Umsatzsteuerbefreiung der vertretungsweisen Übernahme eines ärztlichen Notfalldienstes
Rechtsfrage
Fraglich war im Urteilsfall, ob bei der vertretungsweisen Übernahme eines ambulanten ärztlichen Notdienstes eine umsatzsteuerfreie Heilbehandlung (§ 4 Nr. 14 Buchst. a UStG) gegeben ist?
Dem Rechtsstreit liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
- Der Kläger war selbständiger Arzt der Allgemeinmedizin, der keinen eigenen Praxisbetrieb unterhielt.
- In den Streitjahre 2012 bis 2016 übernahm der Kläger als Vertreter für andere zum Notfalldienst eingeteilte Ärzte notfallärztliche "Sitz- und Fahrdienste" in eigener Verantwortung.
- Gegenüber den vertretenen Ärzten rechnete der Kläger je Stunde mit einem variierenden Stundensatz ab. Die Abrechnung erfolgte ohne gesonderten Umsatzsteuerausweis und ohne einen Hinweis auf eine Steuerbefreiung.
- Darüber hinaus liquidierte der Kläger die im Rahmen des Notfalldienstes tatsächlich erbrachten ärztlichen Leistungen (entweder direkt gegenüber Privatpatienten oder bei gesetzlich Versicherten über die KV).
- Des Weiteren führte der Kläger in den Streitjahren für eine Polizeibehörde Blutentnahmen durch. Hierbei fertigte er jeweils gemäß einem Muster einen einseitigen ärztlichen Bericht. Die Liquidation für die Blutentnahmen erfolgte gegenüber der zuständigen Landeskasse. Umsatzsteuer wies der Kläger insoweit gleichfalls nicht gesondert aus.
Der Kläger ging davon aus, ausschließlich steuerfreie Umsätze auszuführen, und gab für die Streitjahre keine Umsatzsteuererklärungen ab.
Das Finanzamt vertrat dagegen die Ansicht, dass die Übernahme des Notfalldienstes als Vertreter getrennt von der im Notfalldienst ausgeübten Heilbehandlung zu würdigen sei. Zum einen führe der Kläger gegenüber den Patienten ambulante Heilbehandlungen aus, die steuerfrei seien. Zum anderen erbringe der Kläger gegenüber dem eingeteilten Arzt, dessen Notfalldienst er gegen Entgelt übernehme, eine sonstige Leistung, die kein therapeutisches Ziel habe. Soweit der Kläger darüber hinaus für die Polizeibehörde Blutentnahmen durchgeführt habe, seien diese ebenfalls steuerpflichtig; einem therapeutischen Zweck dienten sie gleichfalls nicht. Hiergegen wandte sich der Kläger nach einem erfolglosem Einspruchsverfahren. Das Finanzgericht wies die Klage ab.
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts allein hinsichtlich der Beurteilung der Vertretung für Notfalldienste. Die im Klageverfahren noch begehrte Steuerfreiheit seiner Umsätze aus den für die Polizeibehörde erbrachten Blutentnahmen verfolgt der Kläger mit seiner Revision nicht mehr weiter, wies aber darauf hin, dass im Falle der Steuerfreiheit der hier in Rede stehenden Vertretung für ärztliche Notfalldienste ab 2014 die Kleinunternehmerregelung (§ 19 UStG a.F.), auf deren Anwendung er nicht verzichtet habe, zum Tragen komme.
Entscheidung: Entgeltliche Übernahme ärztlicher Notfalldienste ist umsatzsteuerfrei
Die Revision des Klägers ist begründet. Finanzamt und Finanzgericht sind zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Übernahme der Vertretung im ärztlichen Notfalldienst steuerpflichtig sei.
Zum Begriff der Heilbehandlungen
Der Begriff der Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin (§ 4 Nr. 14 Buchst. a UStG) umfasst Leistungen, die der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienen, und demnach einen therapeutischen Zweck haben. Daraus folgt aber nicht zwangsläufig, dass die therapeutische Zielsetzung einer Leistung in einem besonders engen Sinn zu verstehen ist. Zu den Heilbehandlungen gehören auch Leistungen, die zum Zweck der Vorbeugung erbracht werden, wie vorbeugende Untersuchungen und ärztliche Maßnahmen an Personen, die an keiner Krankheit oder Gesundheitsstörung leiden, sowie Leistungen, die zum Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit erbracht werden.
Person des Leistungsempfängers für Steuerfreiheit ohne Bedeutung
Dienen Leistungen einem therapeutischen Zweck, steht der Steuerbefreiung nicht entgegen, wenn sie umsatzsteuerrechtlich nicht gegenüber Patienten oder Krankenkassen erbracht werden. Für die Steuerfreiheit kommt es nicht auf die Person des Leistungsempfängers an, da sich die personenbezogene Voraussetzung der Steuerfreiheit auf den Leistenden bezieht, der Träger eines ärztlichen oder arztähnlichen Berufs sein muss.
Übernahme des Notfalldienstes als Heilbehandlungsleistungen
Bei der Übernahme der ärztlichen Notfalldienste durch den Kläger als Vertreter der zunächst eingeteilten Ärzte handelt es sich um umsatzsteuerfreie Heilbehandlungsleistungen. Der Kläger konnte die zum Notfalldienst eingeteilten Ärzte nur deshalb vertreten, weil er selbst den ärztlichen Notfalldienst ausführte. Die streitgegenständliche sonstige Leistung, die der Kläger erbracht hat, beschränkt sich mithin nicht auf die Freistellung der zum Notfalldienst eingeteilten Ärzte, sondern umfasst zugleich die Durchführung eines solchen Dienstes in einem bestimmten Gebiet in einem festgelegten Zeitraum.
Die Bereitschaft, jederzeit und unmittelbar Leistungen in Notfällen zu erbringen, dient an sich einem therapeutischen Zweck, da der Kläger sich während des Bereitschaftsdienstes bereithält, um gesundheitliche Gefahrensituationen bei Notfallpatienten zu erkennen, gegebenenfalls sofort entsprechende Maßnahmen einzuleiten und damit einen größtmöglichen Erfolg einer (späteren) Behandlung in einer Klinik, bei einem Fach- oder Hausarzt sicherzustellen. Auf den Umfang der tatsächlichen Inanspruchnahme des Notfalldienstes durch die Patienten kommt es nicht an.
Ärztlicher Notfalldienst nicht mit Vorhalten medizinischer Ressourcen vergleichbar
Allein das Vorhalten medizinischer Ressourcen dient noch keinem therapeutischen Zweck, sondern schafft die Voraussetzungen für die nachfolgende zeitnahe Erbringung von Heilbehandlungsleistungen, ohne selbst eine Heilbehandlungsleistung zu sein (vgl. zur entgeltlichen Überlassung von Operationsräumen an einen Operateur, BFH, Urteil v. 18.3.2015, XI R 15/11, BStBl II 2015, 1058, Rz. 20). Das ist aber mit der entgeltlichen Übernahme eines ärztlichen Notfalldienstes, bei der sich der übernehmende Arzt gegenüber dem vertretenen Arzt zur Durchführung dieses Dienstes verpflichtet, nicht vergleichbar. Denn der den ärztlichen Notfalldienst leistende Arzt schuldet seine Anwesenheit und ständige Einsatzbereitschaft; er schafft nicht nur die Voraussetzung für eine gegebenenfalls erforderliche Notfallbehandlung, sondern führt sie selbst aus.
Blutentnahmen für die Polizeibehörde keine Heilbehandlung
Abschließend weist der BFH darauf hin, dass die im Revisionsverfahren nicht mehr im Streit stehenden Umsätze des Klägers aus Blutentnahmen für die Polizeibehörde steuerbar und steuerpflichtig sind. Diese Leistungen würden nicht ihrem Hauptzweck nach therapeutischen Zwecken dienen, sondern der Beweiserhebung im Zusammenhang mit einem strafrechtlich oder öffentlich-rechtlich geführten Verfahren. Der Kläger konnte im Urteilsfall aber hinsichtlich der Streitjahre die Anwendung der Kleinunternehmerregelung (§ 19 Abs. 1 UStG a.F.) beanspruchen, was zwischen den Beteiligten – bei Bejahung der Steuerfreiheit der Umsätze durch Übernahme der Vertretung der Ärzte – auch unstreitig war.
BFH, Urteil v. 14.5.2025, XI R 24/23; veröffentlicht am 24.7.2025
Hinweis: Tätigkeitsbezogene Betrachtungsweise
In der Pressemitteilung zu der o.g. Entscheidung ( Nummer 047/25) weist der BFH darauf hin, dass er damit einerseits seine Rechtsprechung zu Bereitschaftsdiensten bei Großveranstaltungen ( BFH, Urteil v. 2.8.2018, V R 37/17, BFHE 263, 63) auf den „Sitz- und Fahrdienst“ übertragen habe. Andererseits habe er insoweit die Leistungserbringung durch einen fachlich qualifizierten Subunternehmer der Leistungserbringung durch den Arzt selbst gleichgestellt. Diese tätigkeitsbezogene Betrachtungsweise gewährleiste die möglichst gleichmäßige Umsatzbesteuerung ärztlicher Notfalldienste in ganz Deutschland. Die teilweise erheblichen regionalen Unterschiede in der Organisation der Vertretung bei Notfalldiensten würden damit für die Frage der Umsatzsteuerfreiheit keine Rolle spielen.
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