BFH

Steuerfreistellung des niederländischen Arbeitslohns


Steuerfreistellung des niederländischen Arbeitslohns

Der für eine Tätigkeit in den Niederlanden gezahlte Arbeitslohn eines in Deutschland ansässigen Arbeitnehmers ist auch insoweit nach Art. 14 Abs. 1 i. V. m. Art. 22 Abs. 1 Buchst. a DBA-Niederlande 2012/2016 unter Anwendung des Progressionsvorbehalts von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen, als der Arbeitnehmer den Arbeitslohn aufgrund der sog. 30 % Regelung steuerfrei erhalten hat.

Hintergrund: Vermeidung einer Doppelbesteuerung von Arbeitslohn

  • Nach Art. 14 Abs. 1 DBA-NL können Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, die Arbeit wird im anderen Vertragsstaat ausgeübt. Wird die Arbeit dort ausgeübt, so können die dafür bezogenen Vergütungen auch im anderen Staat besteuert werden.
  • Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung werden nach Art. 22 Abs. 1 Buchst. a DBA-NL bei einer in Deutschland ansässigen Person die niederländischen Einkünfte von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer ausgenommen und insoweit lediglich in den Progressionsvorbehalt gemäß Art. 22 Abs. 1 Buchst. d DBA-NL i. V. m. § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG einbezogen. Dies allerdings nur dann, wenn diese Einkünfte tatsächlich in den Niederlanden besteuert werden und nicht unter Art. 22 Abs. 1 Buchst. b DBA-NL fallen.

Rechtsfrage

Führt die Anwendung der niederländischen sog. 30 %-Regelung zu einer teilweisen tatsächlichen Nichtbesteuerung des Arbeitslohns i. S. d. § 50d Abs. 9 Satz 4 EStG i. V. m. Art. 22 Abs. 1 Buchst. a DBA-NL und kann Deutschland insoweit von einer Steuerfreistellung der Einkünfte aus den Niederlanden absehen?

Sachverhalt: In Deutschland wohnhafter Kläger arbeitete auch in den Niederlanden

  • Der Kläger war im Streitjahr (2019) ausschließlich in Deutschland wohnhaft und bei einem Arbeitgeber in den Niederlanden beschäftigt. Er übte seine nichtselbständige Arbeit an 157 Tagen in den Niederlanden und an 80 Tagen in Deutschland aus. 30 % seines Arbeitslohns wurden dem Kläger von seinem niederländischen Arbeitgeber steuerfrei ausgezahlt.
  • Dies erfolgte vor dem Hintergrund, dass niederländische Arbeitgeber Arbeitnehmern, die eine Tätigkeit bei einem niederländischen Arbeitgeber aufnehmen und zwecks Ausübung ihrer Tätigkeit in die Niederlande umziehen oder – wie vorliegend – täglich vom Ausland in die Niederlande reisen, unter bestimmten weiteren – vorliegend nicht streitigen – Voraussetzungen durch den Aufenthalt in den Niederlanden entstehende Mehrkosten (sog. extraterritoriale Kosten) steuerfrei erstatten können.
  • Dabei räumt das niederländische Lohnsteuerrecht dem Arbeitgeber im Hinblick auf die steuerfreie Erstattung dieser Kosten ein Wahlrecht ein. Dieser kann dem Arbeitnehmer entweder die tatsächlich entstandenen und nachgewiesenen extraterritorialen Kosten erstatten oder dem Arbeitnehmer (ohne Nachweis der tatsächlich entstandenen Kosten) nach positiver Verbescheidung durch die niederländischen Finanzbehörden pauschal 30 % des (niederländischen) Arbeitslohns (inklusive etwaiger steuerfrei ausgezahlter anderweitiger Erstattungen) steuerfrei auszahlen (sog. 30 % Regelung).
  • Der Arbeitgeber des Klägers nahm für diesen im Streitjahr die 30 % Regelung in Anspruch, nachdem ihm deren Anwendung antragsgemäß vom niederländischen Finanzamt bewilligt worden war.

Das deutsche Finanzamt (FA) setzte die Einkommensteuer für das Streitjahr abweichend von den Angaben des Klägers in dessen Einkommensteuererklärung fest. Es erhöhte die in Deutschland steuerbaren Einkünfte des Klägers um den auf die Tätigkeitstage in den Niederlanden entfallenden Teil (157/237 Arbeitstage) des nach der niederländischen 30 % Regelung steuerfrei verbliebenen Arbeitslohns. Dieser von den Niederlanden von der Besteuerung freigestellte Teil des Arbeitslohns sei – weil dort tatsächlich nicht besteuert – dem in Deutschland zu versteuernden Arbeitslohn nach § 50d Abs. 9 Satz 4 EStG hinzuzurechnen. Die bisherige Einbeziehung dieses steuerfreien Teils des Arbeitslohns in den Progressionsvorbehalt nach § 32b EStG sei entsprechend rückgängig zu machen. Die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das FG ab. Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

Entscheidung: Steuerfreistellung auch bei Anwendung der niederländischen 30% Regelung

Der BFH entscheidet, dass die begründete Revision zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage führt. Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass der in den Niederlanden nach Anwendung der 30 % Regelung von der Besteuerung freigestellte Teil des Arbeitslohns des Klägers bei der Ermittlung der deutschen Bemessungsgrundlage zu berücksichtigen ist.

Für die Besteuerung bzw. Nichtbesteuerung sprechende Rechtsgrundsätze

Eine tatsächliche Besteuerung im anderen Vertragsstaat liegt vor, wenn dieser die betreffenden Einkünfte in die steuerliche Bemessungsgrundlage einbezieht. Eine Steuer(zahl)last muss hierdurch nicht entstehen. Deshalb liegt eine tatsächliche Besteuerung auch vor, soweit sich die Einkünfte steuerlich nicht auswirken, weil z. B. Freibeträge gewährt oder Verluste verrechnet werden. Entsprechendes gilt, wenn ausländische Vorschriften zur Einkünfteermittlung oder die steuerfreie Erstattung von Aufwendungen wie eine partielle Nichtbesteuerung wirken.

Von einer tatsächlichen Nichtbesteuerung im Anwendungsbereich eines Doppelbesteuerungsabkommens ist grundsätzlich auszugehen, soweit der Staat, dem das Besteuerungsrecht nach dem Doppelbesteuerungsabkommen (auch) zugewiesen ist (hier die Niederlande), nach nationalem Recht Einkünfte nicht besteuern kann, insbesondere weil diese nicht steuerbar bzw. sachlich steuerbefreit sind oder der Steuerpflichtige persönlich steuerbefreit ist, oder aus anderen Gründen eine tatsächliche Besteuerung unterbleibt, z. B. aufgrund Verzichts durch Erlass der Steuer oder durch Unkenntnis der durch den Steuerpflichtigen erzielten Einkünfte.

Niederländischer Arbeitslohn nicht von der Besteuerung ausgenommen

Nach Maßgabe dieser Rechtsgrundsätze ist der niederländische Arbeitslohn des Klägers in den Niederlanden in vollem Umfang tatsächlich besteuert worden. Dies gilt auch, soweit der Kläger seinen niederländischen Arbeitslohn aufgrund der 30 % Regelung steuerfrei erhalten hat.

30 % Regelung keine persönliche oder sachliche Steuerbefreiung

Die 30 % Regelung gründet auf der Annahme, dass Arbeitnehmern, die eine Tätigkeit bei einem niederländischen Arbeitgeber aufnehmen und zwecks Ausübung ihrer Tätigkeit in die Niederlande umziehen oder – wie im Streitfall – täglich vom Ausland in die Niederlande reisen, zusätzliche Kosten entstehen. Soweit es sich hierbei um sog. extraterritoriale Kosten handelt, kann der Arbeitgeber diese Mehrkosten dem Arbeitnehmer entweder gegen Einzelnachweis steuerfrei erstatten oder – wie im Streitfall - stattdessen ohne Nachweis pauschal abgelten und 30 % des Arbeitslohns steuerfrei auszahlen. Damit handelt es sich bei der 30 % Regelung nicht um eine persönliche oder sachliche Steuerbefreiung, die eine tatsächliche Nichtbesteuerung bewirkt, sondern um die pauschalierte Erstattung von steuererheblichen Aufwendungen des Steuerpflichtigen.

Von einer Nichtbesteuerung kann aufgrund einer solchen aufwandsentlastenden Steuerfreistellung wie bei Freibeträgen und steuermindernden Vorschriften im Rahmen der Einkommensermittlung daher keine Rede sein. Es macht auch keinen Unterschied, ob im Rahmen der Einkommensermittlung die steuerliche Bemessungsgrundlage um steuererhebliche Aufwendungen des Arbeitnehmers zu vermindern oder um steuerfreie Arbeitgebererstattungen nicht zu erhöhen ist. Denn die dahingehende Unterscheidung ist lediglich von rechtstechnischer Natur.

Schließlich ist für die Frage, ob die 30 % Regelung eine Nichtbesteuerung bewirkt, nicht maßgeblich, ob das deutsche Steuerrecht einen solchen oder vergleichbaren „Abzugs- oder Erstattungstatbestand“ (von berufsbezogenen Lebenshaltungskosten) kennt oder ob im Vergleich mit inländischen Steuerregelungen (z. B. dem Arbeitnehmer-Pauschbetrag nach § 9a Satz 1 Nr. 1a EStG) die 30 % Regelung den vermuteten Aufwand vermeintlich „überkompensiert“. Ebenso wenig ist hierfür von Bedeutung, nach welchen rechtstechnischen Vorgaben die aufwandsbezogene Steuerfreistellung erfolgt. Insbesondere kommt es insoweit nicht darauf an, ob steuererheblicher Aufwand und steuerfreie Erstattung bereits als Vorwegabzug im Lohnsteuerabzugsverfahren oder erst nachträglich im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung von der ausländischen Steuerrechtsordnung in den Blick genommen und verfahrensrechtlich abgebildet werden. Alles andere wäre ein „Eingriff“ in die Steuerhoheit des anderen Vertragsstaats. Wenn das Besteuerungsrecht (auch) diesem – wie hier den Niederlanden nach Art. 14 Abs. 1 DBA-NL – zugewiesen ist, ist es dessen Angelegenheit, wie er den Steuerzugriff im Einzelnen ausgestaltet.

BFH, Urteil v. 10.4.2025, VI R 29-22; veröffentlicht am 3.7.2025

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