BFH

Formeller Buchführungsmangel bei fehlendem Ausweis von Stornobuchungen


Schäzung bei formellem Buchführungsmangel

Ein formeller Buchführungsmangel, der eine Schätzungsbefugnis begründet, kann nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung auch dann vorliegen, wenn ein Kassensystem Stornierungen zulässt und diese systembedingt in den Tagesabschlüssen oder in den Z-Bons nicht ausgewiesen werden. 

Hintergrund: Gesetzliche Regelung und Streitfragen

Nach § 162 Abs. 1 Satz 1 AO hat die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, soweit sie diese nicht ermitteln oder berechnen kann. § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 FGO i.V.m. § 162 AO gibt dem FG eine eigene Schätzungsbefugnis.

Streitig war zum einen, ob eine Schätzungsbefugnis gemäß § 162 Abs. 1 und Abs. 2 Sätze 1 und 2 AO auch dann besteht, wenn zwar gravierende formelle Mängel der Buchführung bestehen, der Steuerpflichtige aber meint nachweisen zu können, dass sich derartige Mängel nicht auf die Erfassung der Einnahmen ausgewirkt hätten bzw. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht hätten auswirken können. Zum anderen ist fraglich, ob die Anwendung der amtlichen Richtsatzsammlung des BMF eine taugliche Schätzungsmethode darstellt.

Sachverhalt: Schätzung von Besteuerungsgrundlagen in einem Gastronomiebetrieb

Die Sache befindet sich im zweiten Rechtsgang. Die Kläger sind Eheleute und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der vom BFH zu beurteilende Sachverhalt verhielt sich folgendermaßen:

  • Der Kläger führte neben einer anderweitigen, gewinnbringenden gewerblichen Betätigung seit dem Jahr 2008 auch einen Gastronomiebetrieb. Um das Tagesgeschäft kümmerten sich zwei angestellte Geschäftsführer. Der Gewinn wurde durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt.
  • Für die Streitjahre 2011 bis 2013 hat der Kläger bei Umsatzerlösen in Höhe von 507.108 EUR (2011), 574.320 EUR (2012) und 620.671 EUR (2013) Gewinne beziehungsweise Verluste aus dem Gastronomiebetrieb in Höhe von 3.454,23 EUR (2011), 198,01 EUR (2012) und ./. 5.957,05 EUR (2013) erklärt.
  • Nach einer für die Streitjahre 2011 bis 2013 durchgeführten Außenprüfung nahm das FA bei dem Gastronomiebetrieb Hinzuschätzungen zu den Erlösen und Umsätzen mit der Begründung vor, dass die Buchführung formell nicht ordnungsgemäß gewesen sei. Grund hierfür war die genutzte EDV-Kasse, die als "Tagesabschlüsse" bezeichnete Belege ausgab, die zwar mit einem Datum versehen waren und eine Gesamtsumme auswiesen, aber nicht fortlaufend nummeriert waren. Es wurden auch keine Stornobuchungen aufgeführt, obwohl diese möglich waren.
  • Des Weiteren enthielten die Belege keine Angaben zur jeweiligen Zahlungsweise, zu der Uhrzeit, zu der sie gefertigt worden waren, und dazu, ob es sich um den einzigen Tagesabschluss handelte oder ob an dem betreffenden Tag mehrere Tagesabschlüsse erstellt worden waren. Schließlich waren zu den Bilanzstichtagen keine Inventuren zur Ermittlung des Warenbestands durchgeführt worden.
  • Eine sogenannte Ausbeutekalkulation hatte die Prüferin für "nicht zielführend" gehalten und zur Begründung ausgeführt, bei "Portionsgrößen und Personalverköstigung" habe es "so große Unwägbarkeiten gegeben", dass eine betriebsinterne Kalkulation nicht möglich gewesen sei. Stattdessen hatte sie Hinzuschätzungen auf der Grundlage der vom BMF veröffentlichten Richtsatzsammlungen für das Kalenderjahr 2011 (BMF, Schreiben vom 21.6.2012, BStBl I 2012, 626) vorgenommen.
  • Dabei wurde aber, ebenfalls mit Blick auf die besonderen betrieblichen Gegebenheiten der unterste in der Richtsatzsammlung 2011 für Gastronomiebetriebe ausgewiesenen Rohgewinnaufschlagsatz von 186 % in Ansatz gebracht und von dem auf diese Weise kalkulierten Mehrergebnis zusätzlich noch einen "Sicherheitsabschlag" von 30 % vorgenommen.
  • Die Kläger legten Einsprüche gegen die im Anschluss an die Außenprüfung ergangenen Bescheide über Einkommensteuer, Umsatzsteuer und Gewerbesteuermessbeträge ein, mit denen sie die Schätzungen sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach angriffen.

Klage war im ersten Rechtsgang erfolglos

Die dagegen gerichtete Klage hatte im ersten Rechtsgang keinen Erfolg. Das FG sah die Voraussetzungen für eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 der AO als erfüllt an. Allerdings verwarf das FG die Aufschlagkalkulation des FA und nahm selbst eine Schätzung vor, indem es die Umsatzerlöse des Klägers auf der Grundlage einer vom FG selbst ermittelten Größe "erzielbare Tageserlöse" durch "pauschale Sicherheitszuschläge" erhöhte. Da die eigene Schätzung des FG jedoch im Ergebnis zu höheren Hinzuschätzungsbeträgen führte, bestätigte das FG unter Berufung auf das sogenannte Verböserungsverbot die Hinzuschätzung des FA auch der Höhe nach.

Nichtzulassungsbeschwerde; Aufhebung des im ersten Rechtsgang ergangenen Urteils

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger hin hob der BFH das im ersten Rechtsgang ergangene Urteil mit Beschluss vom 21.8.2019, X B 120/18 (BFH/NV 2022, 744) auf und verwies die Sache an das FG zurück.

Das FG hat im zweiten Rechtsgang im Wesentlichen seine Entscheidung aus dem ersten Rechtsgang bestätigt. Es hat eine Schätzungsbefugnis dem Grunde nach erneut bejaht und ist in Bezug auf die Schätzungsmethode und die Höhe der Hinzuschätzung nunmehr dem FA gefolgt (FG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 23.3.2021, 3 K 1862/19). Mit ihrer Revision greifen die Kläger die rechtliche Beurteilung des FG sowohl hinsichtlich der Schätzungsbefugnis dem Grunde nach als auch in Bezug auf die Höhe der Schätzung an. Mit Beschluss vom 29.7.2025 sind die Verfahren X R 23/21 und X R 24/21 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden.

Entscheidung: Ergebnis der Schätzung wurde nicht nachvollziehbar begründet

Der BFH hat die Vorentscheidungen aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen

Formeller Buchführungsmangel bei fehlendem Ausweis von Stornobuchungen

Ein formeller Buchführungsmangel liegt unter anderem dann vor, wenn ein Kassensystem Stornierungen zulässt und diese systembedingt in den Tagesabschlüssen bzw. in den Z-Bons nicht ausgewiesen werden. Denn infolge des fehlenden Ausweises solcher Stornierungen ist nicht mehr feststellbar, ob lediglich Fehlbuchungen korrigiert oder aber auch reguläre, nach § 146 Abs. 1 AO zu erfassende Einnahmebuchungen gelöscht worden sind.

Auch wenn ein solcher Mangel im Allgemeinen noch keinen sicheren Schluss auf die tatsächliche Verkürzung von Einnahmen und folglich auf die sachliche Unrichtigkeit der Buchführung zulässt, gibt es doch in diesem Fall systembedingt keine Gewähr mehr für die Vollständigkeit der Erfassung der Bareinnahmen. Bei einem Betrieb, der überwiegend Bargeschäfte tätigt, stellt dies die gesamte Buchführung in Frage und nimmt daher dem Buchführungsergebnis die Beweiskraftwirkung des § 158 AO a.F. Es bedarf in solchen Fällen keines Nachweises, dass das Kassensystem tatsächlich manipuliert wurde und tatsächlich Betriebseinnahmen verkürzt wurden. Eine nachträgliche Ergänzung der Dokumentation oder eine anderweitige Heilung des Mangels ist in einem solchen Fall ebenfalls nicht möglich.

Das FG ist demnach zutreffend davon ausgegangen, dass die Buchführung des Klägers wegen des fehlenden Ausweises der vom Kassensystem ermöglichten Stornierungen in den jeweiligen Tagesabschlüssen und der Möglichkeit, mehrere Tagesabschlüsse an einem Tag zu fertigen, unter gravierenden formellen Mängeln leidet, die ihr die Beweiskraftwirkung des § 158 AO a.F. nehmen.

Auswahl zwischen mehreren in Betracht kommenden Schätzungsmethoden

Zwar waren FA und FG im Streitfall dem Grunde nach zur Schätzung befugt. Die von dem FG vorgenommene Hinzuschätzung auf der Grundlage eines Rohgewinnaufschlagsatzes von 186 % abzüglich eines "Sicherheitsabschlags" von 30 % ist aber nicht nachvollziehbar begründet worden.

FA und FG sind in der Wahl ihrer Schätzungsmethoden grundsätzlich frei. Allerdings ist die Wahlfreiheit des FA bzw. des FG bei der Auswahl zwischen mehreren in Betracht kommenden Schätzungsmethoden nach den allgemeinen für die Ausübung pflichtgemäßen Ermessens (§ 5 AO) geltenden Grundsätzen eingeschränkt. Die weitgehende Freiheit des FA und des FG besteht folglich nur dann, wenn mehrere gleich geeignete Schätzungsmethoden zur Auswahl stehen.

Innerer Betriebsvergleich grds. als zuverlässigere Schätzungsmethode anzusehen

Unterschieden wird u.a. zwischen Umsatzschätzungen durch äußeren und durch inneren Betriebsvergleich. Im Allgemeinen haftet dem äußeren Betriebsvergleich ein starkes Unsicherheitsmoment an, da kaum ein Betrieb dem anderen gleicht. Daher ist grundsätzlich ein innerer Betriebsvergleich als die zuverlässigere Schätzungsmethode anzusehen. Zwar ist auch eine Nachkalkulation nicht frei von Unsicherheiten; doch ist hier die Möglichkeit von Fehlern stärker eingeengt.

Richtsatzschätzung als besondere Form des äußeren Betriebsvergleichs

Eine besondere Form des äußeren Betriebsvergleichs ist die sogenannte Richtsatzschätzung, also eine Schätzung anhand der Kennzahlen der amtlichen Richtsatzsammlung des BMF. Diese Schätzungsmethode wird von der höchstrichterlichen Rechtsprechung bislang als grundsätzlich zulässig anerkannt. Diese Vorgehensweise des FG ist aber tatsächlich keine Richtsatzschätzung mehr, sondern letztlich eine griffweise Schätzung. Sie hat zwar den unteren Rahmensatz der Richtsatzsammlung als Ausgangspunkt gewählt, gelangt aber durch einen griffweisen Abschlag hiervon zu einem ebenfalls griffweisen Sicherheitsaufschlag, der sich deutlich außerhalb (hier: unterhalb) der vom BMF ausgewiesenen Richtsatzspanne bewegt.

Ergebnis der Schätzung im Urteilsfall nicht nachvollziehbar begründet

Sowohl das FA als auch das FG müssen das Ergebnis ihrer Schätzung nachvollziehbar begründen. Die Begründungspflicht gilt auch dann, wenn eine griffweise Schätzung in Form eines Sicherheitszuschlags oder -abschlags vorgenommen werden soll. Ungeachtet der Zweifel, die der Senat zuletzt an der Belastbarkeit der Richtsatzschätzung geäußert hat, muss auch eine griffweise Schätzung, die sich der Kennzahlen der Richtsatzsammlung des BMF bedient, die Wahl der Kennzahl bei etwaigen Besonderheiten nachvollziehbar begründen. Die Begründung des FG erfüllt die genannten Anforderungen nicht.

Keine eigene Schätzungsbefugnis des BFH

Die Vorentscheidung war aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Eine eigene Schätzungsbefugnis steht dem BFH – als Rechtsinstanz – nicht zu. Für den dritten Rechtsgang weist der BFH ohne Bindungswirkung u.a. auf Folgendes hin:

  • Sollte das FG zu dem Ergebnis kommen, dass tatsächlich keine Einzeldaten zu den in den Streitjahren verkauften Gerichten und zum Wareneinsatz vorliegen, wäre eine Aufschlagkalkulation auf der Grundlage von Daten der Streitjahre (wohl) ausgeschlossen.
  • Käme das FG zu dem Ergebnis, dass im Streitfall weder eine Aufschlagkalkulation noch ein innerer Betriebsvergleich auf der Grundlage der Betriebsdaten der Folgejahre möglich ist, bliebe nur eine griffweise Schätzung in Form eines Sicherheitszuschlags zu den von dem Kläger erklärten Betriebsergebnissen.
  • Des Weiteren wäre dem Vorbringen des Klägers nachzugehen, dass er Ende 2016 eine sogenannte fiskalisierte Kasse angeschafft habe, die im Verhältnis zu den Vorjahren keine höheren Umsätze und Gewinne zeige.

BFH, Urteil v. 29.7.2025, X R 23-24/11; veröffentlicht am 13.11.2025

Alle am 13.11.2025 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen


Schlagworte zum Thema:  Buchführung , Schätzung , Abgabenordnung
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