt. Hierbei sei zum einen zu berücksichtigen, dass der unionsrechtliche Grundsatz der Rechtssicherheit nicht die Verwaltung bei der Anwendung von Rechtsnormen schützen dürfte, sondern vielmehr den durch die Norm belasteten Steuerpflichtigen. Ob die Voraussetzungen der finanziellen Eingliederung bei Personengesellschaften vorliegen, sei dem Steuerpflichtigen bekannt. Es bestehe für ihn keine Rechtsunsicherheit, da er die Stimmrechtsverhältnisse – auch wenn diese mündlich vereinbart wurden – kenne.

Ob für die Verwaltung bei der Nachprüfung des umsatzsteuerrechtlich erheblichen Sachverhalts Ermittlungsprobleme bestehen, dürfte den Grundsatz der Rechtssicherheit demgegenüber nicht tangieren. Im Rahmen der Feststellungen durch das FA könnten durch entsprechende Beweiserhebungen auch mündliche Abreden rechtssicher aufgeklärt werden. Sollten im Anschluss daran gleichwohl Zweifel am zugrunde liegenden Sachverhalt verbleiben, habe eine Entscheidung anhand der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu erfolgen, die wiederum klaren Regeln folgt und damit dem Grundsatz der Rechtssicherheit genügen dürfte.

Der EuGH hat auch die Zweifel des FG daran bestätigt, ob eine mitgliedstaatliche Maßnahme i. S. d. Art. 11 Abs. 2 MwStSystRL, die zu einem generellen Ausschluss von Personengesellschaften, bei denen Gesellschafter neben dem Organträger nicht nur Personen sind, die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind, von der Organschaft führt, nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des Zieles der Vorbeugung von Steuerhinterziehungen und -umgehungen erforderlich ist. Es erscheine nicht ausgeschlossen, dass mildere gesetzgeberische Mittel vorhanden sind, die zugleich in gleich geeigneter Weise einen Schutz vor Steuerhinterziehungen und -umgehungen bieten.

So wäre z. B. denkbar, die Wirkungen der Organschaft nur auf Antrag oder nach Bewilligung durch die Finanzverwaltung eintreten zu lassen (vgl. hierzu Englisch, UR 2016, S. 822 [835]). Hierdurch könnten Rechtsunsicherheiten im Vorfeld vermieden und zugleich ein wirksamer Missbrauchsschutz sichergestellt werden. Zudem käme als milderes Mittel in Betracht, im Rahmen des Nachweises der Eingliederungsvoraussetzungen nur einen Urkundsbeweis zuzulassen. Ähnlich dem Belegnachweis im Zusammenhang mit innergemeinschaftlichen Lieferungen könnten hierdurch in verfahrensrechtlicher Hinsicht die im Einzelfall vorliegenden Nachweisschwierigkeiten bei bloß mündlichen Vereinbarungen vermieden werden.

Ausblick

Es bleibt abzuwarten, wie die Verwaltung (und ggf. der deutsche Gesetzgeber) auf die Entscheidung reagiert. Das Urteil könnte die Bemühungen beflügeln, in Deutschland für die umsatzsteuerliche Organschaft ein Antragsverfahren einzuführen. Ohne eine gesetzliche Neuausrichtung erscheint ein unmittelbares Berufungsrecht auf das EuGH-Urteil (auch mit Blick auf das EuGH-Urteil vom 16.7.2015 , in dem der EuGH die unmittelbare Berufbarkeit auf Art. Abs. 4 Unterabs. 2 der 6. EG-Richtlinie, jetzt Art. 11 MwStSystRL, ausdrücklich verneint hatte) nicht gegeben, weil das Vorliegen der finanziellen Eingliederung einer Personengesellschaft in einen Organkreis gemessen an den Entscheidungsgründen sehr stark von den Umständen des Einzelfalls, d.h. insbesondere der Ausprägung der organisatorischen Eingliederung abhängt.

EuGH Urteil vom 15.04.2021 - C-868/19 (M-GmbH)

Schlagworte zum Thema:  Umsatzsteuer, Organschaft, Personengesellschaft